Corona macht Schule
STEFAN KORINTH, 8. September 2020, 5 KommentareInzwischen hat in 15 von 16 deutschen Bundesländern das neue Schuljahr begonnen. Trotz lange anderslautender Pläne haben außer Sachsen alle Bundesländer auf die eine oder andere Art Verpflichtungen zum Maskentragen in Schulen aufgestellt. Am schärfsten agierte dabei das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW), das das Maskentragen für zwei Wochen sogar im Unterricht vorschrieb. Bayern zog im September nach. Trotz großer Hitze und Schwüle wurde diese Maskenpflicht in NRW durchgesetzt.
Eine Lehrerin schreibt:
„Im Klassenraum bei circa 35 Grad habe ich die Kinder nicht mehr aufgefordert (die Maske aufzusetzen), da ich es unzumutbar fand, woraufhin ich mich einer wütenden Schulleitung stellen musste, die mir sagte, wenn ein Kind umkippt, soll ich halt den Krankenwagen rufen, ansonsten habe ich mich gefälligst an die Anweisungen zu halten.“
Ganztägiges Maskentragen wird Mitarbeitern im Einzelhandel nicht zugemutet, Schüler in NRW und in Bayern sollen es hingegen erdulden. Auch einige Schulen in anderen Bundesländern verpflichteten ihre Schüler dazu. Zu Beginn des Schuljahres häuften sich denn auch Krankmeldungen und negative Erfahrungsberichte betroffener Kinder und Eltern. „Das war der schlimmste Tag in meiner gesamten Schülerlaufbahn“, berichtete ein Junge seiner Großmutter über den ersten Tag nach den Sommerferien in NRW.
In vielen Berichten klagen Kinder über Schwindelgefühle, Konzentrationsschwierigkeiten, Übelkeit oder Kopfschmerzen infolge der Masken. Auch von Hautproblemen ist die Rede. Kinder, die durch ärztliche Atteste von der Maskenpflicht befreit sind, berichteten davon, wiederholt von Lehrern angeherrscht und von Mitschülern gemaßregelt worden zu sein.
Der Arzt und Maskenbefürworter Burkhard Rodeck von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin („Die Maske ist unser Freund“) bestreitet jedoch in einem WDR-Interview, dass Masken körperlich negative Folgen für Kinder hätten. Es sei vor allem „eine psychologische Problematik“. Einige Kinder fühlten sich unter der Maske beengt. Dies müsse man ernst nehmen. Er forderte, dass über Masken in der Öffentlichkeit noch besser berichtet werden solle, dann würden diese endlich zu einer akzeptierten Normalität. „Es gibt viele Berufsstände, die die Maske selbstverständlich den ganzen Tag über tragen, die sich auch nicht beklagen“, sagte Rodeck.
Strenge Verhaltensregeln, extreme Erwachsene
Das vorgeschriebene Tragen einer Maske ist jedoch nur der augenfälligste Teil der politischen Corona-Vorschriften für Kinder. Bereits seit Ende des Lockdowns müssen Mädchen und Jungen deutschlandweit mit zahlreichen strengen Verhaltensregeln in Schulen, Kindergärten und in der Freizeit zurechtkommen. Während nachvollziehbare Hygieneregeln – wie regelmäßiges Händewaschen oder das Niesen in die Armbeuge – bereits vor Corona Standard in den meisten Einrichtungen waren, kamen seitdem völlig neuartige Maßnahmen dazu: Sportverbote, soziale Kontakteinschränkungen und körperliche Distanzierung. Zudem mussten Kinder lernen, mit zahlreichen extremen Verhaltensweisen von Erwachsenen umzugehen.
Bereits nach Ende des Lockdowns im Mai klagten Jungen und Mädchen über die neuen Normen an Schulen. Die Bonner Familienberaterin Inke Hummel berichtete damals:
„Ich habe mit mehreren Familien gesprochen, deren Kinder bereits wieder in die Schule mussten. Diese Kinder haben sich wahnsinnig auf ihre Freunde gefreut, aber danach sind sie nach Hause gekommen und haben gesagt, es sei schrecklich gewesen. Das ständige Ermahnen, Abstand voneinander zu halten, wurde als großer Stress empfunden.“
Multipolar erreichten vor den Sommerferien Elternberichte aus NRW, wonach Kinder in den Pausen auf markierten Punkten auf dem Schulhof verharren sollten. In anderen Schulen des Bundeslandes durften Schüler gar nicht raus, sondern mussten auch ihre großen Pausen drinnen am Platz sitzend verbringen.
Kinder dürfen sich nicht mehr wie Kinder verhalten
Bis heute finden der Sport- und der Musikunterricht in nahezu allen Schulen nur unter Einschränkungen statt. Projekttage oder Klassenfahrten fallen größtenteils aus. Auch bei den meisten Einschulungsfeiern im August durften Eltern nicht dabei sein.
Stattdessen wird Schülern nun verboten, sich ins eigene Gesicht zu fassen oder Gegenstände mit Mitschülern zu teilen. Soldatisch diszipliniert sollen sie unter ihren Masken in markierten Bahnen durchs Schulgebäude marschieren, wobei der Großteil des Hauses nicht betreten werden darf. Die Lehrer wachen über das Einhalten der Regeln. Die Kinder müssen feststellen, dass es in ihrer gesamten Schulzeit noch nie so wenig um Lerninhalte ging wie jetzt – stattdessen stehen Verhaltenskontrolle und autoritäre Rollenmuster im Vordergrund.
In einer Schule im thüringischen Stotternheim heißt es in den neuen Schulregeln vom Mai unter anderem:
2.) GRUNDGEDANKE: ‚Ich komme zum Lernen in die Schule, aber nicht um meine Freunde zu treffen.‘ (…)
7.) In der Pause spiele ich kein Fußball oder ähnliche kontaktnahe Spiele.
8.) Ich kann mich nicht wie gewohnt in freien Zeiten im Foyer aufhalten. Stattdessen warte ich auf dem Hof.
9.) Ich werde durch den Lehrer vom Schulhof abgeholt und zum Klassenraum begleitet. Ich betrete nicht selbstständig das Schulgebäude.
10.) Ich hänge meine Jacke über meinen Stuhl und bringe sie nicht zur Garderobe. (...)
16.) Ich gebe niemandem die Hand. Ich umarme keine Personen. Ich vermeide jeglichen Körperkontakt zu anderen Menschen. (…)
19.) Mir ist bekannt, dass ich bei Zuwiderhandlungen und Verstößen gegen die geltenden Bedingungen das Recht auf Präsenzunterricht verliere.
Wen dies an die Schulregeln im Deutschen Kaiserreich erinnert, der liegt sicher nicht ganz falsch. „Hände falten, Schnabel halten, Kopf nicht stützen, Ohren spitzen“, hieß das damals. Dem Magazin Multipolar liegen mehrere solcher Hygienepläne von Schulen in Deutschland vor. In einer Grundschule (!) im niedersächsischen Landkreis Harburg, gab der Direktor bereits Anfang Mai unter anderem folgende Regeln an die Eltern heraus:
1. Wenn ein Kind das Schulgebäude betritt, setzt es vorher einen Mund-Nasen-Schutz (MNS) auf. Auch die Lehrkräfte tragen MNS.
2. Für jede Klasse gibt es eigene Laufwege, eigene Toiletten und einen eigenen „Sammelpunkt“. Dadurch wird verhindert, dass sich Kinder verschiedener Lerngruppen begegnen bzw. sich ihre Wege kreuzen. In den Klassenräumen befinden sich nur noch Sitzplätze für 7 oder 8 Kinder auf Abstand. Tischpositionen und Sitzplätze sind markiert. Kein Kind verlässt während des Unterrichts seinen Platz eigenmächtig.
3. Bewegung im Gebäude erfolgt ausschließlich im Gänsemarsch mit 1,5 m Abstand und ausschließlich in Begleitung einer Lehrkraft.
4. Die 5-Minuten-Pausen zwischen den einzelnen Schulstunden entfallen. Es ist immer eine Lehrkraft im Unterrichtsraum, um die Einhaltung der Regeln zu überwachen. (...)
8. Ihr Kind sieht in der großen Pause nur maximal 7 Mitschüler, die auf Abstand gehalten werden. (...)
13. (…) Jedes Kind wäscht sich am Schulvormittag 2 Mal die Hände unter Aufsicht. (...)
15. Jedes Kind benutzt ausschließlich sein eigenes Material. (...) Stifte werde nicht verliehen. Die Lehrkräfte können auch nicht während des Unterrichts z. B. vergessene Heftseiten kopieren, denn die Lehrkraft wird die Lerngruppe nicht verlassen. (...)
19. Bei Regelverstößen wird ein Kind für den Rest der Woche im Home Schooling belassen.
Isolation in Kitas
In Kindergärten, die zuvor jahrelang zu offenen Begegnungsstätten teils ohne Gruppen- und Altersgrenzen umgebaut worden waren, fand die Betreuung nach Ende von Lockdown und Notbetreuung nur gruppenweise und räumlich isoliert statt. Viele Bereiche in Innenräumen und auf dem Außengelände von Kindergärten und -krippen waren plötzlich verbotene Zonen. Mit Freunden in anderen Gruppen konnten die Kinder wochenlang nicht spielen. In vielen Kitas ist das Singen nur noch draußen erlaubt.
Vielerorts dürfen Eltern die Einrichtungen bis heute nicht betreten, sondern geben ihre Kleinen am Eingang ab, wo sie die Kinder nachmittags wieder in Empfang nehmen. Austausch mit Erzieherinnen und anderen Eltern wird so erschwert. Besonders problematisch ist dies für Kinder, die gerade neu in Einrichtungen kommen und eingewöhnt werden. Bislang geschah dies abgestuft und in engem Kontakt mit den Eltern. Eine Erzieherin aus Baden-Württemberg schrieb an Multipolar: Zur Eingewöhnung komme der Elternteil nun mit Maske in die Kita, dürfe aber nicht in den Gruppenraum, sondern müsse im Garderobenbereich bleiben und aus der Entfernung zuschauen.
Ein weiteres Problemfeld ist der Umgang mancher Pädagogen mit der Situation. Kinder mussten wahrnehmen, dass ihre Erzieherinnen und Erzieher auf ängstliche Distanz zu anderen Menschen gehen, auch wenn diese gesund sind; und dass sie teilweise offen Furcht vor erkälteten Menschen zeigen, besonders vor Kindern. Aus Angst vor Corona verlangen manche Kitas inzwischen sogar eine „Gesundschreibung“ für leicht erkältete Kinder, berichtete die Berliner Zeitung im Juli. Eltern seien sehr besorgt darüber, was dann erst im Herbst und Winter los sei.
Freizeit mit Einschränkungen
Auch außerhalb von Schule und Kita wurden die Kinder von den neuen Regeln und neuartigen Verhaltensnormen getroffen. Zoo, Schwimmbad oder Sportverein: In der Freizeit wurden die meisten Kinder zahlreicher Beschäftigungsmöglichkeiten beraubt und das bis weit nach Ende des eigentlichen Lockdowns. Die allermeisten Vereins- und Freizeitaktivitäten sind bis heute und ohne absehbares Ende nur unter Restriktionen möglich.
Während des Lockdowns wurden junge Familien durch Anwohner oder Polizei von Spielplätzen vertrieben. Wer Freunde der Kinder nach Hause einlud, musste damit rechnen, dass Nachbarn die Polizei rufen. Die Treffen seien – so gut es ging – geheim gehalten worden, schreibt ein Vater aus NRW. „Es ist eine Heimlichkeits-Welt entstanden.“ Auch den älteren Nachwuchs traf es: Jugendliche, die sich privat trafen, wurden als unverantwortliche Beteiligte an sogenannten Corona-Partys schnell zu medialen Zielscheiben aufgebaut – neben „Hamsterkäufern“ und „Verschwörungstheoretikern“.
Viele Schüler mussten schmerzhaft feststellen, wie schnell konstruierte Feindbilder in der Öffentlichkeit ausgetauscht werden können. Waren es eben noch die rücksichtslosen alten „Boomer“ und „meine Oma, die alte Umweltsau“, die den Kindern die Zukunft raubten – so seien es jetzt plötzlich die jungen Menschen, die das Leben der schutzlosen Alten gefährdeten. Das öffentlich-rechtliche Comedy-Format „Browser Ballett“ bewirbt sogar ein Corona-Spiel, bei dem kranke Kleinkinder ausgeschaltet werden sollen.
Medizinische Studien geben Entwarnung
Für diejenigen, die sich lieber auf der Faktenebene bewegen, ergibt sich jedoch ein völlig anderes Bild. Inzwischen gibt es allein aus Deutschland sechs klinische Studien, die die Harmlosigkeit des Coronavirus für Kinder sowie die geringe Ansteckungsgefahr für Erwachsene (durch Kinder) nachgewiesen haben. Die Medizinische Fakultät der Technischen Universität Dresden hatte im Mai rund 1.500 Schüler und 500 Lehrer aus 13 weiterführenden Schulen in Sachsen auf Antikörper getestet. Dabei wurde lediglich in 12 der 2.045 Blutproben eine frühere Infektion mit dem Coronavirus nachgewiesen.
„Das bedeutet, dass eine stille, symptomfreie Infektion bei den von uns untersuchten Schülern und Lehrern bislang noch seltener stattgefunden hat als wir das vermutet hatten“, erläuterte Professor Reinhard Berner. Sogar Schüler, aus deren Haushalt ein „Corona-Fall“ bekannt sei, hätten sich größtenteils nicht angesteckt. Kinder seien keine Beschleuniger der Infektion, sondern viel eher „Bremsklötze“, sagte der Klinikdirektor.
In den Universitätskliniken in Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm wurden im April und Mai rund 2.500 Kinder und jeweils ein Elternteil auf aktuelle oder überstandene SARS-CoV-2-Infektionen getestet. Unter den knapp 5.000 Untersuchten fanden sich nur zwei Teilnehmer mit positivem PCR-Test und 64 weitere (davon 45 Erwachsene) mit nachgewiesenen Antikörpern gegen SARS-CoV-2, was auf eine überstandene Infektion mit dem Coronavirus hinweist. „Insgesamt scheinen Kinder demnach nicht nur seltener an COVID-19 zu erkranken, was schon länger bekannt ist, sondern auch seltener durch das SARS-CoV-2-Virus infiziert zu werden“, sagt Professor Klaus-Michael Debatin vom Uniklinikum Ulm.
An der Uni-Kinderklinik in Bochum sind im Juli und August 750 Kinder mit teils schwerwiegenden Symptomen wie Fieber, Erbrechen oder langanhaltendem Husten per Abstrich auf das Coronavirus getestet worden. Jedoch schlug der Test nur bei einem dieser 750 Kinder positiv aus.
Zur Wiederöffnung der Kindergärten hatte das Universitätsklinikum Düsseldorf ab Anfang Juni insgesamt 5210 Personen in 115 Düsseldorfer Kitas (3955 Kinder und 1255 Beschäftigte) über einen Zeitraum von vier Wochen zweimal wöchentlich auf eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus untersucht. Dabei konnte nur eine Infektion in den Studienproben bei einem Kind gefunden werden. „Die bisherigen Studienergebnisse geben keinen Anlass davon auszugehen, dass von Kita-Kindern ein erhöhtes Infektionsrisiko ausgeht oder im Umfeld Infektionsketten ausgelöst werden, obwohl das geltende Abstandsgebot in der Kindertagesbetreuung nicht eingehalten werden kann“, kommentierte Familienminister Joachim Stamp (FDP).
Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf konnte in seiner Studie bei keinem (!) der 3.107 dort untersuchten Kinder und Jugendlichen per PCR-Test eine Infektion mit dem Coronavirus entdecken. 2.436 von ihnen wurden einem zusätzlichen Antikörperbluttest unterzogen: 36 Probanden hatten Antikörper gegen Sars-CoV-2 gebildet.
Eine weitere Schulstudie aus Sachsen, diesmal von der Universität Leipzig, kam im Sommer auf ganz ähnliche Ergebnisse. Unter 2.600 getesteten Schülern und Schulbediensteten sei kein einziger aktiver Corona-Fall und lediglich bei 14 Probanden frühere Infektionen festgestellt worden. „Die akute Ansteckung lag bei null“, sagte Professor Wieland Kiess. Auch Studien aus Australien, Island, Großbritannien und den Niederlanden bestätigen dieses eindeutige Bild.
Trotz Entwarnung werden Maßnahmen verschärft
In einer Gesellschaft, deren politische Verantwortungsträger sehr viel von Wissenschaftlichkeit, Vernunft und Fakten halten, sollten diese Ergebnisse der medizinischen Corona-Forschung Grundlage für den weiteren Umgang mit Kindern und Jugendlichen bilden. Doch das Gegenteil geschieht: Die Ergebnisse werden faktisch ignoriert und die Regeln für Schüler aufrechterhalten oder sogar verschärft. Vor den Sommerferien gab es keine allgemeine Maskenpflicht an Schulen – nun gibt es sie.
Selbst Maskenbefürworter unter den Ärztefunktionären wie Susanne Johna vom Marburger Bund lehnen die Maskenpflicht im Unterricht ab. Wenn Abstand gehalten werde, ergebe diese Pflicht „überhaupt keinen Sinn und wäre eine überflüssige Behinderung“, sagte sie der Neuen Osnabrücker Zeitung. Kritische Ärzte wie die Kieler Universitätsprofessorin Karina Reiss gehen noch viel weiter und fordern sämtliche Corona-Maßnahmen wegen erwiesener Nutzlosigkeit zurückzunehmen.
Verantwortliche Politiker wie die Ministerpräsidenten Bayerns und Nordrhein-Westfalens versuchen, sich in der medialen Öffentlichkeit als strenge und verantwortliche Landesväter zu inszenieren, weil dies offenbar Vorteile bei Meinungsumfragen bringt. Sie nutzen dazu ihre Macht über das Bildungssystem. Diese Profilierungssucht hat allerdings handfeste gesundheitliche Folgen für Kinder und Jugendliche.
Studien belegen negative Gesundheitsfolgen durch Lockdown
Bereits mit dem Lockdown von Mitte März bis weit in den Mai fügte die Politik zahlreichen Kindern und Familien schweren Schaden zu, wie inzwischen ebenfalls mehrere wissenschaftliche Studien nachgewiesen haben. Ein kurzer Überblick:
Forscher des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf befragten im Mai und Juni 1.000 Kinder und Jugendliche zwischen 11 und 17 Jahren sowie mehr als 1.500 Eltern per Online-Fragebogen. Ergebnis: Die Lebensqualität der Kinder und Jugendlichen in Deutschland sei erheblich gesunken. Viele Befragte hätten von psychischen und psychosomatischen Auffälligkeiten berichtet. „Wir haben mit einer Verschlechterung des psychischen Wohlbefindens in der Krise gerechnet. Dass sie allerdings so deutlich ausfällt, hat auch uns überrascht“, sagte Studienleiterin Ulrike Ravens-Sieberer.
Die Kinder und Jugendlichen machten sich laut der Studie mehr Sorgen als früher und zeigen häufiger Auffälligkeiten wie Hyperaktivität (24 Prozent), emotionale Probleme (21 Prozent) und Verhaltensprobleme (19 Prozent). Auch psychosomatische Beschwerden träten während der Corona-Krise vermehrt auf. Neben Gereiztheit (54 Prozent) und Einschlafproblemen (44 Prozent) seien das etwa Kopf- und Bauchschmerzen (40 beziehungsweise 31 Prozent).
Für zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen seien die Schule und das Lernen nach Ende des Lockdowns anstrengender als zuvor. Sie hätten Probleme, den schulischen Alltag zu bewältigen und empfänden diesen teilweise als extrem belastend, erklärte Professorin Ravens-Sieberer. Auch in den Familien habe sich die Stimmung verschlechtert: 27 Prozent der Kinder und Jugendlichen und 37 Prozent der Eltern berichteten, dass sie sich häufiger stritten als vor der Corona-Krise.
Die oben bereits erwähnte Schulstudie aus Leipzig untersuchte auch die psychischen Folgen der Schulschließungen. Die Wissenschaftler registrierten bei den 900 befragten Jungen und Mädchen einen Verlust von Fröhlichkeit und Lebensqualität, die Zunahme von Fernseh- und Computernutzung sowie einen Anstieg von Zukunftssorgen. Auch die staatliche PR erreicht die Schüler. „Über ein Fünftel der Kinder findet, dass das Leben nie wieder so sein wird wie vor Covid-19“, sagte Professor Wieland Kiess.
Die Betriebskrankenkasse Pronova BKK befragte 150 niedergelassene Kinderärzte zu den körperlichen und seelischen Folgen von Lockdown und Homeschooling für ihre kleinen Patienten. 89 Prozent der Kinderärzte beobachten vermehrt psychische Probleme. 37 Prozent diagnostizieren eine Zunahme körperlicher Beschwerden. Besonders betroffen seien Kinder ab sechs Jahren.
Jeder zweite Kinderarzt habe bei seinen Patienten zunehmende Verhaltensänderungen wie Antriebslosigkeit, Reizbarkeit und Angststörungen beobachtet. Rund 45 Prozent der Ärzte nahmen steigende Zahlen von Kindern mit Schlafstörungen, Bauchschmerzen und Depressionen wahr. Der Lockdown könnte demnach auch langfristige Folgen haben: Knapp 40 Prozent der Ärzte erkannten Anzeichen für motorische und geistige Entwicklungsverzögerungen bei ihren Patienten zwischen 3 und 13 Jahren.
Die Eltern und der Lockdown
Zudem entstanden im Frühjahr weitere Studien, die auch die Folgen für Eltern sowie für den Familienalltag insgesamt mit einbeziehen. Die Universität Hildesheim und die Goethe-Universität Frankfurt haben von Ende April bis Anfang Mai 25.000 Mütter und Väter zu den Auswirkungen des Lockdowns befragt. Vor allem haben sich erwerbstätige Mütter beteiligt. Sie berichten von Schuldgefühlen gegenüber ihren Kindern und dem Arbeitgeber, weil sie alles gleichzeitig managen müssten. Die befragten Eltern versuchten ihren Kindern Rückzugsmöglichkeiten zu Hause zu ermöglichen, für sich selbst hätten sie diese häufig nicht, schreiben die Wissenschaftler.
In der Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) aus München heißt es , Familien mit einer angespannten finanziellen Situation schätzten die Belastung ihrer Kinder deutlich höher ein als diejenigen, die mehr Geld zur Verfügung hätten (51 Prozent vs. 30 Prozent). Auch Eltern mit maximal mittlerem formalem Bildungsabschluss geben zu einem höheren Anteil an, dass ihre Kinder nicht gut mit der Situation zurechtkommen. Die Daten zeigten, „wie wichtig es für das Wohlbefinden der Kinder ist, dass es auch den Eltern gut geht“.
Der Kinderschutzbund Thüringen und die Fachhochschule Erfurt kamen bei ihrer Studie im April zu dem Ergebnis, dass besonders fehlende soziale Kontakte eine Belastung für die Familien darstellten. Fast 80 Prozent der 3.000 befragten Eltern äußerten, dass ihr Kind etwas vermisse. Dazu zählten vor allem Spielpartner, Freunde und Großeltern. Zudem hätten viele Kinder Sorgen und Zukunftsängste in Bezug auf die eigene und auf die Gesundheit von Familienmitgliedern.
Letzteres dürfte Folge der massiven Angstkampagne durch Regierung und Leitmedien sein.
Folgen waren absehbar, politischer Lerneffekt gleich null
Die zahlreichen negativen Auswirkungen des Lockdowns auf Kinder und Familien waren für Politiker allerdings auch ohne jede wissenschaftliche Forschung bereits im Vorfeld absehbar. Die chinesischen Erfahrungen in Wuhan – etwa die stark gestiegene häusliche Gewalt – wurden hierzulande früh thematisiert. Die Gefahren für Kinder und Familien waren jedoch unerheblich für politische Entscheidungen. Umso erschreckender ist dies, da doch laut Artikel 6 des Grundgesetzes die Familie „unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung“ stehen soll.
Haben Regierungsverantwortliche aus dem Lockdown gelernt? Was Kinder und Familien angeht, muss diese Frage mit „nein“ beantwortet werden. Auch nach einem halben Jahr warten Familien noch immer auf staatliche Unterstützungsleistungen. Nicht mal die angekündigte kleine Kindergelderhöhung wurde bislang ausgezahlt. Zudem drohen Politiker regelmäßig mit einem zweiten Lockdown in Herbst und Winter. Auch aktuell werden bei positiven Corona-Tests Klassen, Schulen oder Kindergärten geschlossen und damit örtlich immer wieder hunderte Familien in Quarantäne – also in zweiwöchige Individual-Lockdowns – gezwungen.
Was sind die Folgen der neuen Maßnahmen?
Die neuartigen Maßnahmen wie Maskentragen und Distanzierung, die nun in Schulen, Kitas und bei Freizeitveranstaltungen herrschen, werden von den Landesregierungen als Mittel zur Verhinderung eines weiteren Lockdowns verkauft. Nach den oben genannten Studien zur Nicht-Infektiosität von Kindern erscheint die Gefahr jedoch an den Haaren herbeigezogen und die Vorgaben der Landespolitiker sind dementsprechend absurd.
Während der Nutzen sich also nahe null bewegt, dürften die mittel- und langfristigen Folgen dieser Maßnahmen gravierend sein. Es geht dabei etwa um folgende Fragen: Wie wirken sich Maske und Distanz auf die Wehrhaftigkeit des kindlichen Immunsystems aus? Was werden die Folgen von eingeschränkten Sport- und Bewegungsmöglichkeiten und gleichzeitig gesteigertem Medienkonsum sein? Was löst der zunehmende Familienstress in der bevorstehenden Wirtschaftskrise aus? Welche Folgen hat es für die kindliche Sozialisation, wenn andere Menschen als permanente Ansteckungs- und Gefahrenquellen wahrgenommen werden? Was bedeutet es, wenn Kitas, Schulen und Vereine ihren Fokus dauerhaft und verstärkt auf Verhaltenskontrolle legen müssen anstatt auf Lerninhalte, Spiele und Vermittlungsmethoden? Welche Auswirkungen für das kindliche Miteinander hat andauernde körperliche Distanzierung zu anderen Kindern?
Fachverbände verweigern Antworten
Multipolar hat rund ein Dutzend Experten für Kindermedizin, Pädagogik und Psychologie angefragt, um fundierte Antworten auf diese und weitere Fragen zu den Folgen der Corona-Maßnahmen in Schulen und Kitas zu erhalten. Da die Institutionen sich den Schutz und die Gesundheit von Kindern auf die Fahnen geschrieben haben, sollten sie ein Interesse daran haben, sich hierzu unmissverständlich und öffentlich zu äußern. Doch es scheint zur „Neuen Normalität“ zur gehören, dass sich Verantwortliche aus Angst vor Konsequenzen in vorauseilendem Gehorsam wegducken. Nach zahlreichen E-Mail- und Telefonnachfragen lauteten die Antworten wie folgt:
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„Ich bedaure, wir haben nicht die personellen Kapazitäten zur Beantwortung derart umfangreicher Fragenkataloge.“ - Juliane Wlodarczak, Pressesprecherin Deutscher Kinderschutzbund Bundesverband
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„Da die Arbeitsinhalte unseres Verbandes weniger die medizinisch-fachlichen Themen sind, empfehle ich Ihnen, sich mit Ihren Fragen an die medizinische Fachgesellschaft DGKJ oder unseren Dachverband DAKJ zu wenden.“ - Jochen Scheel, Gesellschaft der Kinderkrankenhäuser und Kinderabteilungen in Deutschland
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„Vor diesem Hintergrund bitten wir daher um Verständnis, dass wir von einer Beantwortung Ihrer Fragen absehen müssen." - Dr. Christian Fricke, stellvertretender Generalsekretär, Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ)
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„Für die Beantwortung dieser Fragen ist die DGKH nicht der geeignete Ansprechpartner. Ich bedaure daher, Ihnen für die Beantwortung nicht zur Verfügung stehen zu können." - Dr. Peter Walger, Arzt für Innere Medizin, Intensivmedizin, Infektiologe; Vorstand Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene
Andere Ansprechpartner erklärten, sie seien im Urlaub oder die Presseanfrage sei „untergegangen“. Manche erklärten ihre Nicht-Zuständigkeit. Andere wie etwa die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) verwiesen nur auf veröffentlichte allgemeine Konsenspapiere, in denen jedoch keine der konkreten Fragen beantwortet wird. Weitere Angefragte – etwa Pädagoginnen und Psychologinnen von verschiedenen Unis – sind komplett abgetaucht.
Beachtlich ist dies auch, weil viele der persönlich angefragten Experten in den etablierten Medien regelmäßig ihre Statements abgeben. Bemerkenswert ist zudem, dass alle hauptberuflichen Erzieher und Lehrer, die Multipolar zusätzlich angefragt hatte und deren Informationen in diesen Text eingegangen sind, aus Angst vor beruflichen Konsequenzen nur anonym zitiert werden wollten.
Dies ist eine Situation, die der Autor dieses Artikels während seiner gesamten journalistischen Tätigkeit noch nicht erlebt hat. Die These sei erlaubt: Der brachiale öffentliche Druck, den Politik und Medien beim Thema Corona erzeugt haben, hat offensichtlich ein gesellschaftliches Klima extremer Angst hervorgerufen, das inzwischen geradezu inquisitorische Ausmaße annimmt. Nur wenige Fachleute haben den Mut, sich öffentlich kritisch zu äußern.
Ein Psychotherapeut antwortet
Nur ein einziger Experte hat die Fragen zu den Folgen beantwortet. Der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Uwe Brandes vom Winnicott-Institut in Hannover erläuterte, dass er wegen der langen Warteliste bislang nur mit Patienten aus der Vor-Corona-Zeit zu tun hatte. Beim Blick auf bisherige Ambulanztelefonate habe er nicht festgestellt, dass vermehrt Patienten mit Ängsten angemeldet würden. Zu den langfristigen Folgen der Maßnahmen sagt Brandes:
„Ich vermute, dass sich die Schere in unserer Gesellschaft weiter spreizen wird. In ‚Bildungsbürgerfamilien‘ wird es kein Problem sein, die Einschränkungen auszugleichen, in der Schule am Ball zu bleiben etc. Die Familien, die schon vor der Krise auf Hilfen von außen angewiesen waren, werden sich weiterhin nicht ausreichend um ihre Kinder kümmern können. Fehlen dann noch Betreuungsangebote, strukturierende Hilfen, werden diese Kinder in ihrer Entwicklung stark behindert. Ich vermute, dass diese Kinder (mehr als andere) krankheitswertige Symptome entwickeln werden, die sich über die Zeit verfestigen und im normalen psychotherapeutischen Setting nicht mehr behandeln lassen. Um das zu verhindern, brauchen wir Konzepte, die diese benachteiligten Familien/Kinder in den Blick nehmen und für Ausgleich sorgen.“
Andere Kinderärzte sprechen Klartext
Immerhin äußern sich auch kritische Mediziner außerhalb der Fachverbände in privaten Initiativen zu den Folgen der Corona-Maßnahmen für Kinder. Und sie finden klare Worte. In NRW kritisierten Ärzte in einem offenen Brief an NRW-Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP) die Maskenpflicht als „entwicklungsgefährdenden“ Einschnitt in die Erziehung, das Lernen und die Sozialentwicklung von Schülern. Die Gesamtheit der Maßnahmen erzeuge Angststörungen, Schlafstörungen und Verhaltensstörungen wie etwa die Entwicklung eines Waschzwangs bei den Kindern. Die Ärzte seien in ihren Praxen nun vermehrt mit solchen Folgen konfrontiert. „Nichts haben Kinder in diesen Monaten intensiver gelernt als: Ich bin eine Gefahr für andere und andere sind eine Gefahr für mich!“, heißt es in dem Schreiben.
Auch der Münchener Kinderarzt Martin Hirte bekräftigt, die neuartigen Corona-Regeln erzeugen bei Kindern Zwangshandlungen, Angst und Schuldgefühle. Mit seinem Münchener Kollegen Steffen Rabe hat er kürzlich einen offenen Brief gegen die bayrische Maskenpflicht an Schulen veröffentlicht. Darin warnen die beiden Kinderärzte:
„Die verordneten Verhaltensmaßregeln bremsen Kinder in den ihnen ureigensten zwischenmenschlichen Interaktionen und in ihrer sozialen Entwicklung und bringen sie – da sie ihren natürlichen Entwicklungsbedürfnissen diametral entgegenstehen – zwangsläufig in schwere psychische und soziale Konflikte. In letzter Konsequenz nehmen sie den Kindern ihre Würde. (...) Ein normales Schulleben ist unter diesen Bedingungen nicht vorstellbar, und für viele Schüler wird der Schulalltag zur Qual.“
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