Bild: Screenshot ZDF Markus Lanz

Ein Moderator sieht rot

Markus Lanz hatte am Donnerstag Ulrike Guérot in seine Talkshow zum Thema Ukraine eingeladen. Der Moderator verlor im Verlauf der Sendung rasch jede Contenance, verließ seine journalistische Rolle und mutierte zum Angreifer, nachdem Guérot Fragen zu den Kriegszielen gestellt und einen Waffenstillstand statt Waffenlieferungen gefordert hatte.

PAUL SCHREYER, 3. Juni 2022, 7 Kommentare, PDF

Dass Medien eine weitere Intensivierung des Krieges als notwendig darstellen, ist mittlerweile Alltag. Dennoch markierte die Lanz-Ausgabe vom 2. Juni 2022 einen besonderen Höhepunkt. Eingeladen waren unter anderem die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages und seit wenigen Wochen außerdem Vizepräsidentin der Deutschen Atlantischen Gesellschaft, einer Nato-Lobbyorganisation, sowie Frederik Pleitgen, Sohn des langjährigen WDR-Intendanten Fritz Pleitgen und seit vielen Jahren Senior International Correspondent bei CNN. Als Gegenpart durfte die Professorin für Europapolitik Ulrike Guérot in der Runde Platz nehmen, zuletzt Autorin des kontrovers diskutierten Bestsellers "Wer schweigt, stimmt zu".

Strack-Zimmermann hatte Guérot für Ihre Forderung nach Frieden in der Ukraine bereits Anfang Mai scharf kritisiert („unfassbar widerwärtig, irre“). Auch in der Talkshow traten die Politikerin und der CNN-Journalist Guérot entschieden, teils aggressiv entgegen. Doch als ihr eigentlicher Gegner entpuppte sich Lanz selbst.

Nachdem Guérot in einem ersten Statement angeführt hatte, dass Putin Sicherheitsgarantien wolle, was ein Schlüssel für ein Ende des Krieges sei, sprach Lanz leise in die Runde: „Wer fängt an?“ Gemeint war offenkundig, welcher der Gäste Guérot zuerst widersprechen wolle. Schon mit dieser Eröffnung war klar, worum es in den folgenden Minuten gehen sollte – eine umfassende Zurechtweisung des Gastes.

Diese Konstellation ist in den letzten Jahren immer mehr zum Standard in den Medien geworden ist: Man lädt einen Menschen mit abweichender Meinung ein, fährt dann aber eine Breitseite von Gegnern auf, die diesem Gast kollektiv und unmissverständlich klar machen, dass und warum er sich irrt. Darin liegt auch eine Belehrung des Publikums: Schau, so kann es auch Dir ergehen, wenn Du eine andere Meinung öffentlich äußerst.

Das besondere hier: Als Chefankläger in der von zwei Millionen Zuschauern verfolgten Sendung trat der Gastgeber persönlich auf – der damit seine Moderatoren-Rolle weitgehend verließ. Deutlich wurde im Verlauf der Sendung die Unmöglichkeit, das Thema Ukraine-Krieg überhaupt noch grundsätzlich kontrovers zu diskutieren. Verloren gegangen scheint auch die Bereitschaft, dem andersdenkenden Gegenüber gute Absichten zu unterstellen. Es herrscht stattdessen die einengende, beklemmende Atmosphäre eines großen Misstrauens.

Dazu kommt vielfach die Ersetzung von Logik durch moralische Empörung. So konterte Strack-Zimmermann Guérots Verweis auf strategische Überlegungen und die Motivation Putins mit dem schlichten Satz: „Da sterben Menschen“. Mit anderen Worten: Wie könne man ernsthaft solche Fragen erörtern, wenn es doch jeden Tag Tote gebe. Die permanente Dringlichkeit, die jedes grundsätzliche, tiefergehende Nachdenken und Zweifeln verbietet und zum sofortigen Handeln zwingt, ist aus der Corona-Krise bereits gut bekannt.

Einigkeit herrschte in der Guérot gegenüberstehenden Runde darüber, dass die USA alles versucht hätten, diesen Krieg zu verhindern. Lanz erinnerte daran, dass Scholz noch kurz vor dem russischen Einmarsch mit Putin an dem bizarr langen Tisch gesessen hatte. Man habe wirklich alles versucht. Dass Scholz, wie zuvor schon Macron, bei diesem Treffen Putin aber außer Floskeln wenig anzubieten hatte, blieb unerwähnt. Für Lanz zählte offenbar das mediale Bild: Scholz war „in Moskau gewesen“, habe sich daher also ernsthaft engagiert.

Als Guérot versuchte, an die Vorgeschichte des Krieges zu erinnern und dabei die Jahreszahlen 2008 und 2014 nannte, platzte dem Moderator der Kragen: „Das hilft uns doch heute nicht weiter“, was er mit einer Wiederholung des Satzes „Da sterben Menschen“ ergänzte. Guérot entgegnete, die Frage sei, was vorher stattgefunden habe. Sie erwähnte den von der OSZE registrierten massiven Beschuss im Donbass ab Mitte Februar und fragte: „Ist Putin das alleinige Übel?“ – „Die Antwort ist: ja!“, platzte es da unvermittelt aus Lanz heraus.

Als Guérot dann auch noch Henry Kissinger ins Feld führte, der zuletzt mehr Realismus in der Kriegführung angemahnt hatte, wurde Lanz ungehalten. Leute wie Kissinger seien „99 Jahre alte Männer“, Kissinger habe „auch schon viel Mist gemacht“. Strack-Zimmermann ergänzte, Guérots Äußerungen seien „das Narrativ von Putin“.

Lanz kam dann auf die Toten von Butscha zu sprechen. Mit Blick auf die russische Armee fragte er eindringlich: „Was sind das für Menschen, die so etwas tun, (…) so bar jeder Moral?“ Die naheliegende – und, man könnte meinen, auch insinuierte – Antwort: „Unmenschen“ oder vielleicht sogar: „Untermenschen“ wagte zwar niemand in der Runde zu geben, doch der Gedanke war greifbar.

Guérots Versuche, dennoch rationale, strategische Fragen zu erörtern („Was ist eigentlich das Ziel für Europa?“) blieben angesichts der moralischen Dauer-Empörung der von Lanz angeführten Runde allerdings zum Scheitern verurteilt. Strack-Zimmermann versuchte zwar eine Antwort: „Die Integrität der Grenzen“. Doch Guérots Nachfrage: „Wo wollen Sie hin?“ schwebte bis zuletzt unbeantwortet über dem – publikumslosen – Fernsehstudio.

STRUPPI, 3. Juni 2022, 09:40 UHR

Früher war ich mal ein ständiger Verteidiger des ÖRR und hielt ihn einst als eine Option der freien Meinung. Mittlerweile schaue ich mir nur noch Tier- und Weltalldokus (selbst die werden mittlerweile skurril - aber anderes Thema) dort an, daher bemerke ich solche Dinge nur noch über Dritte. Mir wurde dort auch zugetragen, dass Wagenknecht bei Lanz zum gleichen Thema ähnlich "behandelt" wurde. Die Kriegstreiberei der Journalisten, die wir finanzieren, kennt keine Grenzen mehr. Das dabei Untertöne mitschwingen, die mit unserer historischen Vergangenheit, neben der Kriegsgefahr noch andere Gefühle auslösen, scheint ihnen in ihrer Rechthaberei nicht mehr bewusst zu sein.

Passend dazu hatte ich die Tage das Video über Bonhoeffers Theorie der Dummheit gesehen. Er hat die Gedankenwelt dieser Menschen, kurz bevor er erhängt wurde, sehr anschaulich skizziert.

RALLE, 3. Juni 2022, 10:50 UHR

Marcus Lanz hatte schon sich schon 2014 als das gezeigt, was er ist: Ein Propagandist, kein Journalist. Zur Erinnerung: Seinerzeit wollte er Frau Wagenknecht "grillen". Das ging aber nach hinten los: https://www.hna.de/kultur/tv-kino/petition-gegen-markus-lanz-86000-unterschriften-fordern-zdf-rauswurf-zr-3328573.html

Heute, acht jahre später, hat er noch immer nichts gelernt. Aber wozu auch. Die meisten Leute schauen ÖRR (egal, ob Tagesschau, Lanz, Illner usw.) und glauben, was sie sehen.

Wenn es uns nicht gelingt, diesen ÖRR zu zwingen, endlich seinen Programmauftrag zu erfüllen und "Objektiv" zu informieren, sehe ich schwarz. Wir müssen leider fast alles, was der ÖRR zur Ukraine bringt, als NATO-Propaganda in die Tonne treten. Bei einem so wichtigen Thema (wir schrammen hier an einem 3. Weltkrieg vorbei) darf es nicht sein, dass grüne kriegsgeile Transatlantiker die Politik und das Informationsgeschehen dominieren. Selbst habe ich die Konsequenz gezogen und zahle für die nicht mehr. Es ist einfach und kostet nicht viel. Die 4 Schritte sollte jeder unternehmen: https://leuchtturmard.de/

RIPPLE, 3. Juni 2022, 11:30 UHR

Ich habe kürzlich "Geschichte eines Deutschen. Die Erinnerungen 1914-1933" von Sebastian Haffner gelesen. Haffner hatte diesen Text zeitnah, 1939 im Exil, geschrieben. Also nicht erst lange hinterher, sondern auf Basis seiner frischen Erinnerungen und Eindrücke.

Man kennt die deutsche Geschichte ja. Deshalb hatte ich Parallelen zu heute zwar erwartet, aber nicht diesen Hammer. "Geschichte eines Deutschen" ist eines der wichtigsten Bücher, nicht nur zur Coronaaktion des Kapitals und zum Ukrainekrieg, sondern insgesamt zur Installation des 4. Hauptwegs zum Selbsterhalt des Kapitals ("Pandemien", Zerstörung aller Ebenen unseres Lebens inkl. Krieg und weltweiten Hunger als Vorbereitung für die allgemeine Akzeptanz der "Neuen Normalität" mit Neuen Menschen).

Näheres dazu habe ich hier mal angedeutet:
https://multipolar-magazin.de/artikel/der-dollar-schluckt-den-euro#diskussion

In gewisser Weise kommt auch Markus Lanz in Haffners "Geschichte eines Deutschen" vor. Zwar nicht als Markus Lanz, noch nicht mal als individualisierte Einzelperson, aber trotzdem in einer Schlüsselrolle.

Als vor etwa 90 Jahren (noch vor 1933) die Vorläufer der heutigen Faschisten anfingen, die Straßen zu beherrschen, machten sie das über Schlägertrupps, die anfangs vor allem Kommunisten und Sozialisten auflauerten (gegen Juden wandten sie sich erst später), dann in deren Versammlungen und schließlich auch in deren Häuser eindrangen. Das waren von der Bewegung nicht nur unterstützte und beschützte, sondern von der Bewegung (später die Partei) entsandte halbstarke, primitive, ultrabrutale Schläger, die absolute Handlungsfreiheit hatten und auf nichts Rücksicht nehmen mussten.

Aufgabe dieser Schlägertruppen war nicht nur, die Opfer einzuschüchtern und zu vernichten, sondern es war auch und vielleicht sogar hauptsächlich ihre Aufgabe, der normalen, unbedarften Bevölkerung ein Feld aus Handlungs- und Reaktionsoptionen zu bereiten, in welchem der normale Bürger zwar nicht unbedingt bis an die durch die Schlägertruppen weit über den Rand aller Ethik und Vernunft hinausgeschobenen Grenzen gehen musste, aber nun durfte. Es wurde vom normalen Bürger erwartet – ohne dass das expressis verbis ausformuliert werden musste –, dass er sich mit seinen Reaktionen auf damalige "Querdenker" innerhalb dieses durch die Schlägertruppen eröffneten Feldes aus Handlungs- und Reaktionsoptionen bewegt.

Auch heute wieder beteiligen sich neben Politikern zwar auch Regimewissenschaftler und Regimerichter nach Kräften an der Eröffnung und Ausgestaltung dieses antizivilisatorischen Feldes, die Hauptaufgabe hierbei kommt aber den heutigen Inkarnationen der damaligen Schlägertruppen zu, den Regimepropagandisten in den Medien. Und damit wären wir eben bei Markus Lanz.

Und wer wäre denn bei Markus Lanz nicht an den "Duktus" des Nazirichters Roland Freisler einnert?

JAMES B., 3. Juni 2022, 18:30 UHR

Neben der von Ripple ausgeführten Komponente der Gefügigmachung, Unterwerfung und Einnordung (wie auch immer man diesen imminenten Konformitätszwang nennen mag), steht aus meiner Sicht die schiere Verzweiflung. Lanz sieht rot, denn faktisch wie inhaltlich ist er nackt.

Die braunen Horden von damals hatten noch ein großes Ziel vor Augen, welches erst erreicht werden musste: erst Deutschland und dann die ganze Welt zu beherrschen. Doch die heutigen Akteure der Marke Strack-Zimmermann und Lanz agieren bereits aus einer Position der praktisch unangefochtenen Macht.

Ihre Argumente sind dünn, fadenscheinig, halten keiner kritischen Prüfung stand, und je weiter ihre Felle davonschwimmen, umso skurriler wird das dargebotene Theater: Realsatire statt Realpolitik. Oder anders: Wenn Lanz und seine Groupies ad hominem gehen, spielt die Zeit "für Putin". Dass es nicht um ein Putin-Problem, sondern um ein Russland-China-Problem samt westlicher Containment-Komplexe geht, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Schade um die vielen in Kiew versenkten Steuerfantastilliarden und die Rundfunkgebühren, mit denen man Schulen luxussanieren und echtes Bildungsfernsehen produzieren könnte. Und danke, Paul Schreyer, für das Ansehen dieses brandgefährlichen Schwachsinns im deutschen Fernsehen an der Grenze zur Volksverhetzung.

NORBERT PIECHOTTA, 4. Juni 2022, 12:30 UHR

Guérot gehört zur intellektuellen Crème de la Crème in Deutschland - fast auf dem Niveau von Drewermann und Lichtjahre entfernt von Gebühren-Schmarotzern wie Lanz, Illner und Co. oder den angemieteten oder angestellten Denunzianten von Süddeutscher, Spiegel oder FAZ, die sich ihrer intellektueller Erbärmlichkeit wahrscheinlich noch nicht mal schämen. - Strauß hätte sie - zumindest hier völlig zutreffend - als Pinscher bezeichnet und erwartbar ist nach den Erfahrungen der letzten Jahre, dass der Bodensatz von journalistischer Entartung nur ein vorübergehender Tiefpunkt ist, dem weitere unglaubliche Widerwärtigkeiten im "besten Deutschalnd aller Zeiten" noch folgen werden.

JAMES B., 4. Juni 2022, 21:30 UHR

"...intellektueller Erbärmlichkeit wahrscheinlich noch nicht mal schämen."

Au contraire, die sind sogar noch stolz darauf! Ich umschreibe ein Statement von Herrn Garthe, damals wie heute Chefredakteur der "Rheinpfalz", welches ich vor gut 15 Jahren telefonisch bekam: 'Man darf die Leser nicht überfordern.'

Derlei Politiker/Journalisten erzählen uns seit Jahren, Politik sei fürchterlich komplex. Wahrscheinlich ist dieses scheinbare Rettungsargument in all seinen Formen auch erstaunlich ehrlich: nicht als hinterlistige Beleidigung des Wählers/Publikums, sondern als Ausweis der eigenen fehlenden Sachkompetenz.

Schlechte Bildung gebiert schlechte Journalisten gebären schlechte Politik... aber auch die passenden Wähler. Deutschland hat fertig.

MATTHIAS, 7. Juni 2022, 10:55 UHR

Es war auffallend, mit welcher Feindseligkeit die FDP-Politikerin und der CNN-Journalist die Professorin für Politikwissenschaft angingen. Für Frau Strack-Zimmermann war jedes Gerücht gut genug, solange es gegen Russland ins Feld geführt werden konnte. Sie gab sich hoch empört, stellte das als selbstverständlich dar und leitete daraus sogar das Recht ab, Frau Guérot zu beschimpfen. Herr Pleitgen verstieg sich zu der Aussage, dank der „Schlacht um Kiev“ und der „Schlacht um Charkov“ sei der russische Vormarsch verlangsamt worden. Leider bzw. zum Glück gab es (bisher) keine solchen „Schlachten“, aber vielleicht ist das die offizielle Sprachregelung bei CNN?

Das Ganze führt in einen Widerspruch: Einerseits beschwört man die (tatsächlichen oder vermeintlichen) Untaten der russischen Soldaten, andererseits unterstützt man die Waffenlieferungen an die Ukraine. Dass damit der Krieg in die Länge gezogen wird und weitere (tatsächliche oder vermeintliche) Untaten geschehen, übergeht man mit hochtrabenden Floskeln über die Verteidigung „unserer“ „Freiheit“ usw. Man hat nicht einmal den Mut, die Konsequenzen der eigenen Position anzuerkennen, etwa in dem Sinne: „Ja, wir wissen, dass durch mehr Waffenlieferungen der Krieg verlängert wird, das ist nicht schön, aber wir unterstützen nun mal die Ukraine.“ Eine solche Offenheit würde jedoch die moralische Empörung über schlimme Kriegsfolgen als Heuchelei erscheinen lassen, daher vermeidet man sie, verlagert die „Diskussion“ auf die persönliche Ebene und diffamiert sachlich-abwägende Stimmen.

Der Moderator Lanz hat mit Vehemenz und mit derselben Empörung wie Frau Strack-Zimmermann die Position von Frau Guérot angegriffen. Ein solches Verhalten ist einfach nur unprofessionell, aber leider heutzutage keine Ausnahme im deutschen Fernsehen.

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