Die Demonstration am 1. August, kurz nachdem die Polizei die Bühne besetzte | Quelle: Videostandbild KenFM

Gedanken zum 1. August 2020 in Berlin

Die Versammlung am Samstag war die vielleicht größte regierungskritische Demonstration in Deutschland seit dem 4. November 1989. Die Entscheidung der Regierung, sie auflösen zu lassen, und die anschließende Ohnmacht der staatlichen Organe, diese Auflösung auch vollziehen zu können, weisen den Weg in politisches Neuland.

PAUL SCHREYER, 3. August 2020, 9 Kommentare

Wieviele Menschen haben demonstriert?

Zunächst einige Fakten zum strittigen Punkt der Teilnehmerzahl: Die Polizei spricht von 20.000 Personen, Sympathisanten der Versammlung hingegen von einer Million. Die ARD veröffentlichte am 2. August einen „Faktenfinder“-Beitrag, der feststellt, dass man „selbst bei großzügigen Berechnungen nicht auf deutlich über 20.000 Menschen“ käme, die Angaben der Polizei also richtig wären. Stimmt das? Multipolar hat nach Daten und Vergleichszahlen gesucht und nachgerechnet.

Die Demonstranten versammelten sich nach ihrem Zug durch die Stadt am Nachmittag auf der Straße des 17. Juni zwischen dem Brandenburger Tor und der Siegessäule. Dieser 1,9 Kilometer lange Abschnitt ist als „Partymeile“ bekannt, unter anderem durch die über viele Jahre dort stattfindende Loveparade. Die sechsspurige Straße ist, zusammen mit dem Mittelstreifen, den Parkspuren, Rad- und Gehwegen sowie eingeschlossenen Grünstreifen ungefähr 35 Meter breit. Vorsichtig geschätzt ergibt sich daraus eine Gesamtfläche von 35 mal 1.900 gleich 66.500 Quadratmetern. Da die Fläche zu den Außenseiten nicht begrenzt ist, sondern nahtlos in den Tiergarten übergeht, ist dies ein Minimalwert. Die Veranstalter der offiziellen Silvesterfeierlichkeiten in Berlin sprechen von einer Fläche der Partymeile von 80.000 Quadratmetern.

Wieviele Menschen befanden sich durchschnittlich auf einem Quadratmeter? Auf einer schematischen Darstellung eines internationalen Experten für die Sicherheit und Planung großer Menschenmengen ist zu sehen, wie es von oben betrachtet aussieht, wenn in einer Menge ein, zwei, drei oder mehr Menschen pro Quadratmeter stehen. Für die Demonstration vom 1. August erscheint angesichts der vorliegenden Filmaufnahmen und dieses Schemas eine Zahl zwischen zwei und vier realistisch. Daraus ergibt sich bei 80.000 Quadratmetern eine Teilnehmerzahl zwischen 160.000 und 320.000. Dass eine solche Menge tatsächlich auf diesem Staßenabschnitt Platz findet, wird bestätigt durch Aussagen des Leiters des Straßen- und Grünflächenamtes Berlin Mitte, Harald Büttner, von 2013, demzufolge 300.000 Besucher auf der Partymeile möglich wären.

Zu den Polizeiangaben: Selbst wenn man eine angesichts der vorliegenden Bilder eher niedrig erscheinende Zahl von zwei Personen pro Quadratmeter annimmt, würde das bei 20.000 Demonstranten bedeuten, dass der Platz zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule nur zu einem Achtel gefüllt und somit zu fast 90 Prozent leer gewesen wäre – was offenkundig nicht stimmt. (Zur Teilnehmerzahl siehe auch die nachträgliche Ergänzung am Ende des Artikels.)

Fazit: Die angebliche „eine Million“ ist den vorliegenden Daten zufolge ebenso stark übertrieben (da faktisch auf dieser Fläche unmöglich), wie die Polizeiangaben von 20.000 extrem untertrieben sind. Realistisch erscheint eine Besucherzahl im unteren bis mittleren sechsstelligen Bereich. Das heißt:

  • Es handelt sich wohl tatsächlich um die größte regierungskritische Demonstration in Deutschland seit dem 4. November 1989.

  • Polizei und Medien täuschen die Öffentlichkeit massiv.

Die Polizei „beendet“ die Demonstration

Das Schlüsselereignis des Tages war die Besetzung der Bühne durch die Polizei kurz vor 17 Uhr und die anschließende Durchsage: „Ihre Versammlung ist hiermit aufgelöst“ – was vom Publikum mit den Sprechchören „Wir bleiben hier“ und „Wir sind das Volk“ quittiert wurde.

An dieser Aktion fallen zwei Aspekte ins Auge. Der eine ist der formale: Bürgern das Demonstrieren verbieten zu wollen, weil sie amtliche Vorgaben (Abstand, Maske) nicht befolgen, deren Strittigkeit ja überhaupt erst das Anliegen (!) ihres Protestes ist, grenzt ans Absurde. Es gehört zur Wahrheit, dass aktuell fast 20 Prozent der Deutschen die Corona-Maßnahmen der Regierung für übertrieben halten. Man darf annehmen, dass sich diese 15 Millionen Bundesbürger durch die Demonstranten in Berlin zum großen Teil vertreten fühlen – das Anliegen also eine erhebliche Legitimation in der Bevölkerung besitzt.

Der andere, ebenso entscheidende Aspekt der Demo-„Auflösung“ ist der politische: Die Auflösung ließ sich nicht durchsetzen. Die Bürger ignorierten die Anweisung einfach und blieben friedlich stehen – mit Erfolg. Wie sollte es auch anders sein: Der Protest einer sechsstelligen Menge lässt sich grundsätzlich nicht „von oben“ beenden, ohne dabei massive (und schlimme Bilder erzeugende) Gewalt anzuwenden. Hätte die Polizei solche Gewalt angewandt, wäre die Regierung in der Folge unter massiven Druck geraten – ein PR-Supergau.

Dies ist das Wesen und der Sinn großer Demonstrationen: Eine Regierung, und zwar egal ob nun in Paris, Peking oder Berlin, kann hunderttausende protestierende Menschen nicht ignorieren. Menschen in so großer Zahl sind eine Kraft, die allein durch ihren friedlichen Protest Tatsachen schafft. Die Bundesregierung, der diese Erfahrung neu ist, steckt zur Zeit mitten in einem Lernprozess. Das Verhalten der Polizei zeugte von großer Rat- und Hilflosigkeit. Man ist, so scheint es, mit seinem Latein am Ende.

Der 1. August 2020 hat eine Tür für politische Möglichkeiten aufgestoßen.

Livestreams der Demonstration:

Stefan Bauer (9 Stunden)
Samuel Eckert (6 Stunden)
RT Deutsch (8 Stunden)

Anmerkung: Der öffentlich-rechtliche Nachrichtensender Phoenix (Slogan: „Das ganze Bild“) berichtete nicht live. Dort wurde am Nachmittag der Demonstration folgendes Programm ausgestrahlt: 15:00 Uhr: Königliche Dynastien – Die Grimaldis, 15:45 Uhr: Königliche Dynastien – Die Bernadottes, 16:30 Uhr: Königliche Dynastien – Die Welfen, 17:15 Uhr: Die Adria der Habsburger, 18:00 Uhr: Habsburg und die Alpen.

Die Tagesschau litt unter ähnlichem Realitätsverlust: Sie meldete am Abend des 1. August in einem Bericht zur Demonstration, „dass die Polizei eingriff und die Veranstaltung beendete. Die meisten der etwa 20.000 Teilnehmenden verließen dann unter Protest langsam den Ort. Wer sich weigerte, wurde von der Polizei entfernt.“ Das Gegenteil war der Fall, wie die vorliegenden Livestreams dokumentieren.

Ergänzung 4.8.: Es fehlen weiterhin Luftbilder von der Demonstration, die die Polizei aber offenkundig besitzt, da sie mit einem Hubschrauber über dem Geschehen kreiste. Rubikon-Herausgeber Jens Wernicke wird Ende der Woche auf Herausgabe dieser Bilder klagen, sollten sie bis dahin nicht vorgelegt werden. (Zusatzinformationen der Polizei dazu in der 2. Ergänzung unten.)

Beim Foto, mit dem der ARD Faktenfinder argumentiert, ist der Aufnahmezeitpunkt unklar, womit die Beweiskraft in sich zusammenfällt. Selbstverständlich schwankte die Besucherzahl zwischen 11, 13 und 15 Uhr erheblich. (Der Aufnahmezeitpunkt ist inzwischen geklärt, siehe die 2. Ergänzung unten.)

Eine Sichtung von Videomaterial macht außerdem deutlich, dass viele tausend Demonstranten nicht direkt auf der Straße des 17. Juni standen, sondern sich im unmittelbar angrenzenden Tiergarten aufhielten, um an diesem knapp 30 Grad heißen Tag Schatten zu suchen.

Mit Blick auf die Gesamtteilnehmerzahl existieren außerdem belastbare Filmaufnahmen. Bevor die Menge sich auf der Straße des 17. Juni versammelte, zog sie, wie erwähnt, als Umzug durch die Stadt. Ein Beobachter filmte die vorbeiziehende Menge von einem festen Punkt aus (Standort Friedrichstraße, Brücke über die Spree, Blickrichtung Süden). Im Video ist ab Minute 27 zu sehen, wie die dichtgedrängte Menge in normaler Schrittgeschwindigkeit (ca. 4 km/h) vorbeizieht. Nach etwas über einer Stunde ist der Zug noch immer nicht vorbei. Seine Länge beträgt somit mehr als vier Kilometer. Die Friedrichstraße ist etwa 20 Meter breit und circa 20 Personen laufen nebeneinander. Geht man, zurückhaltend geschätzt, von einer Person pro Quadratmeter aus, so enthält der Zug mehr als 80.000 Menschen. Die Polizeiangabe von 20.000 Menschen ist auch durch diese Videoaufnahme als grobe Fälschung entlarvt.

Weiterhin liegt inzwischen eine Zeugenaussage vor (Transkript hier), wonach ein Einsatzleiter der Polizei am frühen Nachmittag dem mit Bussen an der Demonstration beteiligten Busunternehmer Thomas Kaden mitteilte, dass die Polizei selbst von "800.000 Menschen in diesem Demonstrationszug" ausgehe. Es scheint, als ob später, irgendwann im Laufe des Nachmittages eine offizielle Sprachregelung ("20.000 Demonstranten") ausgegeben wurde, an die die Polizei sich fortan auch hielt. Wer dazu, eventuell mit Insiderwissen, nähere Angaben machen kann, der melde sich bitte bei Multipolar.

2. Ergänzung 4.8.: Correctiv hat inzwischen einen Faktencheck zur Frage der Teilnehmerzahl veröffentlicht. Darin wird die Polizei zu den von ihr gemachten Luftbildern so zitiert: "Der Polizeihubschrauber hat eine Kamera an Bord. Von dort findet eine Direktübertragung der Bilder an den Führungsstab statt. Dieser nimmt anhand der Bilder dann eine Schätzung vor. Gespeichert werden die Bilder jedoch nicht, da dies datenschutzrechtlich verboten ist."

Im Faktencheck-Artikel von Correctiv findet sich ein ähnliches Foto der Demonstration wie im Beitrag des ARD Faktenfinder. Correctiv gibt an, von der dpa erfahren zu haben, dass dieses Bild zwischen 16:03 Uhr und 16:10 Uhr entstanden ist, also etwa auf dem Höhepunkt der Veranstaltung.

Multipolar hat heute mit dem Fotografen des Bildes telefoniert und dabei erfahren, dass das Bild von ihm von der Spitze der Siegessäule aus gemacht wurde, also keine "Luftaufnahme" ist, wie Correctiv schreibt. Zur Uhrzeit des Bildes verwies der Fotograf auf die dpa. Wir haben die Zeitangabe unabhängig überprüft. Da durchgehendes Filmmaterial (Livestream Stefan Bauer) von der Demonstration existiert, auf dem auch eine Polizeidurchsage mit der Zeitangabe 16:52 Uhr festgehalten ist (bei 5:37:00) existiert ein Referenzpunkt, anhand dessen man eine Aufnahme der Bühne um 16:03 finden kann (bei 4:48:30). Anhand der Position der Personen auf der Bühne ist ersichtlich, dass die Zeitangabe der dpa zutrifft.

Was Correctiv und die meisten anderen Medien allerdings übersehen (und auch in der ersten Version dieses Beitrags nicht berücksichtigt wurde): Auf dem Foto (ein ähnliches Bild eines anderen Fotografen findet sich hier) ist nur ungefähr die halbe begehbare und befestigte Straßenbreite sichtbar, gut 18 von 35 Metern. Der Rest – Parkspuren, Rad- und Gehwege, sowie dazwischenliegende Grünstreifen, die ebenfalls mit Menschen gefüllt waren – sind im Foto durch Baumkronen verdeckt. Darüberhinaus hielten sich, wie oben schon erwähnt, viele Tausend Menschen abseits der Straße und Gehwege im unmittelbar angrenzenden schattigen Tiergarten auf – was durch zahlreiche Fotos und Videos belegt ist (danke an mehrere Leser, die uns Bilder zusandten). Daher ist es durchaus möglich, dass auf dem Foto, das ARD Faktenfinder und Correctiv zeigen, tatsächlich nur eine Menschenmenge im mittleren fünstelligen Bereich zu sehen ist – was aber wenig über die Gesamtzahl der Teilnehmer aussagt.

3. Ergänzung 5.8.: Der Journalist Robert Fleischer hat die bislang gründlichste Recherche zur Frage der Teilnehmerzahl veröffentlicht. Er präsentiert neben dem Busunternehmer Thomas Kaden einen weiteren Zeugen vor der Kamera – den Versammlungsleiter des Umzugs durch die Stadt, Nils Wehner –, der ebenfalls berichtet (Minute 9 des Videos), am frühen Nachmittag von dem für ihn zuständigen Verbindungsmann der Polizei erfahren zu haben, der Umzug hätte Luftbildern der Polizei zufolge geschätzt 800.000 Teilnehmer. Offenbar hatte der größte Teil der Demonstranten des Umzugs es gar nicht bis auf die Straße des 17. Juni geschafft.

RONNY STRITZKE, 3. August 2020, 08:45 UHR

Besten Dank für die Recherche, nachvollziehbar und mathematisch hinterlegt.

CHRISTIAN SCHANTZ, 3. August 2020, 18:45 UHR

Die Frage ist, ob die Straße des 17. Juni vom Siegesstern bis zum Brandenburger Tor wirklich voll war. Gibt es Luftbildaufnahmen vom Sonntag, die das belegen? Das verlinkte Video "Zug durch die Stadt" lässt auf jeden Fall darauf schließen, dass es viel mehr als 20 000 Menschen waren. Die mit Abstand größte regierungskritische Demonstration, die ich in meiner Berlinzeit von 2002-2017 erlebt habe, war die Gegen TTIP-Demo vom 10.10.2015. Damals sprach die Polizei von 150 000 Teilnehmern. Das gesamte Regierungsviertel war damals so voller Menschen, dass die S-Bahnen nicht mehr am Hauptbahnhof hielten.

Ich würde mir wünschen, dass es letzten Sonntag mehr Menschen waren, kann es mir aber nicht vorstellen, da das Bündnis gegen TTIP 2015 soviel breiter war, als die Bewegung gegen das regierungstreue Coronanarrativ. Die Tagesthemen am 10.10.2015 haben übrigens nur sehr kurz über die TTIP Demo berichtet. Am selben Tag gab es einen Anschlag in Ankara. Darauf konzentrierte sich die Berichterstattung.

BERNHARD MÜNSTERMANN, 3. August 2020, 19:15 UHR

Vielen Dank für den abermals deeskalierenden Artikel, der sich auch bei den Teilnehmerzahlen methodisch bemüht, der Abbildung von "Realitäten" am 1.8.2020 in Berlin der Wahrheit anzunähern und im Kontext einzuordnen. Ich rate davon ab, sich jetzt verbissen einen Fight wegen der Teilnehmerzahlen 1.8.2020 in Berlin mit dem Mainstream zu liefern. Beide Seiten haben nur Schätzverfahren und subjektive Eindrücke auf der Basis unterschiedlicher Interessen. Das kennen wir von der Inaugurationsfeier Donald Trump zu Beginn seiner ersten Präsidentschaft. Filme und auch der zuletzt vom DW verlinkte Film geben eben keinen eindeutigen Aufschluss, Fotos müssen erst sorgfältig analysiert werden, wie es im Artikel von Paul Schreyer angegangen wird.

Besser scheint mir ein gelassenerer Ton, unbedingt selbst den Schauplatz der Auseinandersetzung zu bestimmen. DW und die Veranstalter hätten sich 5 Millionen mehr Menschen in Berlin zweifellos gewünscht. Die Bundesregierung und ihr zur Seite stehende Teile der Exekutive hätten sich zehntausende weniger als Teilnehmer dieser Demonstration von geschmähten Coronaleugnern, Antisemiten und BDS-Unterstützern, Verschwörungstheoretikern, Rechtsradikalen, Reichsbürgern, Aluhut-Trägern, verantwortungslosen Extremisten, Spinnern, Esoterikern, Kriminellen und was dergleichen Etikette mehr sein mögen, sie hätten sich alle weniger Teilnehmer gewünscht.

Zur Kommunikation scheint mir mit Blick auf die Teilnehmerzahlen der Vergleich mit dem Keil von Menschen in einer Seitenstraße von Paris im Jahr 2015 geeignet, der aus einer relativ tiefen Perspektive auf Foto- und Filmaufnahmen so aussah, als führten die Regierungschefs höchstselbst die Demo wegen des Terroranschlags gegen die Redaktion von Charlie Hebdo an. Ein Anschlag gegen diese grottenschlechte französische Zeitschrift von großer Unlustigkeit, der vermutlich auch eine staatliche Inszenierung war und als Kampagne auffällig hochgezogen wurde in den Medien. Das wäre im Detail noch zu untersuchen. Man weiß jedoch, dass auf einem der Dächer dankenswerterweise ein Fotograf die Szene abbildete, dass er sie dokumentierte und so der medial inszenierte Schwindel rasch aufflog. Die warmherzig mitfühlenden World Leader und ihre Hofberichterstatter waren als Betrüger entzaubert.

Mehr als die Anzahl der Menschen im Keil, hinter denen vorgeblich Millionen Menschen 2015 in Paris marschierten, mehr als hinter der Regierungselite stehend für die 2015 inszenierte Szene waren am Sonntag 1. August 2020 zweifellos in Berlin, um das Ende der Pandemie auszurufen. Man kann das auf dem Foto aus dem Dachbereich im Zweifel leicht überprüfen. Man könnte die Leitartikler in den Mainstreammedien ganz selbstbewusst einmal fragen, ob sie dieser Bewertung heute nicht auch zustimmen können.

SONJA, 4. August 2020, 00:20 UHR

Vielen Dank an Paul Schreyer für die wie immer scharfsinnige, klare Analyse! Mit der Schätzung der Demonstranten-Zahlen bin ich aber als Person, die die Menschenmassen vor Ort miterlebt hat, nicht einverstanden. Wer weiter recherchieren möchte: hier findet sich eine Aufnahme des gesamten Demonstrationszuges von einer S-Bahn-Brücke aus: https://www.youtube.com/watch?feature=youtu.be&v=gKuGWFeQCN4&app=desktop

Wichtig bei der Schätzung der Teilnehmerzahlen auf der Kundgebung scheint mir noch, dass ein erheblicher Teil der Demonstrant/innen in den Tiergarten auswich, entweder, um sich vor der den ganzen Tag brennenden Sonne zu schützen, oder, um über den Park überhaupt noch Zugang zum Gelände zu bekommen, da die Straße selbst, während immer noch weiter Demonstranten nachströmten, bereits von querstehenden Polizeiautos blockiert wurde, die wegen Überfüllung keine Personen mehr auf das Gelände lassen wollten (diese Polizeiautos und der endlose Strom nachkommender Demonstranten sind auf der bekannten Aufnahme von der Siegessäule aus gut erkennbar).

Interessante Informationen zur Teilnehmerzahl liefert auch das Rubikon-Interview mit den beiden Bus-Unternehmern: https://www.youtube.com/watch?v=QJOtI1xaiP0. Die geplante Bus-Demonstration musste wegen der hohen Teilnehmerzahl ausfallen, da der endlose Demonstrationszug den Bussen nicht den ursprünglich geplanten Korridor freiließ. In Minute 13:55 sagt Thomas Kaden, dass er vom zuständigen Polizei-Einsatzleiter die Angabe von 800 000 Demonstranten erhielt. Diese Aussage ist er, wie er gegen Ende des Interviews betont, bereit, auch auf seinen Eid zu nehmen. Kollegen hätten von der Polizei später noch höhere Teilnehmerzahlen genannt bekommen.

Auch die Angabe von 1,3 Millionen Demonstranten stammte nach Aussage der Versammlungsleiter von der Polizei vor Ort. Ich denke, man kann davon ausgehen, dass die Polizei in der Schätzung solcher Zahlen erfahren ist.
 
Quantität ist nicht das wichtigste Kriterium, aber wenn eine große politische Protestbewegung, die sich für solch elementare Rechte wie Freiheit und körperliche Unversehrtheit (auch gegenüber experimentellen, genomverändernden Impfstoffen) einsetzt, in Orwell'scher Manier durch Medien und Politik und sogar durch die offizielle Polizeistatistik quasi unsichtbar gemacht wird (https://www.youtube.com/watch?v=aEYxw4Z5PdU), bin ich nicht bereit, auch nur einen Zollbreit an Legitimationsgrundlage durch Unterschätzung von Demonstrantenzahlen abzugeben.

PAUL SCHREYER, 4. August 2020, 00:25 UHR

Danke für die Ergänzungen! Wir haben uns gekreuzt, da ich gleichzeitig mit Ihrem Kommentar gerade ein Update mit den (teils) gleichen Informationen unter dem Artikel ergänzt habe. :-)

MARKUS HOPFENSPIRGER, 4. August 2020, 23:55 UHR

Hallo Multipolar-Team,

ich war am Samstag auf der Demo in Berlin. Eure Berechnung finde ich sehr realistisch. Ich würde auch von ca. 2 Menschen pro m² ausgehen. Allerdings reichte die Demo Fläche nicht bis zum Brandenburger Tor sondern „nur“ bis über den „Tunnel Tiergarten“. Die Fläche war also ca. 1,2 km lang und 35 breit. Zusätzlich sollte man ca. 200 Meter für die Polizeisperren auf beiden Seiten und die Bühne abziehen. => ca. 1000x35m = 35.000 m² = 70.000 Menschen.

Ich war am Vormittag im Demozug dabei. Dieser dauerte so lange, dass ich, obwohl ich ca. in der Mitte des Zuges war erst um 15:30 Uhr wieder am Brandenburger Tor ankam. Danach habe ich mich für 60 Minuten Abseits und im Schatten ausgeruht und bin gegen 16:30 Uhr vom Brandenburger Tor aus zur Demo. Zu diesem Zeitpunkt war die Demo-Fläche von der Polizei (über dem Tunnel Tiergarten) komplett abgeriegelt. Die vielen Menschen, die immer noch ankamen, strömten also rechts und links in den Park, welcher zu diesem Zeitpunkt schon voll besetzt war und nur wenige kletterten dann über den Zaun auf die Demo Fläche.

Die meisten Menschen standen also rechts und Links der Demo-Fläche unter den Bäumen. Diese Menschen sind auf den Luftaufnahmen nicht zu sehen, da sie von den Bäumen verdeckt werden.

Man kann also die 70.000 auf der Demo-Fläche auf alle Fälle verdoppeln, evtl. sogar mal 3 oder mal 4 nehmen… (Das ist schwer zu schätzen…)

Zur sog. Qualitätspresse: Das Schlimmste an der Berichterstattung der „Qualitätspresse“ finde ich aber nicht die Zahlen, sondern die Tatsache, dass sich niemand in den Mainstream Medien um den Inhalt kümmert. Nicht einmal die Veranstalter sind in Interviews zu Wort gekommen. Mir ist völlig unklar, warum es noch Menschen gibt, die diesen Unsinn lesen oder anschauen… (Ich habe meinen Fernseher bereits vor 22 Jahren verschenkt) Wie schon bei den Friday For Futures Demos lenkt die Presse durch Denunzierung der Demonstranten von den Inhalten ab, um eine sachliche Diskussion, ums eigentliche Thema, erst gar nicht aufkommen zu lassen…

Mir ging es bei der Demo um „Wissenschaft statt Panikmache“, was auch auf meinem Demo Schild zu lesen war. Und auch darum, mal live zu sehen, wer wirklich auf der Demo mitmacht. „Radikale“ oder „Idioten“ habe ich keine gesehen… Im Gegenteil, ich hatte äußerst freundliche und sachliche Gespräche mit einer Doktorin der Biologie, einem Arzt, einem Mann der seit 25 Jahren Mitglied der CDU ist - usw.

Viele liebe Grüße und danke für Eure Artikel!

AYU, 6. August 2020, 01:20 UHR

Ich war von ca. 14 bis nach 19 Uhr am und im Tiergarten und auf der Straße des 17. Juni in der Nähe der Bühne anwesend und würde dieser Gesamteinschätzung ebenfalls zustimmen. Es waren noch vor Eintreffen des Zuges tatsächlich gar nicht so viele da: um die besagte Hauptbühne herum war genug Platz, um vom südlichen überblätterten Parkweg die bodenstehenden Absperrungen und Lautsprecher zu sehen; die Aufmachung der Veranstaltungstechnik, Fläche etc. wirkte zu diesem Zeitpunkt auf mich durchaus, als sei man optimistischer als ich es da war.

Keine Stunde später füllte es sich sowohl optisch als auch akustisch sehr deutlich – und das dauerte mindestens so lange an, bis die erste Polizeidurchsage erfolgt war. Danach, so mein Eindruck, war zumindest kurzzeitig eine gewisse Bewegung Vereinzelter, vielleicht gar schwache Aufbruchstimmung vorhanden und sichtbar; was aber eben nicht weniger Demonstranten bedeutet hätte! Dennoch waren unverändert viele Menschen, die sich definitiv der Demo wegen dort über Stunden aufhielten, auch im angrenzenden Weg- und Parkbereich feststellbar, mal mehr, mal weniger weit abseits vom offiziellen Demogelände "Straße", doch von einer Auflösung kann bis 18 Uhr nicht die Rede sein, nicht mal die Polizei selbst hat derart etwas unternommen, es gab drei Durchsagen, dann verließen alle Beamten die Bühne, winkten nochmal und das war alles. Danach ging das noch locker zwei Stunden ohne Unterlass: als ich die Demo gegen Sieben Richtung Brandenburger Tor verließ, war eine Menge immer noch bis hinter die Bildschirme verteilt und weiter entlang verlief es sich dann allmählich.

Korrekt und ganz wichtig ist eben genau das: Es dürften sich aus verschiedenen Gründen gut möglich ähnlich viele Teilnehmer im Schatten aufgehalten/befunden haben, also in un- sowie mittelbarer Nähe zur Straße des 17. Juni und der Bühne, als unter freiem Himmel.

LEHMBAUM, 6. August 2020, 13:55 UHR

Ein Vergleich der Hitler-Machtergreifung und jetzt des Corona-Demokratieabbaus wäre als Mahnung hilfreich. Wir sollten uns auch mit Heil Corona grüßen und anstatt Hakenkreuz Maskenzeichen am Arm tragen. Das würde viele aufwecken und durchschütteln. Das wäre vielleicht auch ein Tipp für eine Inszenierung während anderer Demos.

MICHAEL KAHLENBACH, 27. August 2020, 21:55 UHR

Zu Ihrem Artikel möchte ich einige Anmerkungen machen und ergänzend eigene Berechnungen zur Teilnehmerzahl bei dem Demonstrationszug durch Ostberlin und der Abschlusskundgebung auf der Straße des 17. Juni anbieten.

An der Richtigkeit Ihrer Kernaussage, dass sowohl die von den etablierten Medien verbreiteten Teilnehmerzahlen in der Größenordnung von 20.000 oder darunter als auch die von den Veranstaltern und vielen alternativen Medien behaupteten Millionen gleichermaßen unrealistisch sind, kann m. E. kein Zweifel bestehen.

Ich zitiere im Folgenden einige Aussagen in Ihrem Beitrag, zu denen ich Anmerkungen machen möchte:

(1) "Da die Fläche zu den Außenseiten nicht begrenzt ist, sondern nahtlos in den Tiergarten übergeht, ..."

Der Straßenbereich einschl. Park- und Grünstreifen, Fuß- und Radweg ist zum Tiergarten hin - insbesondere in dem Bereich, wo die Bühne stand, vermutlich aber auf der gesamten Länge durch einen Zaun mit angrenzenden, z. T. dichten Büschen abgetrennt, so dass die Menge der Demonstranten sich gerade nicht ohne weiteres und überall in den Tiergarten ausdehnen konnte.

(2) "... erscheint angesichts der vorliegenden Filmaufnahmen und dieses Schemas eine Zahl zwischen zwei und vier realistisch."

Durchschnittlich 4 Personen pro qm im gesamten Bereich der Kundgebung ist m. E. unter Berücksichtigung der auf den Fotos erkennbaren starken Ausdünnung am östlichen und westlichen Rand absolut unrealistisch. Dies umso mehr, als sich viele Menschen schon vor der 'Auflösung' durch die Polizei, insbesondere in den schattigen Bereichen am Straßenrand, die man auf den Fotos gerade nicht einsehen kann, auf dem Boden niedergelassen haben.

(3) "Realistisch erscheint eine Besucherzahl im unteren bis mittleren sechsstelligen Bereich."

'bis mittleren sechsstelligen Bereich' erscheint mir schon recht gewagt: Hierbei müsste man unterstellen, dass auf der gesamten Länge von der Siegessäule bis zum Brandenburger Tor im Mittlel 4 Personen pro qm gestanden und sich noch zusätzlich zigtausende im Tiergarten aufgehalten hätten. Ersteres kann man schon wegen der Polizei-Absperrung auf Höhe der Yithak-Rabin-Straße - die relevante Straßenlänge reduziert sich dadurch auf ca. 1250 m - ausschließen, letzteres deckt sich nicht im geringsten mit meinen eigenen Beobachtungen südlich der Straße des 17. Juni im Tiergarten.

Im Folgenden nun mein eigener Versuch eines 'Faktenchecks' zur Frage der Teilnehmerzahl bei der Querdenken-Demo am 01.08.2020 in Berlin.

(1) Auf welcher Länge der Straße des 17. Juni zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor fand die Kundgebung statt?

Der Abschnitt der Straße des 17. Juni zwischen zwischen Großem Stern und Yitzhak-Rabin-Straße - auf den einschlägigen Fotos ist deutlich die Polizei-Absperrung erkennbar - besitzt eine Länge von ca. 1250 m. Zu kritisieren ist natürlich, dass auf den Fotos nicht erkennbar ist, wie weit vom Großen Stern entfernt der dargestellte Abschnitt beginnt. Ich gehe im Folgenden davon aus, dass sich die Kundgebung auf eine Länge von ca. 750 m erstreckte.

(2) Wie breit ist die Straße des 17. Juni in diesem Abschnitt?

Die Breite jeder der 6 Fahrspuren beträgt mindestens 3 m, so dass ich die Gesamtbreite incl. Mittelstreifen, Parkstreifen, Grünstreifen, Radweg, Fußgängerweg auf mindestens 40 m und höchstens 50 m schätze. Hieraus lässt sich bei einer Länge von ca. 1250 m zwischen Großem Stern und Yitzhak-Rabin-Straße eine Fläche von 50.000 bis 62.500 qm ableiten.

Da wegen der großen Hitze an diesem Tag sich ein Großteil der Teilnehmer - schätzungsweise bis zu 50 % - abseits der Straße unter den Bäumen (Parkstreifen, Grünstreifen, Radweg, Fußgängerweg) aufhielt und das auf den Fotos nicht erkennbar ist, machen die sog. 'Faktenchecks' etwa auf tagesschau.de oder correctiv.org schon insofern einen großen Fehler bei der Schätzung.

(3) Wie dicht standen die Menschen?

Würde man einen m. E. realistischen Wert von im Mittel 2 Personen pro qm zugrunde legen, käme man auf eine Kapazität von 100.000 bis 125.000 Personen. Unter Brücksichtigung der Annahme in 1) (Kundgebung auf eine Länge von ca. 750 m) könnte die Teilnehmerzahl auf der Straße somit zwischen 60.000 und 75.000 gelegen haben.

(4) Wie viele Demonstranten hielten sich in den angrenzenden Bereichen des Tiergartens auf, da sie in der Nähe der Lautsprecher sein wollten, aber wegen des Gedränges auf der Straße dort keinen Platz mehr fanden, oder einfach nur wegen der Hitze Schutz im Schatten suchten?

Ich bin ab ca. 16:30 um den gesamten Demonstrationsbereich herumgegangen und bin sicher, dass es einige tausend waren; 10.000 oder mehr halte ich für unrealistisch.

Vergleich mit der Anzahl der Teilnehmer des Umzuges:

(1) Länge des Videos (https://www.youtube.com/watch?v=gKuGWFeQCN4) vom Gesamtzug ca. 82 min
(2) Umzug legte insgesamt eine Strecke von ca. 8 km zurück
(3) Aufbruch der Spitze Unter den Linden gegen 11:40; Ankunft am Brandenburger Tor gegen 14:05
(4) Die schnelleren Demonstranten an der Spitze hätten damit eine mittlere Geschwindigkeit von ca. 0,9 m/s (3,3 km/h) gehabt.

Bei dieser Geschwindigkeit gehe ich unter Berücksichtigung der beobachteten Abstände davon aus, dass pro Sekunde an einer bestimmten Stelle im Mittel nicht mehr als eine Reihe Demonstranten passieren konnte. Während der Gesamtdauer von 82 min = 4920 s wären dies entsprechend ca. 5000 Reihen von Demonstranten (Lücken und Fahrzeuge nicht eingerechnet). Bei einer Teilnehmerzahl von z. B. 100.000 hätten also bei der Video-Aufzeichung in der Friedrichstraße in jeder Reihe im Mittel 20 Demonstranten nebeneinander gehen müssen.

Diese Zahl erscheint mir eindeutig zu hoch. Aber selbst wenn man den 'Demonstrantenstrom' konservativ auf 8 bis 10 pro Sekunde schätzt, ergibt sich noch eine Teilnehmerzahl im Bereich von 40.000 bis 50.000; auf 17.000 kommt man jedenfalls mit sinnvollen Annahmen nicht.

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