Im Dialog mit der ARD
PAUL SCHREYER, 26. November 2020, 11 Kommentare, PDFZum Hintergrund: Der private Bürger Bastian Barucker hatte im August eine Petition gestartet, in der er die ARD aufforderte, eine Sondersendung auszustrahlen, in der bekannte Kritiker der Corona-Politik, wie etwa Sucharit Bhakdi oder Wolfgang Wodarg, auf Regierungsexperten wie Christian Drosten oder Lothar Wieler treffen. In seiner Begründung schrieb Barucker damals:
„Wir brauchen in einer so dringlichen und unser aller Leben betreffenden Frage die bestmögliche Strategie im Umgang mit der 'Epidemie nationaler Tragweite'. Grundlage dafür sollte ein offener, interdisziplinärer und kritischer Diskurs von Fachleuten sein, der verschiedenste Meinungen integriert.“
Die Petition traf offenbar einen Nerv und wurde innerhalb weniger Wochen von mehr als 60.000 Menschen unterschrieben. Nach ersten Widerständen (Barucker: „ARD und ZDF waren anfänglich weder gewillt mir eine Ansprechperson für eine Übergabe zu nennen, noch einen Termin und Ort“) gelang es dem Initiator der Petition schließlich, die Unterschriftensammlung im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung am 28. September vor dem ARD-Hauptstadtstudie in Berlin Vertretern des Senders zu übergeben. Gleichzeitig fanden symbolische Übergaben in weiteren Städten statt, so in Münster (WDR), Dresden (MDR), München (BR) und Kiel (NDR).
Darauf folgte längeres Schweigen seitens der ARD. Über Wochen hinweg wurde kein Vorschlag für einen Termin zu einer Videokonferenz mit den Programmverantwortlichen gemacht, trotz einer entsprechender Ankündigung des Senders. Schließlich präsentierte die ARD doch noch einen Termin – den 26. November – und kündigte die folgenden Teilnehmer an:
- Ellen Ehni, Chefredakteurin WDR Fernsehen
- Jana Hahn, Chefredakteurin und Programmchefin MDR Aktuell
- Susanne Pfab, ARD-Generalsekretärin
- Jeanne Rubner, Leiterin Wissenschaft beim BR
- Tom Schneider, Korrespondent im Hauptstadtstudio
- Birand Bingül, ehemaliger Büroleiter des WDR-Intendanten Tom Buhrow, aktuell Leiter der ARD Kommunikation
Bingül fungierte auch als Koordinator seitens der ARD. Von Seiten der Kritiker nahmen neben Barucker – und auf dessen Einladung hin – teil:
- Michael Meyen, Professor für Kommunikationswissenschaft an der LMU München
- Martin Schwab, Professor für Rechtswissenschaften an der Universität Bielefeld
- Matthias Hertel, IT-Unternehmer aus Dresden (der die Petition in Dresden an den MDR übergeben hatte)
- der Autor dieses Textes
Im Vorfeld hatte am Montag auch das Medienmagazin „Übermedien“ zu der geplanten Videokonferenz berichtet und interne Diskussionen an der Senderspitze des WDR zur Corona-Berichterstattung geschildert. Übermedien zitierte den WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn dazu mit den Worten, der Text der Petition von Barucker klinge „offen und einnehmend, die Form ist ausgesprochen freundlich und konziliant – und deshalb gut geeignet, Interessierte und Unentschiedene für die Argumente zu gewinnen“. Daher sei die Frage, „mit welcher Haltung und Geste wir reagieren, von großer Bedeutung“.
Kaum Überraschungen
Das 90-minütige Gespräch wurde moderiert von Birand Bingül und verlief in respektvollem und freundlichem Ton. Jeder ließ den anderen ausreden und signalisierte Interesse an der anderen Seite. Inhaltlich gab es allerdings kaum Überraschungen. Die ARD-Vertreter betonten zunächst, dass die eigenen Redaktionen unabhängig arbeiteten und keine Direktiven von oben entgegen nehmen würden (was in der Petition auch nicht behauptet worden war). Weiterhin wurde betont, dass die geforderten kritischen Debatten längst innerhalb der Redaktionen stattfinden würden. Mein in der Konferenz geäußerter Einwand, dass nicht entscheidend sei, was intern diskutiert werde, sondern was man öffentlich sende, blieb ohne konkrete Antwort.
Ein ARD-Vertreter beschrieb den Sender als „Fels in der Brandung“. Man würde „Fakten und Meinung strikt trennen“ und daher auch nicht jede Meinung senden können, gerade wenn die Faktengrundlage fehle: „Jede Debatte ist willkommen, aber auf der Basis von Fakten“. Entscheidend sei die fachliche Kompetenz und das Ansehen des fraglichen Wissenschaftlers innerhalb seines Fachbereichs.
Unterstellt wurde damit, dass Wissenschaftler, die die Freiheitsbeschränkungen kritisieren, ganz allgemein nicht hinreichend kompetent wären, sich überhaupt zum Thema zu äußern – eine Argumentation, die gefährlich nah am Zirkelschluss ist. Wenn Kritiker womöglich dadurch ihre fachliche Inkompetenz zeigen, dass sie den Kurs der Regierung kritisieren, dann ist eine offene Debatte schnell am Ende.
Ein weiteres Argument aus dem Kreis der ARD-Verantwortlichen lautete, man könne es nicht „jedem Einzelnen überlassen, sich eine Meinung zu bilden, welcher Wissenschaftler recht hat“, damit „überfordere“ man das Publikum. Prägnanter könnte man das ganze Dilemma wohl kaum auf den Punkt bringen: Genau diese Sichtweise macht eine kontroverse Debatte von vornherein unmöglich. Wer denkt, das Publikum bedürfe der Anleitung, der wird keine vollkommen offene Diskussion anstreben, da er an deren Nutzen dann nicht glaubt.
Eine ähnliche Mentalität steckt hinter der weitverbreiteten kritischen Haltung zur direkten Demokratie, die vor wenigen Tagen sogar die einst basisdemokratischen Grünen aus ihrem Grundsatzprogramm strichen – nach 40 Jahren. Die zugrundeliegende These lautet, zugespitzt formuliert: Das Volk ist in der Masse dumm (oder gefährlich) und sollte daher nicht völlig frei entscheiden können.
Aus dem Kreis der ARD-Mitarbeiter hieß es im Gespräch, man gehe im Sender davon aus, daß das „System Wissenschaft funktioniert“ und verlasse sich daher auf „peer reviewte“, also von Fachkollegen überprüfte, Studien. Der Einwand von Prof. Schwab, dass zum Beispiel das Papier von Christian Drosten, das dem PCR-Test (und damit der gesamten Krisenreaktion) zugrunde liegt, gar kein reguläres peer review durchlaufen habe, blieb unbeantwortet.
„Suche nach der Wahrheit“
Auf die Bemerkung einer ARD-Redakteurin, man suche in der Redaktion „nach der Wahrheit“, erwiderte Prof. Meyen, es sei zielführender einen Dialog zwischen den verschiedenen Sichtweisen zu ermöglichen. Man solle akzeptieren, dass es oft „mehrere Wahrheiten“ gebe, die man zur öffentlichen Diskussion stellen müsse. Dies stieß seitens der ARD auf Vorbehalte. Zwar gebe es „mehrere Interpretationen von Fakten“, die Fakten selbst seien aber eindeutig. Meyen mahnte zur Vorsicht und verwies auf Hannah Arendt: Wahrheit sei lediglich „das, was der Mensch nicht ändern kann“. Mit anderen Worten: Vieles, was heute in der politischen oder wissenschaftlichen Arena als „wahr“ gilt, wie Forschungsergebnisse oder Handlungsmaximen, ist tatsächlich abhängig von menschlichen Übereinkünften – in der Regel in einem Kontext von Machtverhältnissen.
Doch dieses Abschweifen ins Philosophische blieb nur eine kurze Episode im Gespräch. Die journalistischen Profis der ARD machten letztlich vor allem eines deutlich: Personen wie Wodarg oder Bhakdi haben auch weiterhin wenig Chancen auf Einbindung ins Programm, da sie „gegen den breiten wissenschaftlichen Konsens verstoßen“ würden. Die darin enthaltene sprachliche Irreführung – gegen einen Konsens kann man nicht „verstoßen“, man kann ihn nur „verlassen“ – machte deutlich, dass der derzeit herrschende Konsens von den Programmverantwortlichen im Grunde als zu befolgende „Regel“ betrachtet wird, deren Hinterfragung außerhalb des denkbaren Rahmens liegt.
Gegen Ende der Gesprächsrunde regte der Autor dieses Textes an, die ARD solle die in vielen Städten stattfindenden Corona-Demonstrationen als Gelegenheit zur Programmgestaltung sehen und nutzen, indem der Sender regelmäßig im Anschluss an solche Protestveranstaltungen live ausgestrahlte Vor-Ort-Diskussionssendungen von den Marktplätzen sendet, bei denen die sich gegenüberstehenden Lager zu Wort kommen – als Beitrag zum dringend notwendigen Spannungsabbau und zur Befriedung des Landes. Der Vorschlag wurde freundlich angehört und man versprach, ihn in die Redaktionen zu tragen. Was daraus wird, bleibt abzuwarten.
Das Schlusswort des Dialogs übernahm Bastian Barucker, der sich mit einem emotionalen Appell an die Senderverantwortlichen wandte und an deren gesellschaftliche Verantwortung erinnerte, auch für die Opfer der aktuellen „Maßnahmen“: „Es geht um Menschenleben!“
Damit ging das Gespräch zu Ende. Eine etwaige Fortführung wurde seitens der ARD vorerst nicht konkret angeboten. Man wird sehen, ob die Debatte nun wieder versandet – ganz so, wie etwa die im Jahr 2018 mit großem Aufwand initiierte „Leserkonferenz“ des Spiegel – oder ob die Verantwortlichen den Dialog nun verstetigen wollen.
Konzeptideen
Die Kritiker übergaben den Rundfunkvertretern im Zusammenhang mit der Videokonferenz ein gemeinsames Papier mit konkreten Vorschlägen und Konzeptideen zur Programmgestaltung, „die geeignet sind den Zweck der Petition inhaltlich zu erfüllen“:
-
(1) Dialog “Redaktion versus Kritiker” (“Klartext – raus aus den Filterblasen”) – Ziel: Herstellen von Verständnis zu den wahrgenommen Defiziten in der Berichterstattung. Format: Moderierte Diskussion (off-camera) zwischen redaktionell verantwortlichen Mitarbeitern der Sendeanstalten und Kritikern der aktuellen Berichterstattung.
-
(2) Reportage “Zeichner der Petition” (“Tolle Menschen – Engagement für unser Land”) – Ziel: Abbau von Vorbehalten und Wertschätzung bürgerlichen Engagements. Format: Reportage mit Interviews ausgewählter Zeichner der Petition und Darstellung ihres Engagements für den Zusammenhalt in der Gesellschaft.
-
(3) Dialogformat zur Hauptsendezeit (“Gute Argumente – öffentlicher Austausch”) – Ziel: Verlagerung der Debatte von den Straßen zurück in die Medien. Format: bestehende Talk-Formate der Sender mit Gästen aus dem Kreise ernsthafter Kritiker der aktuellen Corona-Politik.
-
(4) Ombudsmann (“Regelmäßiger oder anlassbezogener persönlicher informeller Austausch”) – Ziel: Herstellung einer praktikablen längerfristigen Verbindung zwischen Sendeanstalten und kritischer Öffentlichkeit. Format: Benennung je eines Vertreters der Medien und der kritischen Öffentlichkeit, die auf kurzem Wege aktuelle Probleme persönlich informell abstimmen/behandeln können (z.B. Fehlmeldungen / Nichtmeldungen).
-
(5) Direktformate (“Bürgerstimmen direkt im Medium”) – Ziel: Raum für authentische und unvoreingenommene Darstellung von Sachverhalten in den Medien. Format: z.B. zeitnahe “Vor-Ort-Dialoge” nach Demonstrationen mit den verschiedenen Beteiligten. Ergänzung von “Hörer-Call-In” besonders für kritische Stimmen bei bestehenden Formaten.
Diskussion
11 Kommentare