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Impfschäden: Wie die Tagesschau, eine Krankenkasse und die Bundesregierung gemeinsam ein Alarmsignal abwehren

Wegen auffällig vieler Behandlungen, die Ärzte 2021 als Impfnebenwirkungen abrechneten, alarmierte Andreas Schöfbeck, Vorstand der Krankenkasse BKK ProVita das Paul-Ehrlich-Institut (Multipolar berichtete). Statt seine Angaben zu überprüfen, wurde er in dieser Woche vom eigenen Verwaltungsrat abberufen. Eine Sichtung der beunruhigenden Zahlen durch die Behörde steht in weiter Ferne. Kein Problem, findet die Tagesschau. Schließlich stehe der Analyst, der im Auftrag Schöfbecks die Daten der Kasse aufbereitet hatte, "Querdenkern nahe", sei daher unseriös. Auch das Gesundheitsministerium wiegelt ab und zeigt wenig Interesse an einer Prüfung.

SUSAN BONATH, 5. März 2022, 2 Kommentare, PDF

Ein Argumentum ad hominem – also "gegen den Menschen gerichtet" – ist ein klassisches Scheinargument. Dabei wird die Position eines Gegners nicht sachlich, sondern durch Angriff auf dessen Persönlichkeit angefochten. Dieser Methode bediente sich die Tagesschau am 3.3. mit ihrem Artikel: "BKK Provita-Bericht zu Impfungen: Analyst steht 'Querdenkern' nahe". Es geht um den BKK-Brandbrief vom 21.2. an das Paul-Ehrlich-Institut, den zuerst die WELT und Multipolar veröffentlicht hatten. Verfasser ist der nun entlassene BKK-ProVita-Vorstand Andreas Schöfbeck. Dieser hatte zur Auswertung einen Datenanalysten engagiert, der sich, so die Tagesschau, "im Querdenker-Milieu bewegt". Die Botschaft: Die Zahlen, auf denen Schöfbecks Alarm zur möglichen massiven Untererfassung von Nebenwirkungen beruhen, seien unglaubwürdig, eine Untersuchung unnötig.

Der diskreditierte Datenanalyst Tom Lausen, mit dem Multipolar sprach, ist Informatiker. Er hat in Schöfbecks Auftrag knapp elf Millionen anonymisierte Patientendaten ausgewertet und dabei festgestellt: Allein von Januar bis Mitte August 2021 rechneten Ärzte über 216.000 mehr Patienten mit ICD-Codes ab, die ausdrücklich für Impfnebenwirkungen stehen, als in den Jahren zuvor im gleichen Zeitraum. Das ist eine Steigerung um das 27-Fache. Dies, so Schöfbeck, deute auf eine enorme Untererfassung von Nebenwirkungen durch Corona-Impfungen hin. Denn das dafür zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) hatte im gesamten Jahr 2021 bundesweit lediglich knapp 245.000 Meldefälle erfasst. Die BKK-Daten auf die Gesamtbevölkerung und das ganz Jahr hochgerechnet, käme man jedoch auf bis zu drei Millionen entsprechende Behandlungsfälle. Schöfbeck bat um Prüfung. (Multipolar hatte in der vergangenen Woche gemeinsam mit der WELT die Zahlen aufgedeckt und Schöfbecks Brief veröffentlicht.)

Beschimpfung statt Sachkritik

Die vom PEI zumindest in Aussicht gestellte Untersuchung wartete das öffentlich-rechtliche Leitmedium allerdings nicht ab. Stattdessen stellte es eine eigene Behauptung auf:

"Dass die zugrunde liegende Datenanalyse mehr als fragwürdig ist, wurde schnell bekannt."

Als Quelle hierzu nennt die Tagesschau den Vorsitzenden des Virchowbundes, Dirk Heinrich. Dieser Ärzteverbands-Funktionär war in der vergangenen Woche vorgeprescht und hatte die Krankenkasse in einer Mitteilung als "Schwurbel-BKK" betitelt. Dem Verfasser des Brandbriefs unterstellte er "peinliches Unwissen oder hinterlistige Täuschungsabsicht", den Inhalt des Schreibens nannte er "kompletten Unfug" – ohne zur BKK ProVita Kontakt aufgenommen oder sich mit den Daten detailliert befasst zu haben.

Die Tagesschau konzentriert sich in ihrer Berichterstattung nun auf angebliche persönliche Unzulänglichkeiten und moralisches Fehlverhalten der Überbringer der schlechten Nachrichten. Die Daten seien nur "vermeintlich alarmierend", weil der Datenanalyst ein "in der Querdenker-Szene gefragter Interviewpartner" sei. Dabei sei der Informatiker "mit fragwürdigen Methoden und vor allem stimmungsanheizenden Analysen" aufgefallen. So habe er ein Buch geschrieben, dass den Titel trage: "Die Intensiv-Mafia – Von den Hirten der Pandemie und ihren Profiten". Zum Inhalt des Buches werden von den ARD-Journalisten keine Angaben gemacht – für eine (negative) Bewertung muss der Titel reichen. Mit wem genau der Analyst geredet hat, wird im Bericht ebenfalls nicht deutlich. Die Autoren wiederholen lediglich: Er sei in der "Querdenker-Szene" bekannt. Auch habe die anschließende Entlassung Schöfbecks in "Querdenkergruppen des Messenger-Dienstes Telegram große Aufmerksamkeit" gefunden.

Darüber hinaus sei Kassenchef Schöfbeck in der Vergangenheit "mit bekannten Impfgegnern in Erscheinung" getreten. So habe er im Januar 2021 ein Vorwort für ein Buch des Biologen Clemens Arvay namens "Corona-Impfstoffe – Rettung oder Risiko" geschrieben und darin die Frage gestellt, "ob es ausreichend Studien zur Wirksamkeit und Nebenwirkungen" gäbe, und ob es "zu verantworten sei, so viele Menschen ohne die Erfahrung von Langzeitstudien zu impfen". Dies seien Fragen, so die Tagesschau, "die auch immer wieder von 'Querdenkern' aufgeworfen werden". Mit dieser Feststellung schließt der Tagesschau-Bericht.

Anders ausgedrückt: Weil Schöfbeck ein Vorwort für ein Buch eines Biologen verfasst hat, in dem er Fragen zur Sicherheit der Corona-Impfstoffe stellt, die auch "Querdenker" stellen, und weil er zudem einen Analysten beschäftigte, der seinerseits mit nicht näher genannten "Querdenkern" gesprochen habe, brauche man der Datenanalyse von vornherein keine größere Aufmerksamkeit zu schenken. Unklar bleibt dabei, wie die Tagesschau ihre Zuschreibung "Querdenker" konkret definiert. Genügt es dazu bereits, in Sachen Corona-Maßnahmen oder -Impfungen von der Regierungslinie abzuweichen?

Vermutung als Beweis

Die Argumentationskette der Tagesschau beruht auf Vermutungen: In einem Gespräch Schöfbecks mit dem SWR sei nicht ersichtlich geworden, ob es sich bei den als Impfnebenwirkung abgerechneten Behandlungen um schwere oder leichte Fälle handelt. Es könne ja sein, so die Tagesschau, dass die gut 216.000 Patienten sich sämtlich wegen leichter Impfreaktionen, "wie grippeähnlichen Symptomen", krank schreiben ließen. Diese möglichen Fälle stelle Schöfbeck fälschlicherweise mit ernsthafteren Nebenwirkungen gleich. Das Problem: Genau das ist eben nicht bekannt. Es könnte sich genauso gut in der Mehrheit um ernsthafte Fälle handeln, man weiß es nicht. Was hier als Argument dienen soll, ist seinerseits eine unbelegte Vermutung.

Das Argument läuft auch an sich ins Leere läuft: Denn keineswegs müssen dem PEI nur ernsthafte Nebenwirkungen gemeldet werden. Es geht nicht um die Schwere, sondern allein um den Verdacht, dass eine unerwünschte Reaktion von der Impfung ausgehen könnte. Untersuchen soll das ja das PEI, nicht derjenige, der einen Verdachtsfall meldet.

Bundesregierung wiegelt ab

Das PEI ist dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) unter Minister Karl Lauterbach unterstellt. Sprecher Andreas Deffner schlug auf Multipolar-Nachfrage in die gleiche Kerbe wie die Tagesschau: Schöfbeck habe "Äpfel mit Birnen" vergleichen, rügte er. Die Studie sei daher "unseriös". Man könne nicht von Abrechnungscodes auf schwerwiegende Impfnebenwirkungen schließen. Das allerdings hat Schöfbeck nicht getan. Wörtlich schrieb der Kassenvorstand vielmehr: "Das sehen wir als erhebliches Alarmsignal an, das unbedingt beim weiteren Einsatz der Impfstoffe berücksichtigt werden muss." Das PEI müsse schnellstmöglich für Klarheit sorgen und die Fälle validieren, so Schöfbeck. Geschehe dies kaum, könne "eine Gefahr für das Leben von Menschen nicht ausgeschlossen werden".

Ein Alarmsignal ist kein Beweis. In der Pflicht, die Unbedenklichkeit der Impfungen zu überprüfen, wäre nun das PEI. Und dafür reicht es nicht, bloß zu vermuten, dass die Behandlungsfälle großteils harmlos waren.

Weiter argumentiert der Ministeriumssprecher gegenüber Multipolar damit, der BKK-Dachverband habe sich von Schöfbecks Analyse distanziert. Tatsächlich erklärte der BKK-Dachverband in einer Meldung aber:

"Ein aktueller Blogbeitrag im Internet zu Impfschäden beruft sich auf Zahlen des BKK-Dachverbandes. Zu dieser Veröffentlichung erklärt der BKK-Dachverband: Die dort genannten Daten stammen nicht aus unserem Hause. Inhaltlich nehmen wir dazu keine Stellung."

Der Verband beruft sich hier auf einen Beitrag auf dem Portal tkp.at vom 22. Februar, erschienen noch kurz vor der von Schöfbeck autorisierten Berichterstattung in der WELT und bei Multipolar. Dort hatte der Autor des Beitrages, dem die BKK-Daten offensichtlich auch vorlagen, eine eigene Auswertung dazu verfasst und als Quelle lediglich "BKK" angeben und auf den Zusatz "ProVita" verzichtet. Die BKK ProVita ist eine kleinere Kasse, die dem Dachverband angehört.

Richtig ist also: Die Daten wurden tatsächlich nicht vom Dachverband herausgegeben. Die Daten des Gesamtverbandes waren aber für den BKK-ProVita-Vorstand einsehbar. Das BMG allerdings suggeriert, darauf bezugnehmend, es handele sich wohl um falsche Daten. Das führt in die Irre.

Auf nochmalige Nachfrage der Autorin blieb Ministeriumssprecher Deffner dabei: Die Abrechnungsdaten von Arztbehandlungen bestätigten keine "über das Maß einer Impfreaktion hinausgehende gesundheitliche Schädigung." Diese beiden Dinge miteinander zu vergleichen, sei "unseriös".

Doch erstens spielt, wie bereits erwähnt, die Schwere mutmaßlicher Nebenwirkungen keine Rolle für eine Meldung an das PEI – alleine der Verdacht genügt, prüfen soll das Institut. Zweitens müsste man die Fälle näher untersuchen, um überhaupt Aussagen zur Schwere treffen zu können.

Unerwünschte Debatte

Dass Schöfbeck nach 21-jähriger Vorstandstätigkeit bei der BKK ProVita fristlos entlassen wurde, noch bevor die Daten vom PEI überprüft werden konnten, ja, sogar bevor ein zu der Zeit schon geplantes erstes Gespräch zwischen ihm und dem Institut stattfinden konnte, ist auch eine Warnung an andere kritische Köpfe: Schweigt besser oder es geht euch an den Kragen.

Schöfbeck ist bei weitem nicht der einzige Fall: Ärzte müssen mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen, wenn sie Atteste ausstellen, um Patienten vom Maskentragen oder der Impfung zu befreien. Ein Weimarer Richter und eine Biologin mussten bereits Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen. Der Grund: Ein politisch bemängeltes Urteil samt Gutachten, begleitet vom Vorwurf der Nähe zu "Querdenkern".

Es sind Präzedenzfälle, die den Meinungskorridor verengen – und eine fachliche Debatte abwürgen, die zu politisch unerwünschten Ergebnissen führen könnte.

Über die Autorin: Susan Bonath, Jahrgang 1971, ist freie Journalistin mit dem Schwerpunkt Arbeit und Soziales. Sie lebt in Sachsen-Anhalt.

HELENE BELLIS, 5. März 2022, 08:55 UHR

Das perfideste an diesem unsäglichen Tagesschauartikel ist ja, daß die Bundesregierung selber noch im Sommer 2021 Tom Lausen als Einzelexperten um eine Stellungnahme gebeten hatte. Aber weil seine Daten nicht dem entsprachen, was man gerne weiterverbreiten würde, ist er jetzt Persona non grata – wie nahezu alle Fachleute, die in der Causa Corona Tatsachen verbreiten, statt Wunschergebnisse zu liefern.

So wird man dann im – von allen Bürgern finanzierten – ÖRR zu einem »Querdenkern nahestehenden« Menschen, »der dort schon mehrfach mit fragwürdigen Methoden und vor allem stimmungsanheizenden Analysen auffiel« und dessen fachlicher Expertise dieselben Bürger darum nicht mehr zuhören sollten. Wenn sich da mal nicht ein ungesunder Kreis schließt.

HELENE BELLIS, 5. März 2022, 08:55 UHR

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