Multipolar wird Forderungen der Landesmedienanstalt nicht umsetzen
STEFAN KORINTH, 19. Oktober 2024, 9 Kommentare, PDFAls Multipolar die Corona-Krisenstabsprotokolle des Robert Koch-Instituts (RKI) freigeklagt und im März 2024 veröffentlicht hatte, erlangte unser Online-Magazin bundesweit Bekanntheit. Multipolar geriet plötzlich in den Fokus der Leitmedien, die teils sachlich, teils unsachlich über uns und die RKI-Protokolle berichteten. Offenbar geriet Multipolar im Zuge dieser gesteigerten Bekanntheit auch ins Visier der Landesanstalt für Medien NRW.
Im August 2024 wendete sich die Anstalt unvermittelt an unsere Redaktion und bemängelte plötzlich teils mehrere Jahre alte Beiträge, die die Regierungssicht auf Corona in Frage stellen. Einer der beanstandeten Artikel befasste sich sogar direkt mit den RKI-Protokollen. Die Landesmedienanstalt, die ihr entsprechendes Eingriffsrecht in die Arbeit von Online-Medien aus Paragraf 19 des Medienstaatsvertrages ableitet, warf Multipolar vor, in vier Artikeln der journalistischen Sorgfaltspflicht nicht gerecht geworden zu sein. Werden die monierten Beiträge nicht angepasst, werde ein „förmliches Verfahren“ gegen Multipolar eingeleitet, kündigte die Behörde an. Vergleichbaren Verfahren zufolge wäre mit einer Strafe von mehreren tausend Euro zu rechnen gewesen.
Multipolar hatte die Forderung der Anstalt als verfassungswidrig zurückgewiesen. Der Versuch, unsere Berichterstattung inhaltlich zu beeinflussen, ist nicht mit Artikel 5 des Grundgesetzes („Eine Zensur findet nicht statt“) in Einklang zu bringen und ein Rückfall ins 19. Jahrhundert als es noch eine gesetzlich geregelte, staatliche Pressezensur gab. Auch spezialisierte Fachjuristen halten die neuartigen Kontrollrechte, die der Bundestag den Landesmedienanstalten während der Corona-Krise im November 2020 einräumte, für verfassungswidrig. Es handelt sich dabei laut Einschätzung des Medienrechtlers Christoph Fiedler von der Universität Leipzig um einen „neuartigen staatlichen Angriff auf die Pressefreiheit“.
Ergänzend zur Zurückweisung der behördlich angemaßten „Aufsicht“ erläuterte Multipolar in seinem Antwortschreiben auch die kritisierten Passagen der Artikel inhaltlich. Es ging um zwei Interviews und zwei Artikel. Dabei wurde gezeigt, dass alle notwendigen Informationen und Belege bereits in den bemängelten Beiträgen enthalten waren, von der Landesmedienanstalt jedoch ignoriert wurden. An der Multipolar-Berichterstattung wäre auch bei einem legalen Anspruch der Landesmedienanstalt inhaltlich nichts zu ändern gewesen.
Landesmedienanstalt kaschiert eigene Fehler
In einem neuen Schreiben vom 15. Oktober erklärt die Behörde nun, dass Multipolar durch die vermeintliche Nachreichung von „Quellen und Nachweisen für die in den Beiträgen aufgestellten Behauptungen“ seine journalistische Pflicht zur Recherche und sorgfältigen Quellenauswahl „nachträglich erfüllt“ habe. Nun müssten diese angeblich nachgereichten Belege aber noch „für alle Leser öffentlich einsehbar“ in drei der vier Artikel ergänzt werden. Im vierten kritisierten Beitrag habe Multipolar dies schon getan. Multipolar weist auch diesen neuerlichen Versuch der Behörde, in unsere redaktionelle Unabhängigkeit einzugreifen, zurück. Die Forderungen bleiben verfassungswidrig und werden von Multipolar nicht umgesetzt.
Zu den monierten Fällen im einzelnen: In einem im März 2022 veröffentlichten Interview mit dem Arzt und Psychologen Professor Christian Schubert hatte Multipolar nachträglich eine Studie verlinkt. Dies interpretiert die Anstalt als nun erfüllte journalistische Sorgfaltspflicht. Der Beitrag erfüllte diese Pflicht jedoch auch bereits zuvor. Es liegt allein im Ermessen einer Redaktion, welche Aussagen eines Interviewpartners durch die Setzung von Online-Links untermauert werden oder nicht. Dieselbe redaktionelle Hoheit gilt für die Wahl der Interviewfragen.
Im Fall der anderen drei beanstandeten Artikel hatte die Anstalt bemängelt: Multipolar und unser Autor Florian Schilling hätten in einer Analyse zum Zusammenhang von Corona-Impfung und Sterblichkeit amtliche britische Daten „fehlinterpretiert“ und „falsch dargestellt“. In einem Artikel zu den freigeklagten RKI-Protokollen habe Multipolar „irreführend“ zu den Verantwortlichkeiten bei der Hochstufung der Riskobewertung berichtet. In einem Interview mit einem Berliner Feuerwehrmann war die Landesmedienanstalt nicht mit der persönlichen Schilderung von dessen Erfahrungen im Rettungsdienst mit der geringen Auslastung von Krankenhäusern während des ersten Lockdowns einverstanden.
Die Systematik ist bei allen Kritikpunkten der Landesmedienanstalt dieselbe: Sie lehnt bestimmte Einsichten der Artikel pauschal ab, ohne substanzielle Gegenbelege zu nennen. Florian Schillings Aussagen beispielsweise werden in seinem Artikel durch Grafiken mit Daten aus der britischen Statistikbehörde untermauert. Es entsteht der Eindruck, bei der Landesmedienanstalt habe man den Artikel bestenfalls oberflächlich gelesen. Wenn Multipolar nun – wie im Antwortschreiben geschehen – zusätzliche Quellen nennt, die die im Artikel erwähnten Fakten ebenfalls beschreiben, dann ändern diese Belege qualitativ nichts am ursprünglichen Artikel. Sie präsentieren nichts Neues, sondern erhöhen lediglich die Zahl der Nachweise.
Die neue Forderung der Behörde, diese zusätzlichen Belege nun in den jeweiligen Beiträgen zu ergänzen, um der journalistischen Sorgfaltspflicht gerecht zu werden, ist deshalb sachlich irreführend. Da es in den monierten Multipolar-Artikeln auch vorher nicht an Belegen für die beanstandeten Aussagen mangelte, zeigt der gesamte Vorgang lediglich die inhaltlich fehlerhafte Arbeitsweise der Landesmedienanstalt auf. Die von Multipolar angeführten Quellen dienten ausdrücklich dem Nachweis des Irrtums der Anstalt. Die Behörde, die sich aus den öffentlich-rechtlich Rundfunkgebühren finanziert, versucht dies nun offenbar zu kaschieren.
Multipolar strebt gerichtliche Prüfung an
Im aktuellen Schreiben, in dem der namentlich nicht gezeichnete Behördenmitarbeiter mal von „ich“, mal von „wir“ spricht, befasst sich die Landesmedienanstalt zudem mit der möglichen Verfassungswidrigkeit von Paragraph 19 des Medienstaatsvertrages. Die Behörde erklärt nun, „dass die Frage einer vermeintlichen Verfassungswidrigkeit der Norm von uns nicht zu prüfen ist“. Multipolar hatte jedoch von der Anstalt überhaupt keine juristische Prüfung der Norm verlangt. Diese kann allenfalls von Gerichten geleistet werden, was erst möglich wird, wenn die Landesmedienanstalt ein förmliches Verfahren gegen Multipolar einleitet, wie sie das in ihrem ersten Schreiben bereits androhte. Multipolar strebt nun eine solche juristische Überprüfung der strittigen Änderung des Medienstaatsvertrages an.
Titelfoto: Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW | Bild: picture alliance/dpa | Henning Kaiser
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