Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW | Bild: picture alliance/dpa | Henning Kaiser

Multipolar wird Forderungen der Landesmedienanstalt nicht umsetzen

In einem neuen Schreiben wird Multipolar von der Landesanstalt für Medien NRW aufgefordert, Artikel zu überarbeiten und vermeintlich „nachgereichte“ Quellenbelege zu ergänzen. Multipolar hatte die Aufsicht der Behörde jedoch als verfassungswidrig zurückgewiesen und in einem Schreiben der Anstalt gegenüber inhaltlich erläutert, was ohnehin bereits in den Artikeln zu lesen war. Die Multipolar-Herausgeber lehnen auch die erneute Forderung der Behörde ab und streben eine gerichtliche Überprüfung der Rechtsgrundlage an.

STEFAN KORINTH, 19. Oktober 2024, 9 Kommentare, PDF

Als Multipolar die Corona-Krisenstabsprotokolle des Robert Koch-Instituts (RKI) freigeklagt und im März 2024 veröffentlicht hatte, erlangte unser Online-Magazin bundesweit Bekanntheit. Multipolar geriet plötzlich in den Fokus der Leitmedien, die teils sachlich, teils unsachlich über uns und die RKI-Protokolle berichteten. Offenbar geriet Multipolar im Zuge dieser gesteigerten Bekanntheit auch ins Visier der Landesanstalt für Medien NRW.

Im August 2024 wendete sich die Anstalt unvermittelt an unsere Redaktion und bemängelte plötzlich teils mehrere Jahre alte Beiträge, die die Regierungssicht auf Corona in Frage stellen. Einer der beanstandeten Artikel befasste sich sogar direkt mit den RKI-Protokollen. Die Landesmedienanstalt, die ihr entsprechendes Eingriffsrecht in die Arbeit von Online-Medien aus Paragraf 19 des Medienstaatsvertrages ableitet, warf Multipolar vor, in vier Artikeln der journalistischen Sorgfaltspflicht nicht gerecht geworden zu sein. Werden die monierten Beiträge nicht angepasst, werde ein „förmliches Verfahren“ gegen Multipolar eingeleitet, kündigte die Behörde an. Vergleichbaren Verfahren zufolge wäre mit einer Strafe von mehreren tausend Euro zu rechnen gewesen.

Multipolar hatte die Forderung der Anstalt als verfassungswidrig zurückgewiesen. Der Versuch, unsere Berichterstattung inhaltlich zu beeinflussen, ist nicht mit Artikel 5 des Grundgesetzes („Eine Zensur findet nicht statt“) in Einklang zu bringen und ein Rückfall ins 19. Jahrhundert als es noch eine gesetzlich geregelte, staatliche Pressezensur gab. Auch spezialisierte Fachjuristen halten die neuartigen Kontrollrechte, die der Bundestag den Landesmedienanstalten während der Corona-Krise im November 2020 einräumte, für verfassungswidrig. Es handelt sich dabei laut Einschätzung des Medienrechtlers Christoph Fiedler von der Universität Leipzig um einen „neuartigen staatlichen Angriff auf die Pressefreiheit“.

Ergänzend zur Zurückweisung der behördlich angemaßten „Aufsicht“ erläuterte Multipolar in seinem Antwortschreiben auch die kritisierten Passagen der Artikel inhaltlich. Es ging um zwei Interviews und zwei Artikel. Dabei wurde gezeigt, dass alle notwendigen Informationen und Belege bereits in den bemängelten Beiträgen enthalten waren, von der Landesmedienanstalt jedoch ignoriert wurden. An der Multipolar-Berichterstattung wäre auch bei einem legalen Anspruch der Landesmedienanstalt inhaltlich nichts zu ändern gewesen.

Landesmedienanstalt kaschiert eigene Fehler

In einem neuen Schreiben vom 15. Oktober erklärt die Behörde nun, dass Multipolar durch die vermeintliche Nachreichung von „Quellen und Nachweisen für die in den Beiträgen aufgestellten Behauptungen“ seine journalistische Pflicht zur Recherche und sorgfältigen Quellenauswahl „nachträglich erfüllt“ habe. Nun müssten diese angeblich nachgereichten Belege aber noch „für alle Leser öffentlich einsehbar“ in drei der vier Artikel ergänzt werden. Im vierten kritisierten Beitrag habe Multipolar dies schon getan. Multipolar weist auch diesen neuerlichen Versuch der Behörde, in unsere redaktionelle Unabhängigkeit einzugreifen, zurück. Die Forderungen bleiben verfassungswidrig und werden von Multipolar nicht umgesetzt.

Zu den monierten Fällen im einzelnen: In einem im März 2022 veröffentlichten Interview mit dem Arzt und Psychologen Professor Christian Schubert hatte Multipolar nachträglich eine Studie verlinkt. Dies interpretiert die Anstalt als nun erfüllte journalistische Sorgfaltspflicht. Der Beitrag erfüllte diese Pflicht jedoch auch bereits zuvor. Es liegt allein im Ermessen einer Redaktion, welche Aussagen eines Interviewpartners durch die Setzung von Online-Links untermauert werden oder nicht. Dieselbe redaktionelle Hoheit gilt für die Wahl der Interviewfragen.

Im Fall der anderen drei beanstandeten Artikel hatte die Anstalt bemängelt: Multipolar und unser Autor Florian Schilling hätten in einer Analyse zum Zusammenhang von Corona-Impfung und Sterblichkeit amtliche britische Daten „fehlinterpretiert“ und „falsch dargestellt“. In einem Artikel zu den freigeklagten RKI-Protokollen habe Multipolar „irreführend“ zu den Verantwortlichkeiten bei der Hochstufung der Riskobewertung berichtet. In einem Interview mit einem Berliner Feuerwehrmann war die Landesmedienanstalt nicht mit der persönlichen Schilderung von dessen Erfahrungen im Rettungsdienst mit der geringen Auslastung von Krankenhäusern während des ersten Lockdowns einverstanden.

Die Systematik ist bei allen Kritikpunkten der Landesmedienanstalt dieselbe: Sie lehnt bestimmte Einsichten der Artikel pauschal ab, ohne substanzielle Gegenbelege zu nennen. Florian Schillings Aussagen beispielsweise werden in seinem Artikel durch Grafiken mit Daten aus der britischen Statistikbehörde untermauert. Es entsteht der Eindruck, bei der Landesmedienanstalt habe man den Artikel bestenfalls oberflächlich gelesen. Wenn Multipolar nun – wie im Antwortschreiben geschehen – zusätzliche Quellen nennt, die die im Artikel erwähnten Fakten ebenfalls beschreiben, dann ändern diese Belege qualitativ nichts am ursprünglichen Artikel. Sie präsentieren nichts Neues, sondern erhöhen lediglich die Zahl der Nachweise.

Die neue Forderung der Behörde, diese zusätzlichen Belege nun in den jeweiligen Beiträgen zu ergänzen, um der journalistischen Sorgfaltspflicht gerecht zu werden, ist deshalb sachlich irreführend. Da es in den monierten Multipolar-Artikeln auch vorher nicht an Belegen für die beanstandeten Aussagen mangelte, zeigt der gesamte Vorgang lediglich die inhaltlich fehlerhafte Arbeitsweise der Landesmedienanstalt auf. Die von Multipolar angeführten Quellen dienten ausdrücklich dem Nachweis des Irrtums der Anstalt. Die Behörde, die sich aus den öffentlich-rechtlich Rundfunkgebühren finanziert, versucht dies nun offenbar zu kaschieren.

Multipolar strebt gerichtliche Prüfung an

Im aktuellen Schreiben, in dem der namentlich nicht gezeichnete Behördenmitarbeiter mal von „ich“, mal von „wir“ spricht, befasst sich die Landesmedienanstalt zudem mit der möglichen Verfassungswidrigkeit von Paragraph 19 des Medienstaatsvertrages. Die Behörde erklärt nun, „dass die Frage einer vermeintlichen Verfassungswidrigkeit der Norm von uns nicht zu prüfen ist“. Multipolar hatte jedoch von der Anstalt überhaupt keine juristische Prüfung der Norm verlangt. Diese kann allenfalls von Gerichten geleistet werden, was erst möglich wird, wenn die Landesmedienanstalt ein förmliches Verfahren gegen Multipolar einleitet, wie sie das in ihrem ersten Schreiben bereits androhte. Multipolar strebt nun eine solche juristische Überprüfung der strittigen Änderung des Medienstaatsvertrages an.

Titelfoto: Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW | Bild: picture alliance/dpa | Henning Kaiser

HELENE BELLIS, 19. Oktober 2024, 19:55 UHR

Liebes Multipolar-Team,
vielen Dank, daß Sie nicht eingeknickt sind! Eine solch konsequente Haltung – gerade, wenn man alles richtig gemacht und sich nichts vorzuwerfen hat – ist heutzutage selten geworden. Schlimm genug, daß nicht jeder es sich leisten kann, im Zweifelsfall vor Gericht zu ziehen (und ebenfalls schlimm, daß das mittlerweile auch nicht mehr unbedingt bedeutet, recht zu bekommen...). Ich drücke auf jeden Fall weiterhin die Daumen, hoffe, daß es gut ausgeht und das Benehmen so mancher Behörde in Deutschland damit wieder ein bißchen weniger willkürlich wird.

ELISABETH H., 24. Oktober 2024, 09:25 UHR

Ihren Worten kann ich mich vollinhaltlich anschließen.

"If you tolerate this, your children will be next"...

https://en.wikipedia.org/wiki/If_You_Tolerate_This_Your_Children_Will_Be_Next

A.F., 20. Oktober 2024, 12:20 UHR

Danke für Ihre Beharrlichkeit und Standhaftigkeit. Die dummdreiste Unverschämtheit, die diese auch noch von den Bürgern bezahlte Zensurbehörde an den Tag legt, ist wirklich frappant.

ALEXANDER FEIN, 19. Oktober 2024, 16:20 UHR

Ich finde die Reaktion von Multipolar genau richtig.

GUTEN MUTES, 19. Oktober 2024, 18:50 UHR

Die Landesmedienanstalt NRW möge sich doch einmal mit der Frage befassen, ob der WDR seinem öffentlich-rechtlichen Auftrag noch annähernd gerecht wird, breit, ausgewogen, multipersperspektivisch und sorgfältig zu berichten ... statt der Pluralität unabhängiger Presse mit Fakestempeln schaden zu wollen. Das ist eine Unverschämtheit. Ich hoffe, sie kommt im Interesse der sie zahlenden Bevölkerung wieder auf einen Pressevielfalts- und demokratiefreundlichen Kurs!

DIETER R., 20. Oktober 2024, 16:50 UHR

Ich unterstütze die konsequente Haltung von Multipolar voll und ganz. Ich werde Multipolar auch finanziell nochmal helfen, damit es diebezüglich nicht irgendwo klemmt. Weiter so!

GLUECKSDRACHE, 20. Oktober 2024, 22:50 UHR

Das Verhalten der Behörden wird für mich von Tag zu Tag unverständlicher. Was ich nicht verstehe - vielleicht kann ein anderer Leser hier Licht ins Dunkel bringen - und da die Landesmedienanstalt ja für NRW zuständig ist: Hatte der WDR (!) im Rahmen der ARD-Tätigkeit nicht den wahrscheinlich zukünftigen CDU-MdB Herrn Prof. Streeck mehrfach interviewt ohne auf die legalen Forschungsgelder der Stiftung des Investors an die Hochschule zu verweisen? Und vertrat dieser nicht auch nach 2021 die These, dass dieser künstlich ("gain-of-function") verstärkte Virus nicht aus dem Labor käme?

Wenn eine Landesmedienanstalt plötzlich Wahrheitsbehörde sein mag, dann zuerst beim Staatsfernsehen kehren, bitte. Und dann besteht weiterhin die Gefahr, dass es nur noch eine einzige Meinung gibt. Und danke an den Autor für das Einschalten der Öffentlichkeit. Jetzt weiß ich, dass die staatliche Schikane weitergeht.

HELGE BUTTKEREIT, 21. Oktober 2024, 14:50 UHR

Die Landesmedienanstalt ist nicht für den WDR zuständig. Dafür gibt es den Rundfunkrat.

"Wir sind zuständig für die Beaufsichtigung der privaten Rundfunkanbieter, Fernsehanstalten und Telemedien",

heißt es. Die LMA ist also für den Privatfunk in NRW, das Fernsehen und die Online-Angebote zuständig, die ihren Sitz in NRW haben.

SONJA PASCH, 26. Oktober 2024, 00:50 UHR

„Der Meinungsfreiheit verpflichtet“ – so beschreibt sich die Landesmedienanstalt NRW im Briefkopf ihres Schreibens an die Multipolar-Redaktion – eine an Zynismus nicht zu überbietende Selbstdarstellung einer Behörde, die willfährig und blind den grundgesetzlich garantierten freien Diskurs, Kernelement jeder Demokratie, zu zerstören versucht. „Unwissenheit ist Stärke“ wäre ein passenderer Leitspruch für den beklemmenden Übergriff der LfM.

Mit ihrer scharfsinnigen, klaren Reaktion legen Paul Schreyer und Stefan Korinth den Finger in die Wunde und schaffen Öffentlichkeit, denn – wie sagt Pulitzer: „Bringt diese Heimlichkeiten ans Tageslicht, beschreibt sie, macht sie vor aller Augen lächerlich. Und früher oder später wird die öffentliche Meinung sie hinwegfegen.“ Wollen wir hoffen, dass noch ausreichend Restbestände eines demokratischen Diskurses vorhanden sind – der Kommentar auf den nicht gerade regierungskritischen „Übermedien“, die dort zitierten „wütenden Protestschreiben“ klingen immerhin ermutigend.

Nun versucht die Landesmedienanstalt, den Sturm, den sie mit ihrer gegenaufklärerischen Aktion entfacht hat, einzufangen. Mit bemerkenswerter Dreistigkeit deklariert sie das Aufklärungsschreiben von Multipolar zu einer Korrektur in ihrem Sinne und versucht, sich in diesem zweiten Schreiben mit bemerkenswert höflich formulierten Bitten gesichtswahrend aus der Affäre zu ziehen.

Großen Dank an die Multipolar-Redaktion, dass Sie bei dieser Farce nicht mitmachen und die juristische Klärung anstreben! Wir brauchen den freien investigativen Journalismus, das haben nicht zuletzt die RKI-Files gezeigt, geradezu existenziell. Wie viele Menschen hätten vor schweren Gesundheitsschäden oder gar Tod durch völlig unzureichend getestete Impfstoffe bewahrt werden, wie viel gesellschaftlicher und individueller seelischer, wie viel wirtschaftlicher Schaden hätte vermieden werden können, wenn Aufklärer und investigative Journalisten nicht immer wieder in ihrer Arbeit behindert und bedroht würden?

„Journalismus ist kein Verbrechen. Er ist eine Säule einer freien und informierten Gesellschaft.“, so Julian Assange am 1. Oktober vor dem Europarat in Straßburg.

Möge sich die LfM darauf besinnen, dass es ihre Aufgabe ist, einer freien, aufgeklärten Gesellschaft zuzuarbeiten - und nicht Parteiinteressen und der Verschleierung von Verbrechen!

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