Lebendige Erde
SUSANNE WOLF, 11. Juli 2025, 4 Kommentare, PDFMultipolar: Wann haben Sie begonnen, sich mit dem Thema Humusaufbau in der Landwirtschaft zu beschäftigen?
Stark: 2012 wurde ich Teil des Humus-Plus-Projekts der Ökoregion Kaindorf, später habe ich bei Dietmar Näser gelernt, einem der Pioniere der regenerativen Landwirtschaft. Mir war lange Zeit nicht klar, wie viel es bei der Bodenbearbeitung zu beachten gibt, dass es chemische und physikalische Prozesse zu verstehen gilt.
Multipolar: Was heißt „regenerative Landwirtschaft“?
Stark: Es geht darum, Böden wieder zu beleben und Humus aufzubauen. In der regenerativen Landwirtschaft, wie wir sie verstehen, versucht man das Mikrobiom bei allen agronomischen Entscheidungen einzubinden. Anders gesagt: Wir richten die gesamte Aufmerksamkeit auf das Bodenleben. Dabei befolgen wir fünf Schritte: Den Boden chemisch ins Gleichgewicht bringen, ihn immer begrünt halten, genügend Hohlräume schaffen, damit sich das Mikrobiom gut entwickeln kann, den Boden belebend düngen und Wirtschaftsdünger aufbereiten sowie Pflanzen vitalisieren. Der Begriff regenerativ steht jedoch nicht nur für Landwirtschaft, sondern für einen ganzheitlichen Ansatz, der auch auf andere Bereiche wie Ernährung oder Gesundheit zutrifft. Alle reden gerade von Biodiversität, zugleich haben wir nach wie vor Monokulturen auf den Feldern. Das passt nicht zusammen.
Multipolar: Was wollen Sie genau erreichen?
Stark: Wir haben die „Humusbewegung“ gegründet, um unser Wissen weiterzugeben und die Bauern aus dem Kampfmodus zu bringen. Es geht nicht mehr darum, Probleme zu bekämpfen, sondern darum, andere Fragen zu stellen, um uns mit der Natur zu versöhnen. Wir begleiten daher Landwirte, die sich für dieses Thema interessieren und neue Wege gehen wollen. Ausschlaggebend für mich war die Beobachtung, dass immer mehr Menschen krank und energielos sind und die Krankheiten sich verändert haben. Mir war klar, dass die Ernährung eine wichtige Rolle bei der Gesundheit spielt und hier energiereiche Nahrung ein wesentlicher Faktor ist. Bei kranken Böden ist jedoch nicht zu erwarten, dass die Menschen gesund sind. Früher gab es in der Landwirtschaft einen Kreislauf an Nährstoffen, der heute massiv geschädigt ist. In den Böden fehlt es an Elementen wie Bor, Kupfer, Zinn, oder Kobalt. Der Großteil der Menschen leidet heute beispielsweise an einem Siliciummangel. Das wird in der Landwirtschaft jedoch meist nicht untersucht – wir müssen wieder genauer hinschauen.
Multipolar: Wie gehen Sie im Einzelnen vor?
Stark: Die Humusbewegung bietet Beratungen und Bodenanalysen an und lädt Landwirte zu regelmäßig stattfindenden Stammtischen ein, um sich auszutauschen. Wir sagen den Bauern nicht, was sie tun sollen, sondern bringen verschiedene Erfahrungen zusammen. Wir wollen keinen Druck ausüben, sondern lieber Lösungen aufzeigen. Die Humusbewegung macht vieles anders, als es empfohlen wird: Es heißt immer, Bauern müssten sich spezialisieren. Wir glauben jedoch an die Vielfalt. Auch in der Wirtschaft ist Vielfalt förderlich. Ein Beispiel ist die Funktion von Unkraut. Statt es zu bekämpfen, sollte die Frage lauten: Warum ist das Unkraut da? Die Kamille zeigt zum Beispiel einen Mangel an Kalzium auf. Wenn Landwirte dem Boden Kalzium hinzufügen, wird die Kamille nicht wachsen, weil sie keine Aufgabe mehr hat; die Kulturpflanzen können sich dann besser entwickeln.
Multipolar: Was läuft Ihrer Ansicht nach falsch in der konventionellen Landwirtschaft?
Stark: Das Problem, nicht nur bei der konventionellen Landwirtschaft, sondern vielfach auch bei Bio, ist, dass das Bodenleben so gut wie immer ausgeblendet wird. Böden werden kaputt gemacht – durch Monokulturen, lange unbewachsene Zeiträume, schwere Maschinen, chemische Dünge- und Spritzmittel, aber auch Witterungseinflüsse, vor allem Hitze. Bei der „konservierenden Landwirtschaft“ steht die Nichtmineralisation des Kohlenstoffes im Vordergrund. Dabei geht man davon aus, dass der Schaden durch Totalherbizide geringer ist als durch Bodenbearbeitung. Nachdem dabei quasi keine Mineralisation (Nährstofffreisetzung) erfolgt, muss sehr oft mit Handelsdünger der Ertrag generiert werden. Das heißt, einerseits bleibt zwar der Kohlenstoff im Boden – was positiv ist –, andererseits werden aber viele Herbizide und Dünger eingesetzt, was das Mikrobiom schädigt. Wie Boden funktioniert, wird in der herkömmlichen Landwirtschaft wenig thematisiert, das Wissen darüber in den Ausbildungsstätten kaum gelehrt. Die Projekte an den Schulen werden von Firmen finanziert, denen es nur um ihr eigenes Verkaufsinteresse geht.
Multipolar: Wie reagieren denn die Landwirte auf Ihren Zugang?
Stark: Viele fühlen sich angegriffen, wenn man ihre Vorgehensweise kritisiert – denn sie hat ja lange Zeit gut funktioniert. In unserem kapitalistischen, finanzgetriebenen System müssen sie das so machen, um die Rechnungen zahlen und überleben zu können. Boden zu regenerieren, kostet Geld, das viele nicht haben und landwirtschaftliche Förderungen werden lieber in Maschinen und Traktoren investiert, weil das greifbarer ist. Dazu kommt, dass ein Großteil der landwirtschaftlichen Flächen nur gepachtet sind – dadurch ist die Hürde, Geld reinzustecken, größer. Es ist auch einfacher, Mittel zu kaufen, um Schädlinge zu bekämpfen. Der dadurch entstandene Schaden muss jedoch wieder von der Natur ausgeglichen werden und dann kommt der nächste Schädling – eine neverending Story.
Multipolar: Was raten Sie den Landwirten für den Umstieg?
Stark: Es ist ausschlaggebend, den Boden zu beruhigen. Das ist ein langsamer Prozess, der fünf bis zehn Jahre dauern kann, da Boden sehr träge funktioniert. Wir empfehlen, nicht den ganzen Betrieb umzustellen, sondern nur Teile. Dazu braucht es ein klares Konzept: Wie viele Ressourcen habe ich, damit ich Flächen sanieren kann? Dennoch gibt es oft eine Durststrecke beim Ertrag, der meist der einzige Parameter für Erfolg ist – die größte Lücke im System. Denn die Höhe des Ertrags hängt von vielen Komponenten ab – vom Wetter, von Nährstoffen oder Mikroorganismen. Viele Landwirte mit Nebeneinkommen sind bei der Umstellung sehr erfolgreich, da sie das nötige Geld haben. Schwierig ist es für Betriebe, die ausschließlich Landwirtschaft betreiben, sie sind oft enttäuscht und geben zu schnell auf. Viele sagen, das kann ich mir nicht leisten. Wir haben jedoch in den letzten 100 Jahren den Boden dorthin gebracht, wo er jetzt ist, jetzt brauchen wir Zeit für den Wiederaufbau der Bodenfruchtbarkeit. Dazu bräuchte es auch das Verständnis der gesamten Bevölkerung und ein Umdenken, dass das nicht eine kleine Gruppe stemmen kann. Es müssten sich viel mehr darum kümmern, nicht nur auf dem Papier, sondern draußen in der Praxis. Wir brauchen mehr Menschen, die aktiv mit ihren Händen den Boden pflegen.
Multipolar: Wie könnte das gelingen?
Stark: Es braucht dazu einen gewissen Leidensdruck. Die Technik hat den Menschen die körperliche Arbeit mehr oder weniger abgenommen. Früher hat es hunderte Leute gebraucht, um einen Hektar Boden zu bestellen, heute macht das die Technik in einer Stunde. Die Menschen, die draußen nicht mehr gebraucht wurden, haben dann Jobs in der Organisation oder Kontrolle übernommen. Durch die Künstliche Intelligenz werden auch viele dieser Bürojobs verloren gehen. Diesen Menschen würde ich empfehlen, mit den Händen draußen zu arbeiten, sich einen Grund zu suchen, Lebensmittel anzubauen. Ich bin sicher, dass ihnen das Erfüllung bringen würde. Psychische Erkrankungen nehmen zur Zeit auch deshalb zu, weil viele in ihrem Tun keinen Sinn mehr sehen. Wenn ich aber aktiv etwas erschaffe – und wenn das nur ein Same ist, den ich in den Boden pflanze – kann mich das wieder erfüllen.
Multipolar: Warum ist Humusaufbau in der Landwirtschaft so wichtig?
Stark: Humus steht für lebendige Erde. Die Vorteile sind vielfältig: Humus speichert nicht nur Kohlenstoff und Wasser, sondern auch wichtige Pflanzennährstoffe und trägt wesentlich zu einem ausgeglichenen, gesunden Boden bei. Durch Humusaufbau können Böden Ertragsschwankungen durch Trockenheit, Hitze oder Starkregen besser abfedern. Wasser wird länger gespeichert und ist somit auch in Trockenperioden verfügbar. Humusreiche Böden sind im Laufe der Zeit in Urwäldern, auf Wiesen und Steppen entstanden. Am besten hat das in Kombination mit Wiederkäuern funktioniert, was beweist, dass ein fruchtbarer Boden genutzt werden will. Wiesen, beziehungsweise Gräser haben dabei eine Schlüsselrolle. Wenn man dem Boden die Pflanze nimmt, wird er unfruchtbar, das liest man schon in alten Büchern. Trotzdem werden noch immer viele Flächen im Herbst gepflügt und brach liegen gelassen. Besser für den Boden ist es, ihn über den Winter grün zu lassen. Die Bedeckung des Bodens sollte heute der Hauptfokus sein.
Multipolar: Sind Erträge in der regenerativen Landwirtschaft höher als in der konventionellen?
Stark: Das kann man so allgemein nicht sagen. Da der Boden ein lebender Organismus ist, hängt der Ertrag von vielen Faktoren ab, zu 50 Prozent vom Wetter. Eigentlich müssten die Erträge aufgrund züchterischer Fortschritte steigen, doch sie stagnieren – trotz Fortschritten bei Wissen und Technik. Bodenkundler beschreiben in alten Büchern die organische Substanz mit 5 Prozent, heute liegt der Humus bei 2 Prozent. Der Grund: die Bodenfruchtbarkeit hat abgenommen. Bei händischer Arbeit und ohne schwere Maschinen sind die Erträge jedoch höher, wie zum Beispiel in Permakultur-Betrieben.
Multipolar: Welche Rolle spielt regenerative Landwirtschaft und Humusaufbau bei Extremwetterereignissen?
Stark: In einem System, wo der Boden nicht bedeckt ist, also nichts angebaut wird, steigen die Bodentemperatur an Tagen mit extremer Hitze auf bis zu 60 Grad. Dann stirbt die Mikrobiologie an der Oberfläche ab und es kann kein Humus mehr entstehen. Humus bildet sich nur dann, wenn die freien Nährstoffe über die Pflanzen in einen Kreislauf kommen und der Kohlenstoff wieder in den Boden gepumpt wird. Dann entsteht neues Leben. Bei Starkregen können humusreiche Böden mehr Wasser aufnehmen als ausgelaugte Böden. Bei unseren Wasserversickerungstests schneiden Betriebe mit regenerativer Landwirtschaft immer besser ab: Der Boden nimmt mehr Wasser auf, wie ein Schwamm.
Multipolar: Sie bezeichnen die Humusbewegung auch als „öko-soziale Friedensbewegung“. Warum?
Stark: Viele Menschen befinden sich gerade im Kampfmodus. Wir neigen dazu, Menschen über die Moral zu beeinflussen und schlecht zu machen. In der Humusbewegung möchten wir neutrale Positionen einnehmen und keine reißerischen Versprechen machen. Wir möchten positive Akzente setzen, statt Horrorszenarien zu verbreiten. Bei Vorträgen lasse ich gerne Achtsamkeitsmomente einfließen. Achtsame Menschen gehen automatisch anders mit dem Planeten um, mit Lebensmitteln oder Mitmenschen. Wenn jeder Mensch ein bisschen mehr in den inneren Frieden käme, sähe der Planet anders aus.
Multipolar: Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wollten Sie immer schon Landwirt werden?
Stark: Ja, ich wusste bereits als Kind, dass ich Bauer werden will – oder Pfarrer. Heute ziehe ich wie ein Prediger durchs Land, das passt also auch. Meine Haupttätigkeit liegt jedoch am Hof, den ich gemeinsam mit meiner Frau Martina bewirtschafte. Ich höre immer wieder, ihr arbeitet so viel. Aber für mich fühlt es sich nicht so an, ich tue einfach, was zu tun ist. Selbstreflexion und Achtsamkeit sind für mich wesentlich, ich bin im Hier und Jetzt und denke nicht so viel über die Zukunft nach. Aus dieser Einstellung schöpfe ich meine Kraft. Manchmal sitze ich einfach nur da und mache gar nichts – und bin dankbar, dass ich das heute so erleben darf.
Über den Interviewpartner: Hubert Stark, Jahrgang 1966, Vater von zwei erwachsenen Kindern und Großvater von drei Enkelkindern, erlernte zunächst den Beruf des Tischlers, war Landwirt im elterlichen Betrieb, Geschäftsführer bei der „Bioschwein Austria Vertriebs GmbH“, geschäftsführender Obmann bei der „Fairen Biogetreide Vermarktung“ sowie Gründungsmitglied der „Humusbewegung“.
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