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Presserat: Nicht jede Angst ist schlecht

Der Deutsche Presserat soll die Einhaltung des Pressekodex überwachen. In Krisenzeiten wie Corona aber auch ansonsten fällt auf, dass die Entscheidungen dem Mainstream folgen. Eine kritische Fallanalyse mit einem besonderen Blick darauf, welche Angst dem Gremium genehm ist.

HELGE BUTTKEREIT, 7. November 2024, 0 Kommentare, PDF

Wir schreiben den Januar 2022. In ganz Deutschland wird über die Impfpflicht diskutiert. Ungeimpfte sind weitgehend aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen. Das existiert wenn überhaupt nur maskiert. Am Montagabend protestieren deutschlandweit immer mehr Kritiker der Maßnahmen. Auch in Rheda-Wiedebrück gehen sie auf die Straße. Die örtliche Lokalzeitung „Die Glocke“ spricht mit ihnen. Am Donnerstag den 20. Januar kommen sie auf der ersten Lokalseite zu Wort. Die fünf Befragten, drei Ärzte, ein Mikrobiologe und eine Apothekerin, treibt die Sorge vor einer Impfpflicht und einer weiteren Spaltung der Gesellschaft um.

„Im Wesentlichen wollten die Menschen, die in Rheda friedlich auf die Straße gehen, ‚die fortschreitende Diskriminierung nicht hinnehmen‘ und setzten sich ‚gegen die aktuellen sowie zu erwartenden verschärfenden Maßnahmen der Politik zu wehr‘“, heißt es. Auf der gleichen Seite steht auch eine Kritik am „drastischen Humanexperiment“. Kein Impfstoff sei bisher in so kurzer Zeit entwickelt worden. Die Berichterstattung der Zeitung sorgt für viel Wirbel in der westfälischen Provinz. Es gibt Artikel mit Gegenmeinungen, offizielle Verlautbarungen, scharfe Leserbriefe, Gespräche in der Redaktion und einige Zeit später eine Rüge vom Presserat. Die Veröffentlichung sei geeignet, „unbegründete Befürchtungen zu wecken“, heißt es in der Begründung. Die Angst vor der Impfung ist die falsche Angst.

Gut zwei Jahre später im Februar 2024 geht es einige hundert Kilometer südlich noch einmal um die Angst vor Corona. Die Friedrichshafener Ausgabe des Schwäbischen Tageblatts titelt: „Hausarzt: ‚Wir brauchen das Schreckgespenst Corona nicht mehr.‘“ Besagter Arzt wird mit den Worten zitiert: „Es ist nicht mehr das große Virus, wovor wir uns alle fürchten müssen.“ Impfquote, Mutation, Immunität, das alles führe dazu, dass die Gefahr gesunken, Corona ein Virus unter anderen ist. Die früheren Maßnahmen indes befürwortet der Hausarzt weiterhin. In älteren Artikeln der Zeitung hatte er auch die „Impfung“ empfohlen. „Aber jetzt wäre aus meiner persönlichen Sicht die Politik wieder gefordert, Entwarnung zu geben“, sagt der Arzt und nimmt dann das Wort „Schreckgespenst“ in den Mund. Auch für diesen Artikel spricht der Presserat eine Rüge aus. Bei „einem relevanten und angstbesetzten Thema“ seien ungeprüft Prognosen übernommen worden. Merke: Die Angst vor Corona ist die richtige Angst. Zumindest aus Sicht des Presserats. Er will offenbar dafür sorgen, dass die Zeitungen dem herrschenden Narrativ treu bleiben.

Der Presserat und seine Sanktionen

Der Deutsche Presserat wurde im November 1956 von Verlegern und Journalisten gegründet, als der Presselandschaft ein „Bundespressegesetz“ mit weitreichenden Vorschriften drohte. Der Presserat schützt seitdem fortan als Selbstkontrollorgan die Presse vor dem Staat. Er soll nach innen journalistische Fehlleistungen und Missstände im Pressewesen bekämpfen und nach außen die Pressefreiheit verteidigen. Dabei wird die Selbstkontrolle staatlich gefördert. Seit Mitte der 1970er Jahre werden die Beschwerdeausschüsse aus Steuermitteln mitfinanziert. Aus dem Bundeshaushalt gibt es bis zu 49 Prozent des Gesamtbudgets der mittlerweile drei Ausschüsse. Derzeit (in den Haushalten von 2023 bis 2025) sind dafür jährlich 423.000 Euro vorgesehen, im Haushalt für 2022 waren es noch 223.000 Euro, 2023 261.000 Euro.

Die Verbindung zwischen Presserat und Staat ist demnach vorhanden, auch wenn das Gesetz aus den 1970er Jahren die „Unabhängigkeit des Beschwerdeausschusses“ im Titel trägt. Und nicht erst seit 2020 muss die Frage erlaubt sein, ob diese Presse überhaupt vor dem Staat beschützt werden muss? Schließlich übernimmt die Presse nachweislich diverser Studien zu den Themen dieser Zeit – Flüchtlingskrise, Corona, Ukraine – sehr oft die Position der Regierung.

Neben den regelmäßigen Verstößen gegen Persönlichkeitsrechte, aufgrund derer die Beschwerdeausschüsse tätig werden, gehen viele Beschwerden zu Berichten über die Krisen der Zeit ein. Artikel zur Ukraine, zur Flüchtlingskrise und vor allem über Corona haben viele Leser animiert, sich beim Presserat zu beschweren. Ein großer Teil der Beschwerden wird dabei jeweils von der Geschäftsstelle als offensichtlich unbegründet eingeordnet und schafft es gar nicht in einen Ausschuss. Wenn diese Ausschüsse tagen und über die Beschwerden befinden, können sie Sanktionen verhängen: Hinweise, Missbilligungen, Rügen.

Große Bedeutung haben diese Sanktionen nicht. Eine öffentliche Rüge hat das Medium allerdings abzudrucken, auch das steht im Pressekodex. Und was passiert, wenn ein Medium die Rüge nicht abdruckt? Nichts. Gleichwohl hat eine Beschwerde beim Presserat mit nachfolgender Sanktion gerade bei Lokalzeitungen eine große Bedeutung. So wie bei der Glocke in Rheda-Wiedenbrück. Dort gab es 2022 deutliche Reaktionen auf die Kritik und die Beschwerde beim Presserat. In ihrer Stellungnahme, um die jede Redaktion vom Presserat gebeten wird, verweist die Chefredaktion des Lokalblatts darauf, dass „in der Redaktion kontroverse Diskussionen gefolgt“ sowie Personalgespräche mit den verantwortlichen Redakteuren geführt worden seien. Der Redakteur, der die gerügte Seite geschrieben hat, orientierte sich in der Folge beruflich neu. Er arbeitet nicht mehr für die Zeitung. Die Chefredaktion habe Zusagen nicht eingehalten und erbärmlich agiert, sagt er auf Nachfrage von Multipolar.

Forderung nach Einordnung

In der Provinz sorgte der Presserat zumindest im Nachhinein dafür, dass die Berichterstattung zum herrschenden Narrativ zurückkehrte. Man gab sich dem Pressrat gegenüber schuldbewusst, die Redaktion habe nach der Veröffentlichung über die Spaziergänger ihre Position zur Impfung klar gestellt. Schon am Tag nachdem die Experten auf der lokalen Titelseite die Maßnahmen und die mRNA-Therapie kritisiert hatten, berichtete die Zeitung von einer Vielzahl von Stellungnahmen aus der Leserschaft. Es gab Texte, in denen die offiziellen Positionen von Bundesregierung und Robert-Koch-Institut dargestellt wurde. Unerträgliche Kollateralschäden, wie von den Kritikern behauptet, gebe es nicht, stattdessen 116.000 Tote durch das Virus. Das sagt ein Arzt in einem Artikel. Belege für diese Zahl werden nicht präsentiert.

Einen weiteren Tag später steht – wieder auf der lokalen Titelseite – eine weitere Verteidigung der Impfstoffe durch einen örtlichen Hausarzt. Die kurze Dauer der Zulassung habe nichts damit zu tun, dass Prüfschritte weggelassen worden seien. Es sei unter Hochdruck gearbeitet worden. Dabei unterblieb die Einordnung der Redaktion, dass es nur eine bedingte Zulassung gab. Eine Hintergrund-Spalte mit offiziellen Aussagen über Sicherheit und Nebenwirkungen der mRNA-Präparate macht die Berichterstattung im Sinne des offiziellen Narrativs rund. Auf der zweiten Lokalseite folgt eine Fülle von Leserbriefen. Tenor fast aller Zuschriften zusammengefasst in einer der Überschriften: „So etwas darf man nicht veröffentlichen.“

So weit ging der Presserat in seiner Begründung für die Rüge nicht, kritisierte aber, dass die Positionen „dem Forschungsstand widersprachen“ und nicht näher eingeordnet wurden. Eingeordnet? Das ist ein Lieblingswort des Presserats, wenn er eine Maßnahme zu begründen hat. Insbesondere wenn Positionen nicht der vorherrschenden Meinung, der Meinung der Herrschenden entsprechen, dann verlangt der Presserat eine solche Einordnung. Dabei verweist er auf die journalistische Sorgfaltspflicht, die Ziffer zwei des Pressekodex fordert. Dort geht es um die Prüfung von Informationen, Recherche und darum, dass „unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen ... als solche erkennbar zu machen“ sind. Wer das nur fordert, wenn die Vermutungen dem herrschenden Narrativ widersprechen – schließlich war die Schutzwirkung von Impfung oder Maßnahmen ebenfalls nur eine Vermutung – der verstärkt eben dieses Narrativ. Wenn nur kritische Stellungnahmen von Experten durch die Redaktion eingeordnet werden, klingt das nicht nur wie eine einseitige Distanzierung, es ist auch eine.

Der damals beteiligte Journalist sagt heute, dass man sich bewusst gegen eine weitere Einordnung entschieden habe. Auch die Aufrufe zur Impfung habe man schließlich nicht kommentiert. „Warum also die Annahmen der Skeptiker – darunter ein Neurobiologe, mehrere Ärzte und eine Apothekerin – direkt als Nonsens abstempeln?“ Man war überzeugt, dass die Leser mit den Überzeugungen anderer zurecht kommen würden. Es kam anders: Der Presserat und viele Leser kamen damit nicht zurecht.

Auch von der Schwäbischen Zeitung forderte der Presserat mehr Einordnung. In der ausführlichen Begründung der Rüge für den Artikel über den Hausarzt heißt es, der Arzt habe Prognosen zum weiteren Verlauf angestellt, die von der Zeitung nicht weiter eingeordnet wurden. Dabei werde nur von dessen eigene Praxiserfahrungen berichtet, was dem Artikel übrigens auch zu entnehmen ist. Der Presserat hielt es allerdings für nötig, darauf noch explizit einzugehen. Einige Mitglieder des Beschwerdeausschusses verwiesen auf die angeblich fehlende epidemiologische Expertise des Hausarztes, für den Corona kein „Schreckgespenst“ mehr ist. Gerügt wurde wegen eines „massiven Sorgfaltsverstoßes“ sowie wegen einer „unzulässige Medizin-Berichterstattung, die geeignet ist, unbegründete Hoffnungen beim Leser erwecken zu können“.

Wer den Artikel heute nachliest, bekommt allerdings eine andere Version als die ursprüngliche, die im Februar erschien und archiviert ist. In dieser ersten Version sagte der Hausarzt Corona unter anderem: „Heute ist es so, dass Sie sogar Corona-positiv wieder zum Arbeiten könnten, selbst im Großraumbüro mit FFP2-Maske.“ Unter der aktuellen Version, in der unter anderem diese Passage fehlt, heißt es mittlerweile: „Einzelne Formulierungen im Text wurden nach der Erstpublikation im Sinne eines besseren Verständnisses von medizinischen Zusammenhängen angepasst.“ Ob dies mit der Rüge gegen die Zeitung zusammenhängt, ist unklar. Transparent ist die Zeitung an dieser Stelle nicht. Laut Presserat wurde die Rüge im Juli veröffentlicht, vermutlich in der gedruckten Ausgabe.

Ein Text des Medienmagazins Übermedien über die Schwäbische Zeitung kritisiert, dass die Redaktion mit dem Hinweis den falschen Eindruck erwecke, der Originalartikel wäre für medizinische Laien schwer verständlich gewesen. „Tatsächlich hat die Redaktion inhaltlich durchaus verständliche O-Töne des Arztes gestrichen, etwa: ‚Long-Covid, frisch geborenes Long-Covid aus der letzten Zeit, das gibt es gar nicht mehr.‘“ Der Autor, der Medienjournalist René Martens, sieht aufgrund mehrerer Rügen gegen die Schwäbische Zeitung eine „problematische“ Entwicklung aus politischen und berufsethischen Gründen. Er stellt sie in eine Reihe mit der Kooperation von Multipolar mit der Neuen Osnabrücker Zeitung sowie der Open-Source-Rubrik der Berliner Zeitung, die bei Übermedien unter „Mitmachjournalismus für Corona-Skeptiker“ firmiert.

Das gefährdete Ansehen der Medien

Mit der gleichen Begründung wurden auch diverse Artikel zu alternativen Heilmethoden von lokalen Medizinern oder Heilpraktikern oder auch die Berichterstattung über einen Leitfaden für Impfgeschädigte gerügt. Immer wieder fehlte dem Presserat die Einordnung, dass es sich um Einzelmeinungen abseits des Mainstreams handele. Die Ziffer 14 des Pressekodex, in der es um Medizin-Berichterstattung geht, lag und liegt vielen Entscheidungen zugrunde. Deren kompletter Text lautet:

„Bei Berichten über medizinische Themen ist eine unangemessen sensationelle Darstellung zu vermeiden, die unbegründete Befürchtungen oder Hoffnungen beim Leser erwecken könnte. Forschungsergebnisse, die sich in einem frühen Stadium befinden, sollten nicht als abgeschlossen oder nahezu abgeschlossen dargestellt werden.“

Bei Durchsicht der etwa 100 Entscheidungen der Beschwerdeausschüsse zu Corona fällt auf, dass es keine einzige Maßnahme gegen Berichte gab, die unbegründete Hoffnungen durch die Impfung bei den Lesern weckten. Das Narrativ blieb geschützt. Eine Missbilligung sprach der Presserat hingegen für einen Artikel der Berliner Zeitung über einen Brief von vier Chemikern aus, die sich an Biontech gewandt hatten. Darin schrieben sie, dass sie nicht den Eindruck hätten, dass der Impfstoff gegen Covid-19 auf mRNA-Basis in der „Massenanwendung“ genutzt werden kann. Es ging um eine mögliche Verunreinigung des Impfstoffes und die Folgen. Die Berliner Zeitung berichtete in der Folge über die Antwort von Biontech, die Reaktion der Wissenschaftler und griff das Thema auch Anfang dieses Jahres wieder auf.

Die Missbilligung des Presserats betraf dabei den ersten Artikel zum Thema aus dem Jahr 2022. Die Beschwerdeführerin verwies auf die kritische Haltung der zitierten Experten zur Impfung, die „eigene politische Agenda verfolgten“. Die Zeitung entgegnete, es gebe keinen Grund, an der Expertise der zitierten Wissenschaftler zu zweifeln. Der Presserat forderte wieder einmal eine Einordnung im Text, die Verlinkung auf die Antwort von Biontech reiche nicht. „Der Beitrag ist überdies geeignet, das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien zu beeinträchtigen (Ziffer 1 des Pressekodex). Er schürt unbegründete Zweifel am BioNTech-Impfstoff und kann Verschwörungstheorien Vorschub leisten.“ Warum die Zweifel unbegründet sein sollen, steht nicht in der öffentlich zugänglichen Entscheidung. Ansehen, Medien und Impfung scheinen hier seltsam verknüpft.

Eine Missbilligung erreichte auch den Nordkurier für einen Artikel zum Thema PCR-Tests. Besonders Anstoß erregte der Satz: „Wieder bestätigt eine seriöse Quelle, was bislang als Verschwörungstheorie galt: eine Vielzahl von Corona-Positiven soll nicht ansteckend sein“. Dies sei ein Irreführung, so heißt es in der Begründung des Presserats für die Missbilligung. Experten hätten immer gesagt, der PCR-Test weise die Infektion und keine Infektiosität nach. „Zum anderen suggeriert die Berichterstattung eine mangelnde Aussagekraft von PCR-Tests. Diese weisen jedoch genau das nach, was sie sollen (Virus-Erbgut und damit Infektion). Zudem ist die Berichterstattung geeignet, gegen die Wahrhaftigkeit nach Ziffer 1 des Kodex zu verstoßen und die Glaubwürdigkeit der Presse zu beschädigen. Die Aussagen sind irreführend und bedienen das Narrativ von Verschwörungstheoretikern.“

Auch eine weitere Missbilligung für einen Artikel des Nordkuriers wurde unter anderem damit begründet, dass dieser „ohne ausreichende Belege das Narrativ von Verschwörungstheoretikern“ bediene. Missbilligt wurde allerdings auch der Aufruf, „Querdenker“ bei der Polizei anzuzeigen, den die Nordwest-Zeitung veröffentlicht hatte. Auch ein solcher Aufruf zur Denunzierung von Menschen aus dem Umfeld sei geeignet, das Ansehen der Presse zu schädigen, schreibt der Presserat. Einen „Hinweis“ des Presserats gab es für das Redaktionsnetzwerk Deutschland, das über den Angriff auf ein Kamerateam am Rande einer „Querdenker“-Demonstration berichtete, aber nicht klarstelle, dass die Angreifer aus dem Lager der Gegendemonstranten kamen.

Kritik an Panikmache unbegründet

Bei der Mehrzahl der Artikel, deren Beschwerden in den zuständigen Ausschüssen des Presserats behandelt wurden, wurde keine Sanktion verhängt. Die Beschwerden waren unbegründet. Das gilt – in geringerem Maße – sowohl für solche Texte, in denen Positionen der Kritiker der Corona-Maßnahmen kritisiert wurden, als auch für Artikel, in denen beispielsweise Studien behandelt wurden, die das Narrativ des Mainstreams stützten. Zum Abschluss dieses Artikels sollen von letztgenannten noch zwei vorgestellt werden, bei denen es um einen besonders prominenten Artikel und noch ein letztes Mal um die Angst ging.

Zunächst zu Nikolaus Blome. Der Politikchef von ntv und RTL hat sich besonders mit einem Satz in das Gedächtnis all derer eingeschrieben, die sich nicht impfen lassen wollten. Im Dezember 2020 wünschte er sich für sie in einem Spiegel-Artikel gesellschaftliche Nachteile und schrieb:

„Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen.“

Insgesamt 17 Beschwerden gingen beim Presserat ein. Blomes Aussage wurde als Volksverhetzung oder diskriminierend kritisiert. Es werde gegen Andersdenkende gehetzt und dazu aufgerufen, diese zu diffamieren, stigmatisieren, auszugrenzen und zu benachteiligen. Der Spiegel entgegnete, da das Bundesverwaltungsgericht Impfpflichten zugelassen habe, könne die Forderung danach auch nicht gegen die Menschenwürde verstoßen.

Dem folgte der Beschwerdeausschuss. Der Artikel sei ein Kommentar, in dem der Autor seine pointierte Meinung äußert. Und jetzt wörtlich:

„Ein presseethischer Verstoß läge nur dann vor, wenn in schwerwiegender Art schutzwürdige Interesse anderer verletzt würden. Dies ist hier nicht der Fall. Ein Verstoß gegen die Menschenwürde nach Ziffer 1 ist nicht gegeben, da Personen, die einer Corona-Impfung kritisch gegenüberstehen, nicht ihre Subjektqualität an sich abgesprochen wird. Eine kritische Haltung gegenüber der Corona-Impfung stellt keine religiöse, weltanschauliche oder sittliche Überzeugung im Sinne der Ziffer 10 des Kodex dar. Auch ist die Grenze zur Schmähung nicht überschritten.“

Im zweiten Fall ging es um die Angst vor Ansteckung. Ein Artikel (vermutlich auf nordbayern.de) zitierte aus dem Interview mit einem Virologen, demzufolge die Gefahr einer Corona-Infektion in einem Supermarkt – wenn niemand eine Maske trägt – bei nahezu hundert Prozent liege. Der Beschwerdeführer kritisierte eine unangemessen sensationelle Darstellung, die unbegründete Befürchtungen beim Leser wecke. Es seien Zahlen ohne weitere Erläuterungen aus Forschungsergebnissen entnommen und aus dem Zusammenhang gerissen worden. Der Beschwerdeausschuss sah das anders: „Dass die Redaktion nicht über die vom Beschwerdeführer angesprochene Studie, die der Expertenwertung offenkundig zugrunde liegt, berichtet, liegt in ihrem Ermessen.“

In diesem Fall der Panikmache durch ein Medium war also die sonst so oft ins Feld geführte „Einordnung“ unnötig. Es war ja die richtige Angst.

Über den Autor: Helge Buttkereit, Jahrgang 1976, hat sein Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Journalistik mit einer Arbeit zu „Zensur und Öffentlichkeit in Leipzig 1806-1813“ abgeschlossen. Nach journalistischen Tätigkeiten bei verschiedenen Medien und Buchveröffentlichungen über die Neue Linke in Lateinamerika arbeitet er aktuell in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

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