Störfaktor Multipolar
REDAKTION, 30. Oktober 2024, 14 Kommentare, PDFHinweis: Dieser Beitrag ist auch als Podcast verfügbar.
Dass etablierte Medien über unsere Arbeit berichten, ist für unsere kleine Redaktion eine eher neue Erfahrung. Nach der Gründung von Multipolar im Januar 2020 blieben wir zunächst für lange Zeit unter dem öffentlichen Radar. Zwar unterschied sich unser damaliger Journalismus nicht von unserem heutigen, auch waren die Leserzahlen ähnlich. Doch erst mit der Veröffentlichung der durch uns freigeklagten RKI-Protokolle werden wir nun auch von vielen Etablierten wahrgenommen und dabei als Journalisten erkannt, die stören und die ungeschriebene Regeln brechen.
Diese Regeln sind klar. Man verklagt keine Bundesbehörde, die die „Gesundheit der Menschen schützt“. Im Gegenteil, gerade als Journalist und gerade in einer Gesundheitskrise hat man einer solchen Institution zu helfen und sie gegen Anfeindungen und Kritik abzuschirmen. Das meinen zumindest manche, gar nicht so wenige Kollegen. Man initiiert auch keine Meinungsumfrage, die nach der Verbreitung von Impfnebenwirkungen fragt. So eine Umfrage spielt bloß Querdenkern und der AfD in die Hände. Sie untergräbt das Vertrauen in die Behörden. So etwas macht man nicht. Wie gesagt: ungeschriebene Regeln.
Wir halten solche Überzeugungen für falsch, weil wir die Forderung nach Transparenz und die Suche nach Wahrheit nicht unter den Vorbehalt ihres parteipolitischen Nutzens stellen wollen. Gerade das aber scheint zu stören, ganz erheblich und nachhaltig. Es untergräbt festgelegte Fronten und gängige Feindbilder. Es macht die Auseinandersetzung in den hitzig geführten Debatten unangenehm kompliziert. Besser also, so scheinen manche zu wünschen, das hört schnell wieder auf. Medien wie unseres müssen daher zurückgedrängt werden in ihre Nische, die der Randständigen, der Nörgler, der „Verschwörungstheoretiker“ oder gleich, ganz kurz und kompakt: der „Rechten“. Keinesfalls dürfen solche Medien erfolgreiche Kooperationen mit etablierten Zeitungen eingehen. Keinesfalls auch darf ihre Arbeit Eingang in die großen Debatten finden. Sie müssen draußen bleiben, unbedingt.
Meinungsforschungsinstitute verweigern die Mitarbeit
Auftritt Forsa. Multipolar hatte im Mai bei verschiedenen renommierten Meinungsforschungsinstituten angefragt mit der Bitte um ein Angebot für eine repräsentative Umfrage. Ein Thema wurde bei dieser Anfrage durch uns nicht genannt, es ging uns erst einmal nur um die Abschätzung der Kosten einer solchen Untersuchung. Die angefragten Insitute lehnten allerdings ab (Infratest dimap) oder ignorierten die Anfrage ganz einfach (Allensbach, Insa und Forsa).
Wir fanden Partner. Nachdem Multipolar später, im September, gemeinsam mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) eine Umfrage unter anderem zur Verbreitung von Corona-Impfnebenwirkungen konzipiert hatte und die NOZ diese Umfrage dann bei Forsa beauftragte, erhielt Multipolar wenige Stunden nach Veröffentlichung der Ergebnisse eine anwaltliche Abmahnung von Forsa. Wir durften nicht behaupten, die Umfrage gemeinsam mit der NOZ „beauftragt“ zu haben. Offenbar sah Forsa eine solche Behauptung als rufschädigend an. In der vergangenen Woche erklärte Forsa-Geschäftsführer Thorsten Thierhoff dazu gegenüber der „taz“ sehr deutlich, man arbeite „grundsätzlich nicht für Verschwörungstheoretiker, Rechtsradikale oder extremistische Institutionen“. Da keine dieser Zuschreibungen auf Multipolar zutrifft, stellt sich die Frage, was Forsa veranlasst, dies dennoch zu glauben.
Auftritt Wikipedia. Am 26. März 2024, wenige Tage nachdem wir die RKI-Protokolle veröffentlicht hatten, wurde auf Wikipedia erstmals ein – zunächst noch wohlwollender – Eintrag zu unserem Magazin angelegt. Schon am Folgetag ergänzte dort Nutzer „Phi“, Multipolar werde von einem einzelnen Wissenschaftler unter den „klassischen verschwörungstheoretischen Alternativmedien“ eingereiht. Einen Tag später, am 28. März, wurde diese Information von Nutzer „ElLutzo“ in den Einleitungsabsatz gehoben. Dort steht seither mit dem Nimbus einer bestätigten Wahrheit: „Das Online-Magazin wird zu den verschwörungstheoretischen Alternativmedien gerechnet.“ Jeder der nach Multipolar googelt, sieht diese Information nach wenigen Sekunden. Weitere Recherchen: überflüssig.
Karriere eines Stichpunktzettels
Auftritt Markus Linden. Einen Politikwissenschaftler diesen Namens gibt Wikipedia als Quelle für die Behauptung an, genauer gesagt: einen Stichpunktzettel – oder vornehmer: eine Vortragsfolie – von Markus Linden, angefertigt von ihm als Gedächtnisstütze für einen Online-Vortrag im Jahr 2021. Auf diesem Papier – keine wissenschaftliche Arbeit, kein Vortragsmanuskript, sondern eben ein Blatt mit Stichpunkten – heißt es:
Verschwörungsmythen – Zur politischen Relevanz von Desinformation und Widerstandspropaganda (...)
4. Akteure heute: Wer verbreitet das? (…)
3.1 Wirre - Eva Herman, Attila Hildmann, Xavier Naidoo
3.2 Klassische verschwörungstheoretische Alternativmedien - KenFM (apolut), Compact, Rubikon, Multipolar (Ulrich Teusch, Paul Schreyer), Daniele Ganser
3.3 Newcomer - „Demokratischer Widerstand“, „Querdenken“, „Die Basis“
Einmal ganz außen vor gelassen, dass dieser Wissenschaftler grundlegende Probleme mit dem Zählen zu haben scheint (die Unterpunkte 3.1 bis 3.4 – die in seinem Papier sämtlich doppelt existieren – sind bei Punkt 4 einsortiert, auf diesen folgt unmittelbar Punkt 6, was zumindest für eine gewisse Schlampigkeit spricht), wird Multipolar in dem Papier, bis auf die einmalige Nennung, gar nicht weiter erwähnt. Es fehlt damit jede Erläuterung oder Argumentation zu der kontroversen Zuschreibung. Vom Vortrag selbst existiert öffentlich kein Manuskript oder Mitschnitt. Linden selbst ist bekannt für seine mit Regierungsmitteln geförderten negativen Arbeiten zu oppositionellen Medien („Projekt Gegneranalyse“). Telepolis bezeichnete ihn vor einem Jahr spöttisch als „Indizienbeweisführungvermutungskritiker“ und erklärte, Linden arbeite sich „gegen Honorar offenbar gerne“ an regierungskritischen Medien ab und kompensiere „seinen Mangel an Analyse und wissenschaftlichen Erkenntnissen durch Ideologisierung“.
Wikipedia reicht das dennoch. Forsa auch. Und vielen anderen, die Recherche mit einer 30-sekündigen Googlesuche verwechseln, ebenfalls. Zu einem ernsthaften Problem wird das dann, wenn auf Basis von solchen unbelegten abwertenden Behauptungen oppositionellen Medien verwehrt wird, eine Meinungsumfrage in Auftrag zu geben, die vielleicht zu Ergebnissen kommen könnte, die der Regierung nicht gefallen.
Forsa-Geschäftsführer Thorsten Thierhoff erklärt nun, man habe die Multipolar-Anfrage ignoriert, „da wir Zweifel hatten, ob deren Redaktion unsere Umfrageergebnisse redaktionell sorgfältig verarbeitet und wiedergibt“. Und weiter: „Die Kernaussagen der Umfragen sind insbesondere in Multipolar aus unserer Sicht in unzulässiger Weise verkürzt dargestellt worden. Die Wiedergabe stellt teilweise eine sehr freie Interpretation der Ergebnisse dar.“ Beides ist falsch. Multipolar hat in seinem Bericht sämtliche Zahlen und Grafiken, die Forsa zur Umfrage lieferte, vollständig veröffentlicht. „Verkürzt“ wurde nichts, „frei interpretiert“ auch nicht. Warum stellt Forsa das also falsch dar?
Schaden für die Gesellschaft
Wenn klar wird, dass Medien wie Multipolar keine Umfragen beauftragen dürfen, weil sie regierungskritischen Journalismus betreiben, dann hat letztlich nicht Multipolar ein Problem, sondern Forsa und viele andere: nicht zuletzt die Gesellschaft insgesamt, die bestimmte Umfrageergebnisse dann nicht erfährt. Denn etablierte Medien haben, zumindest unseres Wissens nach, bislang nie eine Umfrage mit einer solchen Fragestellung zu Impfnebenwirkungen in Auftrag gegeben. Sie haben nun, bis auf wenige Ausnahmen (Berliner Zeitung, Cicero), auch nicht über die Umfrage berichtet. Man schweigt die Ergebnisse (19 Prozent der Geimpften berichten Nebenwirkungen) tot. Wo sie dennoch erwähnt sind, werden sie pauschal als unglaubwürdig abgelehnt.
Auftritt Übermedien. Dieses Online-Magazin, gern gelesen von Journalisten, spricht in seinem Newsletter, spürbar angewidert, von einem „besonders ärgerlichen Fall von Umfragen-Missbrauch“, ärgerlich „vor allem, weil sich die NOZ einen überraschenden publizistischen Partner für die Umfrage an Bord geholt hat, der in seiner Berichterstattung noch mal einen Schritt weiterging – in die falsche Richtung, versteht sich“. Im Übermedien-Beitrag finden sich dazu allerdings keine Belege. Bemängelt wird lediglich, dass Aussagen der Befragten zu eigenen Nebenwirkungen generell nicht verlässlich seien: „aus einem subjektiven Empfinden wird ein Fakt gemacht“.
Abgesehen davon, dass so reale Erlebnisse zu subjektiven Gefühlen degradiert werden – fragwürdig genug –, lässt der schulmeisterlich formulierte Beitrag etwas Wesentliches unter den Tisch fallen: Auch beim Paul-Ehrlich-Institut können Betroffene ohne einen Arzt Nebenwirkungen melden – diese Meldungen fließen in die offizielle Statistik mit ein. Nach der Übermedien-Logik wäre demnach auch die amtliche Statistik wertlos. Ebenso verschweigt Übermedien, dass bei vier Prozent der Befragten nach eigener Aussage ein Arzt die Impfnebenwirkung bestätigte – ein Wert, der um ein Vielfaches über den offiziellen Zahlen liegt und der dem Argument eines lediglich „subjektiven Empfindens“ den Boden entzieht.
Was bleibt also? Heiße Luft und ein großer Unwillen. Multipolar sei ein „von vielen als eher halbseiden eingestuftes Magazin“, so der Übermedien-Autor, der seinen Lesern damit ein unbelegtes Geraune präsentiert, das in seriösen Medien keinen Platz haben sollte.
Kooperation macht nervös
Deutlich wird auch: Die Kooperation mit einer etablierten Zeitung führt erkennbar zu Nervosität. Nicht nur Übermedien, auch die „taz“ berichtete ausführlich über diesen Aspekt. Hier wachse „zusammen, was nicht zusammengehört“, so die Zeitung, die sich in den derzeitigen gesellschaftlichen Schützengräben offenbar fest eingerichtet hat. Die Zusammenarbeit von NOZ und Multipolar sei „heikel“. Warum? Auch der „taz“-Autor kann Wikipedia googeln und weiß, dass Markus Linden uns erwähnt hat, auf seinem falsch nummerierten Stichpunktzettel. Er zitiert den Zettel. Das muss reichen, erneut. Denn mehr ist nun mal einfach nicht zu finden.
Dass Multipolar stört, zeigt sich auch anderswo. Nicht nur beim jüngsten Angriff der Landesmedienanstalt NRW, die einen Beeinflussungsversuch auf unsere Berichterstattung unternahm, dessen Ausgang noch offen ist. Auch das normale journalistische Geschäft ist erschwert. So lehnten es bereits mehrere große Verlage ab, uns die Veröffentlichung von Buchauszügen zu genehmigen. Das ist sonst Routine. Verlage informieren über Neuerscheinungen und wenn uns etwas interessiert, schickt uns der Verlag ein Exemplar und wir vereinbaren gemeinsam einen Auszug – ohne finanziellen Ausgleich, denn bezahlte Werbung ist auf Multipolar ausgeschlossen. Doch offenbar haben inzwischen auch einige Verlagsverantwortliche unseren Wikipedia-Eintrag entdeckt – oder sind anders in Kontakt mit den oben beschriebenen Negativetiketten gekommen.
Googelt man Multipolar, präsentiert die Suchfunktion Autocomplete in einer Liste die Suchvorschläge: „Multipolar rechts“ und „Multipolar Magazin AfD“. Klickt man darauf, erscheint nichts, was irgendeine Verbindung belegen würde – wie auch, da es keine gibt –, aber der Eindruck bleibt hängen: „Wenn Google eine Verbindung vorschlägt, wird wohl auch etwas dran sein“. Erschreckend viele Menschen, die über Medienkompetenz verfügen sollten, lassen sich so täuschen, anstatt die behaupteten Verbindungen durch einen Klick selbst zu überprüfen.
Wikipedia: Langer Atem nötig
Was hilft? Mit Blick auf Wikipedia nützt es wenig, sich über die Institution als solche zu empören. In Wikipedia wirken Menschen, die teils in Gruppen aktiv sind und auch gemeinsam bestimmte Sichtweisen vorantreiben. Das ist normal und dort nicht anders als überall sonst in der Gesellschaft. Wer dennoch den Eindruck gewinnt, dass es Foul Play bei einem Wikipedia-Artikel gibt, dass Wesentliches immer wieder gelöscht und Unwesentliches immer wieder aufgebauscht wird, der muss sich – mühsam, zeitraubend – selbst einbringen, am besten nicht allein und am besten auf Dauer. Einfache Änderungsversuche Einzelner werden von den dort derzeit vorherrschenden Einflussgruppen rabiat abgebügelt. Es braucht einen langen Atem und Verbündete.
Für den Wikipedia-Artikel relevant könnte es etwa sein, dass die international tätige Medienbewertungsplattform Newsguard, deren Interessenkonflikte wir in der Vergangenheit scharf kritisiert hatten und die nicht im Verdacht steht, besondere Sympathien für uns zu hegen, Multipolar in einer Bewertung 2023 attestierte, unser Magazin sei „größtenteils glaubwürdig“ und entspreche „weitgehend den grundlegenden Standards der Glaubwürdigkeit und Transparenz.“
Relevant könnte es auch sein, dass in der Berliner Zeitung in diesem Jahr der Publizist und Philosoph Michael Andrick vorschlug, uns für die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes zu nominieren, für unsere „Verdienste um die Kontrolle der Regierung“, da wir durch die Veröffentlichung der RKI-Protokolle „eine kollektive Selbstbesinnung“ angestoßen hätten. Dies war unmittelbar nach Erscheinen des Textes in der Berliner Zeitung übrigens auch schon einmal Teil des Wikipedia-Artikels, wurde aber vom bereits erwähnten Nutzer „Phi“ nach wenigen Minuten (!) wieder entfernt. Begründung: Es handle sich um eine „irrelevante Einzelstimme“. Ein Argument, das beim ebenfalls erwähnten Markus Linden offenbar weniger ins Gewicht fiel.
Realität kann auf Dauer nicht verdeckt werden
Multipolar selbst ist nicht aktiv auf Wikipedia. Wir beteiligen uns nicht an der Editierung des Eintrags über uns. Wir haben entschieden, unsere knappe Zeit allein für unsere redaktionelle Arbeit zu nutzen. Die aber machen wir gern und hoffentlich noch lange mit Freude. In diesem Sinne wollen wir auch zukünftig recherchieren, informieren und „stören“.
Wir appellieren dabei auch an die Kollegen der größeren etablierten Medien, sich der recherchierenden Neugier bei relevanten Themen zuzuwenden, anstatt regierungskritische Kollegen anzugreifen. Die Auftraggeber einer unangenehmen Umfrage sind weit weniger interessant, als die Ergebnisse der Umfrage. Diese spiegelt die ungeschminkte Realität wider, die auf Dauer nicht verdeckt werden kann. Das Interesse, gesellschaftliche und politische Vorgänge verstehen zu wollen, sollte zur journalistischen Berufseinstellung gehören – auch wenn man Regierungen und Behörden damit stört.
Titelgrafik: Forsa-Umfrage zu Impfnebenwirkungen vom Oktober 2024
Weitere Artikel zum Thema:
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