Lothar Wieler, Christian Drosten und Jens Spahn im März 2020 | Bild: picture alliance / SZ Photo | Jens Schicke

Soziologin: Unaufgearbeitete Corona-Politik ist „eiternde Wunde“ – „Wir müssen analysieren, was schief gelaufen ist“

Unter dem Titel „Pandemiepolitik. Freiheit unterm Rad?“ erschien vor kurzem eine interdisziplinäre Essaysammlung zur Corona-Krise. Es geht um die Folgen eines Worst-Case-Denkens, gebrochene Lebenswege und die notwendige Aufarbeitung. Ein Interview mit der Soziologin und Mitherausgeberin Sandra Kostner.

JANA KERAC, 10. November 2022, 5 Kommentare, PDF

Multipolar: Frau Kostner, wie ist es zu Ihrem aktuellen Buchprojekt gekommen?

Kostner: Ende letzten Jahres hat sich eine Gruppe namens „7 Argumente“ (gegen eine Impfpflicht, Anmerkung J.K.) gebildet. Sie entstand aus einem Kreis von Wissenschaftlern, der sehr interdisziplinär zusammengesetzt ist. Die freie Journalistin Tanya Lieske trat an die Gruppe mit der Idee heran, eine Publikation zu erstellen. Es sollte darum gehen, die Maßnahmen, die im Rahmen der Pandemiepolitik getroffen wurden, sowie die dadurch bedingten Veränderungen in der Gesellschaft zu dokumentieren, um sie für die Nachwelt festzuhalten. Wichtig war Tanya Lieske, dass keine Streitschrift entsteht. Es sollte zwar aufgezeigt werden, was schief gelaufen ist, doch das Ganze sollte im Duktus der Versöhnung gehalten sein. Es kam dann zu einem Aufruf an die zum damaligen Zeitpunkt rund 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Gruppe. Ich selbst habe mich bereiterklärt, das Buch mit Tanya Lieske herauszugeben.

Multipolar: Im Augenblick verschieben sich thematisch die Gewichte. Der Ukraine-Konflikt dominiert. Hüten sollte man sich aber sicherlich davor, nun die Aufarbeitung der Corona-Krise zu vernachlässigen. Ich denke, Ihr Buchprojekt ist nach wie vor aktuell.

Kostner: Ja, das sehe ich auch so. Die Texte sind im Januar und Februar 2022 entstanden. Die meisten Autorinnen und Autoren haben sie dann noch mal aktualisiert, dennoch handelt es sich natürlich um Analysen aus der Zeit von Anfang dieses Jahres. Manches hat sich inzwischen geändert, das ist klar. Doch für uns ist es sehr wichtig, dass das, was gewesen ist, nicht untergeht angesichts neuer Mega-Themen wie der Krieg in der Ukraine und die durch die westliche Sanktionspolitik hervorgerufene Energiekrise. Sicher kommt es manchem Politiker entgegen, dass wir uns jetzt in einem neuen Krisenmodus befinden. Jedenfalls könnte ich mir vorstellen, dass der eine oder andere Politiker hofft, sich dadurch dem, was in der Rückschau zu hinterfragen ist, nicht stellen zu müssen. Doch durch die zweieinhalbjährige Maßnahmenpolitik kam es zu schweren gesellschaftlichen Verwerfungen. Es kam zu gebrochenen Lebenswegen und drastischen ökonomischen Konsequenzen. Vieles verlief unterm Radar. Das ist wie eine eiternde Wunde und wird früher oder später hochkommen. Wir müssen analysieren, was schief gelaufen ist, sonst besteht die Gefahr, dass man diese Fehler, sollte noch einmal eine Pandemie ausgerufen werden, wiederholt. In unserem Band tun dies unter anderem Rechtwissenschaftler, Sozialwissenschaftler, Historiker und Theologen.

Gesellschaftliches Long-Covid: zerstörtes Vertrauen

Multipolar: Sie selbst verfassten für den Band einen Beitrag zum „Gesellschaftlichen Long-Covid“. Was meinen Sie damit genau?

Kostner: Mir geht es in meinem Beitrag um die dauerhaften Folgen der Corona-Politik zumindest für einen Teil der Gesellschaft – etwa in Bezug auf soziale Beziehungen. Teilweise zerbrachen jahrzehntelange Freundschaften, familiäre Bande sind brüchig geworden. All das lässt sich nicht so leicht kitten. Und man darf dies alles nicht ignorieren, indem man sagt, das sei ja nun vergangen. Oder, das sei alles so gekommen, weil man geglaubt habe, was Politik und Medien sagten. Also zum Beispiel, dass die Impfung absolut wirksam sei und Infektionen verhindern könne, weshalb man geglaubt habe, dass Ungeimpfte eine Gefahr darstellen. Jetzt wisse man mehr. Schwamm drüber.

Aber für diejenigen, die ausgegrenzt wurden, die also, weil man sie als „virale Gefährder“ ansah, zum Beispiel nicht an familiären Weihnachtsfeiern teilnehmen durften, ist das alles nicht vorbei. Für manche vielleicht schon, denn das ist ja auch eine Frage der Persönlichkeit. Aber viele empfinden eine schwere soziale Verwundung. Wird darüber nicht gesprochen, werden die sozialen Beziehungen dauerhaft belastet sein. „Gesellschaftliches Long-Covid“ betrifft aber auch die Vertrauensbeziehung, die Menschen in Politik, Medien und Institutionen haben. Diejenigen, die der Maßnahmenpolitik ganz oder teilweise kritisch gegenüberstanden, erlebten, dass sie in sehr vielem Recht hatten. Anders als Anfangs behauptet, gibt es zum Beispiel Impfschäden. Die Lockdowns hatten negative Folgen. Und die Modellrechnungen dramatisierten die tatsächliche Lage. Gleichzeitig sehen sie, dass Politik, Medien und Institutionen keinen Anlass sehen, dies zu thematisieren. Man hört so gut wie nirgends, dass bestimmte Fehler erkannt wurden, und dass man diese Fehler nicht mehr machen möchte. Ich sehe einen Vertrauensverlust, der nach und nach immer größere Teile der Gesellschaft umfasst.

Denn auch diejenigen, die lange auf das, was von Politik, Medien, Institutionen und „der“ Wissenschaft kam, vertraut haben, beginnen, ihr Vertrauen zu verlieren. Sie sehen jetzt, dass das, wovon sie glaubten, es sei korrekt, faktisch nicht korrekt ist. In erster Linie betrifft dies natürlich die Impfungen und deren Wirksamkeit. Eigentlich kann sich eine Demokratie einen solchen Vertrauensverlust nicht leisten, aber im Moment leistet sie ihn sich. Hinzu kommt etwas Drittes, das wir allerdings schon länger beobachten, nämlich, dass individuelle Freiheiten an Boden verlieren. Immer mehr Freiheitsrechte werden unter einem politischen oder auch ideologischen Vorbehalt gestellt. Gerade während der Corona-Krise wurden Freiheitsrechte außerdem moralisch aufgeladen. Es gab einen „guten“ und einen „schlechten“ Freiheitsgebrauch. Der „gute Freiheitsgebrauch“ folgte der Maßnahmenpolitik. Der „schlechte Freiheitsgebrauch“ stand dazu im Gegensatz. Das ist natürlich eine Abkehr von dem, was individuelle Freiheit ausmacht. Freiheit wurde nicht aufgegeben, weil klar ist, dass es sich um einen grundlegenden Wert der Gesellschaft handelt, aber der Begriff wurde entkernt und neu aufgeladen. Freiheit wurde kollektiviert und seine Bedeutung damit pervertiert. Hier sehe ich eine große Gefahr eines „Gesellschaftlichen Long-Covids“.

Multipolar: Die Kollateralschäden durch die Maßnahmenpolitik sind ja eigentlich sehr bald sichtbar geworden. Es gab zum Beispiel Pflegekräfte, die mit Suizidversuchen von demenziell veränderten, isolierten Senioren im Seniorenheim konfrontiert waren. Hospizbegleiter sahen, wie brutal sich die Maßnahmen auf einsam sterbende Menschen auswirkten. Dennoch regten sich kaum Zweifel und Protest. Wie ist das zu erklären?

Kostner: Ich hab mir noch mal die Medienberichterstattung seit Beginn der Corona-Krise angeschaut. Interessant finde ich, dass es in den ersten Monaten viel mehr kritische Berichterstattung gab als danach. Zwischen Mai und Juni 2020 wurden die Kollateralschäden relativ intensiv behandelt. Es wurde zum Beispiel gefragt, was die Maßnahmen für Kinder und für schwerkranke Menschen im Krankenhaus und was sie für die Wirtschaft bedeuten. Auch kam die Frage auf, wie viel Schutz denn gerechtfertigt ist angesichts von großem emotionalem Leid, das im Falle von sterbenden Menschen nie wieder gutzumachen ist. Diese Fragen spielten ab Herbst 2020 eine immer geringere Rolle. Plötzlich dominierte die Haltung: Augen zu und durch! Der Bekämpfung des Virus wurde alles andere untergeordnet. Meine Interpretation ist, dass die Politik gleich am Anfang einen großen Fehler gemacht hat, indem sie der Bevölkerung signalisierte, ein respiratorisches Virus könne durch politische Mittel aus der Welt geschafft werden. Das war zum Scheitern verurteilt. Je größer dann die Schäden wurden, umso schwerer wurde die Kehrtwende. Ich selbst glaube, je länger man in einer solchen Politik drinsteckt, umso größer wird die Gefahr, dass man in Grausamkeit abrutscht. Eben das konnte man ja dann im Diskurs über die Ungeimpften sehen.

„Es fehlte die Empathie“

Multipolar: Ich gehe noch mal kurz zurück auf den Anfang der Corona-Krise. Damals hat man ja oft gehört, als wie entlastend der erste Lockdown empfunden wurde. Endlich kann man mal wieder dazu, seine Wohnung aufzuräumen oder Bücher zu lesen. Das Bewusstsein, dass hier Freiheitsrechte massiv eingeschränkt werden, war kaum vorhanden. Das ist eigentlich erstaunlich.

Kostner: Ich selbst kann mich auch noch daran erinnern, dass es Menschen gab, die froh waren, dass sie im ersten Lockdown mal zu Dingen gekommen sind, die länger liegen geblieben waren. Die Folgen wurden ausgeblendet. Etwa, was es für Kinder bedeutet, wenn sie längere Zeit in ihrem Bildungserwerb behindert werden. Ich habe beobachtet, dass es gerade unter Akademikern am Anfang so war, dass man sich freute, endlich mal etwas mehr Zeit zu haben. Aber genau zu dem Zeitpunkt ging die Entwicklung ja schon auseinander. Während sich der Akademiker über mehr Freizeit gefreut hat, litt der Gastronom. Doch es fehlte die Empathie, sich in die Menschen, die unter den Maßnahmen gelitten haben, hineinzuversetzen.

Multipolar: Es ist schon verblüffend, wie wenig Bewusstsein es von Anfang an gegeben hat, was denn da eigentlich passiert. Auch die Ministerpräsidentenrunde wurde weithin fraglos akzeptiert. Das wirft die Frage auf, inwieweit die politische Bildung versagt hat.

Kostner: Ich selbst finde besonders frappierend, dass diejenigen, die von den Maßnahmen zunächst überhaupt nicht negativ betroffen waren, die sie vielmehr als Freiraum erlebt haben, gleichzeitig am häufigsten das Wort „Solidarität“ in den Mund genommen haben. Sie haben sich auf der “Seite der Guten“ gefühlt und betont, wie solidarisch sie sich verhalten. Kleiner Exkurs: Ich flog im Februar 2020 nach Sidney und machte mir vorab eine Liste von Themen, über die ich nach meiner Rückkehr schreiben wollte. Auf dieser Liste stand unter anderem “Missbrauch des Solidaritätsbegriffs“. Wie gesagt, das war im Februar 2020. Seitdem ist dieser Begriff noch sehr viel mehr missbraucht worden. Aber zurück zur Frage nach der politischen Bildung. Wenn man sich die politischen Bildungsprogramme der letzten Jahrzehnte anschaut, sieht man eine starke Fokussierung auf das Thema „Demokratie“. Die Grundrechte und damit die individuellen Freiheitsrechte hingegen waren kaum im Blick. In jüngster Zeit bedeutet Politische Bildung vielerorts, Bildung zu „Toleranz“ und „Weltoffenheit“. Es ist eine starke Vereinseitigung festzustellen. Das Wissen fehlt, was Grundrechte sind, und warum wir sie eigentlich haben.

Der Mensch als Gefährder – „ein totalitäres Konzept“

Multipolar: Ich denke auch, dass noch nie so deutlich wurde, wie wenig Grundrechtsbildung es hierzulande gibt. So scheint kaum Wissen darüber zu existieren, dass es sich bei den Grundrechten um Abwehrrechte gegen den Staat handelt.

Kostner: Ja, das stimmt. Vor allem wird nicht wahrgenommen, welche Verschiebungen stattgefunden hat. Diese Verschiebungen kommen aber natürlich auch auf leisen Sohlen daher. Schwierig wird das Ganze dadurch, dass ein und derselbe Begriff etwas völlig Unterschiedliches bedeuten kann. Wie gesagt, ging es auch bei den Corona-Maßnahmen um „Freiheit“. Geäußert wurde, dass die individuelle Freiheit dort endet, wo man einen anderen Menschen gefährdet. Nun wurde aber dieses „Gefährden“ ausgedehnt auf den ganzen Menschen in seiner Existenz. Jeder Mensch atmet ein und atmet aus und hat somit die Fähigkeit, Viren aufzunehmen und Viren abzugeben. Wenn der Mensch aufgrund dieser Fähigkeit als „Gefährder“ angesehen und kontrolliert wird, dann handelt es sich um ein totalitäres Konzept. Denn es hat nichts mehr mit Freiheit zu tun. Wir haben das nicht gemerkt. Ich selbst habe in vielen Gesprächen gehört: Es ist doch richtig, dass man niemand anderen gefährden darf! Nicht reflektiert wurde, was es denn bedeutet, wenn der Mensch qua Menschsein als „Gefährder“ begriffen wird. Hier befinden wir uns auf einer abschüssigen Bahn hin zu einer autoritären Gesellschaft.

Multipolar: Vor allem muss man sich ja vor Augen halten, dass das Virus niemals so gefährlich war, wie sehr lange Zeit behauptet wurde. Interessant ist die Frage, inwieweit dieser Umstand in politischen Kreisen bekannt war.

Kostner: Das ist ein wichtiger Punkt. Man sieht ja, dass es nach wie vor Menschen gibt, die in Angst erstarrt sind. Bei denen scheint sich am Wissensstand in zweieinhalb Jahren nichts verändert zu haben. Sie denken offenbar immer noch, dass es sich um ein super gefährliches Virus handelt. Dabei könnte man schon ziemlich lange wissen, dass das Corona-Virus für den allergrößten Teil der Bevölkerung nie außerordentlich gefährlich war. Daten weltweit zeigen, dass es sogar weniger gefährlich als ein schweres Grippevirus ist. Es gab schon immer Menschen, die an Grippe gestorben sind, und dennoch ist die Gesellschaft damit vergleichsweise entspannt umgegangen. Wobei es inzwischen ja auch Menschen gibt, die sagen, dass die Grippe genauso bekämpft werden muss wie das Corona-Virus. Letztlich ist festzustellen, dass sich der gesellschaftliche Umgang mit Sterben und Tod verändert hat. Wir wissen ja, dass die so genannten Corona-Toten sehr häufig ein Alter jenseits der durchschnittlichen Lebenserwartung erreicht haben. Mit oder an Corona sind also in allererster Linie Menschen am Ende ihres Lebens gestorben. In der Corona-Krise wollte man plötzlich wirklich jeden Tod verhindern.

Multipolar: Warum war die Bereitschaft, all die Maßnahmen mitzumachen, im Osten viel weniger stark ausgeprägt als im Westen? Hat das mit der jüngsten Geschichte zu tun?

Kostner: Ich denke, ja. Im Westen muss man relativ alt sein, um sich an einen sich autoritär gebärdenden Staat erinnern zu können. Im Westen fehlen anscheinend die Sensoren, die erkennen, wenn autoritäre Tendenzen aufkommen. In Ostdeutschland haben viele Menschen noch direkt einen autoritären Staat erlebt, deshalb war man wohl deutlich wachsamer und hat früh erkannt, auf welch abschüssige Bahn uns die Pandemiepolitik führt. Ich glaube, dass man im Osten tendenziell auch mutiger ist, eine abweichende Meinung zu äußern. Vielleicht, weil man mehr Menschen um sich herum hat, die das ebenfalls tun. Dadurch kommt es im unmittelbaren Umfeld nicht zu einer derart massiven Stigmatisierung wie im Westen. Das Schwierigste ist immer, eine abweichende Meinung ganz alleine zu äußern.

Multipolar: Lassen Sie uns kurz noch mal zur Wissenschaft kommen. Man hat ja den Eindruck gewinnen können, dass es eine weitestgehend geschlossene wissenschaftliche Phalanx gibt, die die Politik unterstützt. Nun ist aber Wissenschaft nie geschlossen. Wie konnte es dennoch zu diesem Eindruck kommen?

Kostner: Dieser Eindruck trat in der Tat auf bei jenen Wissenschaftlern, die sich in den Mainstream-Medien äußern konnten. Das lag sicher daran, dass der Preis einer abweichenden Äußerung zum Teil sehr hoch war. Wer sich konform geäußert hatte, konnte zum Beispiel mit Forschungsgeldern rechnen. Oder man wurde in ein Expertengremium berufen. Wissenschaftler, die die Maßnahmen kritisiert haben, mussten hingegen, selbst wenn sie sehr gute Fakten hatten, mit einem Reputationsverlust rechnen. Von daher hat man sich natürlich sehr genau überlegt, was man öffentlich äußert. Diejenigen, die abweichende Äußerungen getroffen haben, waren ganz überwiegend bereits emeritiert. Sie mussten weder für sich noch für ihre Mitarbeiter Folgen befürchten. Nicht emeritierte Professoren wären ja von negativen Folgen aufgrund einer öffentlichen Äußerung nicht alleine betroffen gewesen. Wer keine Forschungsgelder mehr bekommt, kann zum Beispiel seine Mitarbeiter nicht weiter beschäftigen. Ein junger Wissenschaftler, der bei jemanden promoviert hat, der sich durch eine abweichende Äußerung hervortat, könnte fortan als „kontaminiert“ gelten. Solche Überlegungen waren sicherlich im Spiel bei jenen Wissenschaftlern, die die Maßnahmen der Politik kritisch gesehen haben, sich dazu aber nicht öffentlich äußerten.

„Wissenschaft lebt vom Zweifeln“

Multipolar: Vor diesem Hintergrund war es leicht, immer wieder von „der“ Wissenschaft zu sprechen.

Kostner: Ja das stimmt. Dabei sollten sofort die Alarmglocken zu schrillen beginnen, wenn von „der“ Wissenschaft die Rede ist. Bei Wissenschaft handelt es sich grundsätzlich um ein lernendes System. Wissenschaft lebt vom Zweifeln. Der aktuelle Wissensstand ist stets nur so lange gültig, solange er nicht widerlegt ist. Kern der Wissenschaft ist schließlich die Diskussion. So kann man bei ein und derselben Studie zu ganz unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen. Wenn von „der“ Wissenschaft die Rede ist, hat man es in der Regel mit einer politisierten Wissenschaft zu tun. Sei es, dass sie sich selbst politisiert hat, oder dass sie sich von der Politik instrumentalisieren ließ, weil man sich Reputationsgewinne oder Ressourcen zum Beispiel in Form von Forschungsgeldern erhoffte. Ganz schwierig ist es im Übrigen, wenn man als Wissenschaftler, der eine abweichende Ansicht vertritt, quasi als Feigenblatt in eine Podiumsrunde eingeladen wird, in der man die einzige Person mit dieser Ansicht ist. Viele überlegen sich gut, ob sie sich das antun sollen. Ich bewundere Leute wie Sahra Wagenknecht und Ulrike Guérot, die das eisern tun.

Multipolar: Auch dies ist ja im Grunde kein neues Phänomen. Ich selbst erinnere mich, dass vor über zehn Jahren die ersten Hörsäle nach den jeweiligen Firmen, von denen sie gesponsert wurden, benannt worden sind. Inwieweit sehen Sie denn Forschungsgelder und Drittmittel als Gefahr für die Wissenschaftsfreiheit an?

Kostner: Ich selbst bin als Geistes- und Sozialwissenschaftlerin hiervon kaum betroffen, weiß aber natürlich, wie problematisch es ist, zum Beispiel gute medizinische Forschung zu machen, denn die ist extrem teuer. Gerade medizinische Forschung ist schon ziemlich lange zu einem größeren Teil auf Drittmittel angewiesen, und diese Drittmittel kommen nicht selten von der Pharmaindustrie. Durch die liberalen Reformen ist in den vergangenen 15 Jahren ist ein weiteres Problem hinzugekommen. Man wollte Wettbewerbselemente in die Hochschulen hineinbringen. In mancher Hinsicht war das schon auch gerechtfertigt, aber das Ganze hatte nicht beabsichtigte Konsequenzen. So wurde die Grundfinanzierung zurückgefahren. Seitdem ist der eigene Status an einer Universität umso höher, umso mehr Drittmittel man einwirbt. Die Drittmittelgeber aus der Pharmaindustrie wurden durch diese Entwicklung für die medizinische Forschung natürlich noch bedeutsamer. Das hat Folgen für die Frage, wozu geforscht wird, und welche Ergebnisse die Forschung hervorbringen soll.

Natürlich betrifft das nicht jeden einzelnen Wissenschaftler. Das hängt vom jeweiligen Charakter ab. Manche spielen mehr mit. Manche weniger. Aber natürlich ist es einfach problematisch, wenn das System insgesamt so funktioniert. Wer nicht mitspielt, kann Forschung womöglich nur noch in einem kleinen Rahmen machen. Ansonsten muss man sich, um überhaupt forschen zu können, auf Financiers einlassen, die selbstverständlich Eigeninteressen haben. Eigentlich wäre Corona eine gute Steilvorlage dafür gewesen, einmal zu diskutieren, inwiefern die Verflechtung von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft womöglich zur Korrumpierung der Wissenschaft führt. Wissenschaft funktioniert dann am besten, wenn das Erkenntnisinteresse im Mittelpunkt steht. Je stärker die Faktoren Geld und Macht ins Spiel kommen, umso weniger ist das System Wissenschaft in der Lage, seine Funktion zu erfüllen. Das wiederum führt zum Vertrauensverlust. Es gab zum Beispiel aus der Wissenschaft so viele unrichtige Aussagen zu dem, was als „Impfung“ deklariert wurde. Also etwa, dass die Impfung sicher und wirksam sei. Die dadurch hervorgerufenen Vertrauensverluste der Bevölkerung in die Wissenschaft und das medizinische System werden ebenfalls nicht thematisiert. Da sind wir dann wieder bei unserem Buch. Es muss unbedingt diskutiert und analysiert werden, was schief gelaufen ist.

Multipolar: Nachdem Sie an dieser Stelle noch einmal auf Ihr Buch zu sprechen kamen, würde ich gerne noch eine Bemerkung zum Titel machen. Warum verwenden Sie den Begriff „Pandemie“? Allein dieser Begriff polarisiert ja. War es jemals wirklich eine „Pandemie“?

Kostner: Wir legen bewusst den Fokus auf die „Pandemiepolitik“. Uns geht es darum, was von verschiedenen gesellschaftlichen Teilsystemen als „Pandemie“ gesehen wurde. Das Buch gibt keine Antwort auf die Frage, ob es nun wirklich eine Pandemie war oder nicht. Große Teile von Politik, Gesellschaft und Medien gingen nun mal davon aus, dass es sich um eine Pandemie gehandelt hat.

Verengter Debattenraum

Multipolar: Lange durfte ja allein die Frage, ob es sich um eine Pandemie handelt oder nicht, öffentlich kaum diskutiert werden. Am Begriff „Pandemie“ ist, wie ich denke, sehr gut abzulesen, in welchem Maße sich der Debattenraum verengt hat.

Kostner: Die Politik hat in der Tat irgendwann die Entscheidung getroffen, in dem, was da geschieht, eine Pandemie zu sehen, und dieser Pandemie mit nicht-pharmazeutischen Maßnahmen zu begegnen. Etwa mit Lockdowns. Nun gab es allerdings sehr früh schon, zum Beispiel aufgrund von Daten von John Ioannidis, Zweifel daran, ob es sich wirklich um ein sehr gefährliches Virus und damit um eine Pandemie handelt. Eigentlich hätte die Politik dann sagen müssen, dass es sich auf Basis vorliegender Daten wohl eher nicht um eine pandemische Bedrohung handelt. Weshalb man die verfügten Maßnahmen nicht weiterführen müsse.

Doch wir haben nun zweieinhalb Jahren intensive Maßnahmenpolitik hinter uns. Wobei ja im medizinischen Bereich bis auf das Puschen der Impfung fast nichts passiert ist. Das ist doch höchst erstaunlich, sollte man doch davon ausgehen, dass man in einer Pandemie das Gesundheitssystem so gut wie nur irgend möglich aufstellt. Man führte hingegen eine Freihaltepauschale für Betten ein, die zum Missbrauch einlud, was dann ja auch der Bundesrechnungshof gerügt hat. Allerdings hat man nichts dafür getan, dass jene Menschen, die wirklich schwer erkrankt sind, und die gab es natürlich, medizinisch bestmöglich versorgt werden konnten.

In anderen Ländern wurden Ivermectin und Hydroxychloroquin eingesetzt. Und zwar mit guten Erfahrungen. Hier hieß es, dass man diese Therapeutika nicht im Off-Label-Use einsetzen dürfe. Das war äußerst fragwürdig, nachdem es ja Ärzte gab, die diese Medikamente etlichen Patienten mit gutem Erfolg verabreicht hatten. Menschen, die nah am Patienten waren und die fachlich verstanden haben, was sie machen, sagten, dass es etwas gibt, was wirkt. Die Frage, warum man es Ärzten dann nicht ermöglicht hat, diese Medikamente zu nutzen, halte ich ebenfalls für ein wichtiges Thema der Aufarbeitung. Wer ist verantwortlich dafür, dass die Politik so gehandelt hat? Das zu wissen, wäre doch sehr wichtig vor allem mit Blick darauf, dass einmal eine Pandemie kommen könnte, die diesen Namen auch verdient. Solche Fehler dürfen nicht noch einmal gemacht werden.

Missbrauch des Begriffs „Solidarität“

Multipolar: Lassen Sie mich zum Schluss noch kurz darauf zu sprechen kommen, dass Sie bereits an einem neuen Buchprojekt arbeiten. Dabei soll es um den Ukraine-Krieg gehen. Dieses Buch soll im Winter erscheinen?

Kostner: Das war ursprünglich so geplant gewesen, aber nun wird es doch Frühjahr 2023 werden. Ich mache das zusammen mit einem befreundeten Politikwissenschaftler, Stefan Luft. Wir haben sehr bald nach Beginn des Krieges begonnen, über die Hintergründe, die Vorgeschichte, die Ziele Russlands und den geopolitischen Kontext zu sprechen. Uns ist beiden schnell aufgefallen, dass die Presse wiederum von Anfang an sehr einseitig berichtet hat. Auch der Umgang mit Andersdenkenden war wieder genauso, wie während der Corona-Krise. Abweichende Argumente und andere Perspektiven werden wieder sofort diskreditiert. Der Debattenraum wurde also abermals geschlossen, was ein Zeichen dafür ist, dass es wieder um starke politische Interessen geht. Das führt neuerlich weg von den Grundlagen der liberalen Verfasstheit unseres Gemeinwesens.

An dieser Stelle heißt es dann immer, dass doch in Deutschland jeder sagen kann, was er möchte. Natürlich wird man für eine abweichende Meinung hierzulande nicht verhaftet. Doch wer bestimmte Argumente einbringt, kann in ein äußerst diskreditierendes Licht gerückt werden, und zahlt damit für seine Äußerung einen sehr hohen sozialen Preis. In der Corona-Krise war man ein Covidiot, nun ist man ein Putintroll. Vielen ist dieser Preis zu hoch, weshalb sie sich aus der Debatte zurückziehen. Darum laufen schon wieder die öffentliche und die veröffentlichte Meinung immer weiter auseinander. Vor diesem Hintergrund haben wir uns entschieden, möglichst zeitnah eine wissenschaftliche Analyse vorzulegen, was angesichts der dynamischen Prozesse zugegeben schwierig ist. Dennoch wollen wir die Herausforderung annehmen, zeitnah möglichst gute Analysen zu den Hintergründen und zur Vorgeschichte des Krieges sowie zu möglichen Folgen vorzulegen. Übrigens wird es auch in diesem Buch um den Missbrauch des Begriffs „Solidarität“ gehen. Wie man während der Corona-Krise gegenüber den vulnerablen Gruppen solidarisch zu sein hatte, soll man nun gegenüber den Ukrainerinnen und Ukrainern solidarisch sein.

Multipolar: Interessant ist, dass man im Vergleich der Corona-Krise mit der Ukraine-Krise auf ähnliche Muster stößt.

Kostner: Ja, und zwar bis hin zu der Tatsache an, dass wieder einmal maximale Ziele verfolgt werden. Bei Corona wollte man das Virus komplett besiegen, was von Anfang an ein völlig irreales Ziel war. Im Fall der Ukraine geht es nun darum, die territoriale Integrität wiederherzustellen, logischerweise verbunden mit der absoluten Niederlage Russlands. Schon bei der Corona-Krise wurden ja die Folgen dieser Politik der maximalen Ziele von Anfang an nicht in den Blick genommen. Nun habe ich den Eindruck, dass man die Möglichkeit einer nuklearen Eskalation ausblendet, weil man hofft, es wird schon alles gut gehen. Initiativen, die auf einen Verhandlungsfrieden abzielen, sind nicht zu sehen. Es heißt an dieser Stelle meist, Putin wolle nicht verhandeln. Doch ich denke angesichts der Verwüstungen und all der Toten, die die Politik der maximalen Ziele zur Folge haben wird, dass man mit aller Kraft versuchen sollte, Verhandlungen zu führen. Auch wenn man erst mal nicht weiß, ob das erfolgreich sein wird. Für mich war es im Übrigen erschreckend, dass Leute wie Alice Schwarzer, die sich für eine Verhandlungslösung stark gemacht haben, quasi als verwerfliche Menschen diskreditiert wurden.

Sandra Kostner, Tanya Lieske, Pandemiepolitik. Freiheit unterm Rad?, Ibidem Verlag, 210 Seiten, 24 Euro

Über die Interviewpartnerin: Dr. Sandra Kostner ist Historikerin und Soziologin. Seit 2010 ist sie als Migrationsforscherin und Geschäftsführerin des Masterstudiengangs Interkulturalität und Integration an der PH Schwäbisch Gmünd tätig.

Über die Interviewerin: Jana Kerac ist ein Pseudonym. Die Autorin ist seit 30 Jahren publizistisch tätig. Sie lebt und arbeitet zum Teil in Deutschland und zum Teil in Finnland.

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AYU, 11. November 2022, 03:25 UHR

Das Danebenliegen-mit-destruktiver-Auswirkung ist so enorm umfassend, da wird von im Wortsinn „Wiedergutmachen“ kaum die Rede sein können, da der Effekt dieser beispiellosen Panikmache tatsächlich praktisch jeden Mund- und Nasebesitzer in seine Auswirkungen einbezogen hat. Dessen negative Elemente sind selbstverständlich gründlich zu analysieren und „zu bewahren, um wirklich schützen zu können“; allerdings ist das ein langfristiges Geschehen, welches in seiner Ausprägung und Entwicklung und nicht zuletzt breiter Akzeptanz kaum abzuschätzen ist: Schmach, Entmenschlichung und Grenzübertretungen waren deutlich zu viel des Erträglichen.

Ferner eine vollständige und offene Aufklärung zu fordern, ist nur gerecht. Doch persönlich würde ich nicht davon auszugehen, dass das im großen Stil stattfindet und konstruktiv läuft, bzw. denke ich nicht, dass da eine Hoffnung auf Ansätze befriedet werden wird. Wenn man strategisch wählen könnte: Wo und von wem sollte denn der Anfang erfolgen? Würden diese Menschen das tun, jetzt? Sofern nicht jm. von sich aus unternimmt, getroffene Entscheidungen zu entschulden und dies öffentlich zu tun und Vergebung finden kann, kann man den „Tätern“ nicht viel beibringen, wenn sie aus verdammt guten Gründen hierfür eben nicht aufnahmefähig sind und ansonsten die überaus zeitgenössischen gesellschaftlichen Normen zur Rechenschaft, na ja, eher dahinsiechen - einfach abzulesen, weil sich hier der aktuelle Stellenwert der „Unantastbarkeit der Würde des Menschen“ in einer Gesellschaft widerspiegelt.

Damit ist das nach wie vor potentiell immer wieder möglich, sogar dramatischer, fürchte ich, da offenbar nicht alle dazulernen möchten, oder schlimmer noch, gefallen gefunden haben könnten.

Wo kann man noch ansetzen und dabei das vorleben/vorgeben, was man vermisst oder verloren hat, also dem friedlich-freiheitlich-demokratischen Geist des Grundgesetzes entsprechen?

Es darf gefordert werden, dass stets klar ausformuliert werden soll, wie und warum man vorhat, andere Menschen warum womit zu behandeln. Doch nicht einmal die Verabreichung von Wasser soll je verpflichtend Geltung erlangen. Das respektiert, sofern es tatsächlich dringend und krass bedroht, die Würde und je persönliche Freiheit. Man kann meinetwegen rechtlich die Rahmenbedingungen schaffen, die es jedem freistellen und ermöglichen, sich in Isolation oder in Experimente zu begeben, sobald die Lage da draußen zu infizieren droht. Doch über den Körpergesundheitszustand eines Menschen und dessen nichtmedizinischer Beeinflussung hat gegen den ausdrücklichen Willen des Betroffenen nie jemand die Hoheit zu erlangen, ganz einfach!

Ich denke nicht, dass ein Staat bzw. seine durch Kreuzabgabe berufenen befristeten Repräsentanten die restlichen Repräsentanten und Träger des Staates, die Bürger, in eine Situation bringen sollten, die diese mehrheitlich klar ablehnen. Mehrheitsmeinungen sind politisch wirkungslos, wo dem Volkswillen erfolgreich von einer Minderheit beigeholfen; was ja auch kein Kriterium einer gut-und-gerne-Demokratie ist.

Dem Aufbau neuen, belastbaren Vertrauens wird ein gewaltiger Akt an spahnscher Verzeihung und echter Vergebung vorangehen /müssen/, damit dem Prozess auch der (Schutz-)Raum dargebracht werden kann, der definitiv erforderlich ist. Dem Dilemma zurück in eine heile Welt wie zuvor zu entkommen und es am Ende aufzulösen mag zwar nur im Märchen klappen, wie etwa in „Das Kalte Herz“ (1), doch vermag uns diese pro-russische Produktion in der Szene, in welcher der gefühlserkaltete Peter schließlich sogar seine Frau in Anwesenheit des eben von ihr versorgten „Gesinde“ erschlägt, dennoch zu ermahnen. Denn ihre letzten blutbegleiteten Worte sind recht umsichtig und sehr Weise in ihrer Form der Lehre, sterbend sagt sie nämlich: „Ich verzeihe dir, Geliebter!“ Damit, und wahrscheinlich nur damit, ermöglichte sie ihm bestmöglich real seinen Frieden trotzdem finden zu können, weil es vorwegnimmt, was die unausweichliche Alternative sein würde: dass er sich selber nie verzeihen werden wird können.

Die Last des Faktischen aber, mit dieser Situation sein Leben fortsetzen zu müssen, blieb jedoch bei ihm und derer sich zu entledigen, obliegt ebenso allein ihm.

(1) https://www.defa-stiftung.de/filme/filme-suchen/das-kalte-herz/

BERNHARD MÜNSTERMANN, 11. November 2022, 12:45 UHR

Die im Interview herausgearbeitete Herangehensweise scheint mir sehr fragwürdig. Richtig ist, dass Täter, Mitläufer und geschädigte Bürger im Ergebnis eines Aufarbeitungsprozesses einen Modus finden müssen, miteinander weiter gemeinsam in einem befriedeten Gemeinwesen leben zu können. Aber diese „Pandemie“ hat nicht wenige Menschen das Leben gekostet, noch mehr Menschen sind durch diese experimentellen Wirkstoffe physisch und seelisch geschädigt worden. Es geht nicht um Petitessen. Die Risiken zu erst längerfristig sichtbar werdenden Gesundheitsschäden sind unerforscht und derzeit nicht kalkulierbar.

Es bleiben unerwähnt: der Kontext mit einem vom Kollaps bedrohten westlichen Finanzsystem, der fiktive Probelauf als Übung beim Event 201, die schon an 9/11 skrupellos eingesetzte militärische Strategie des shock and awe gegen die eigene Bevölkerung. Deshalb wirken auf mich eine Reihe von Formulierungen der Mitherausgeberin Sandra Kostner unangemessen, ja verharmlosend: „Wir müssen analysieren, was schief gelaufen ist, sonst besteht die Gefahr, dass man diese Fehler, sollte noch einmal eine Pandemie ausgerufen werden, wiederholt“. Etwas später: „Man hört so gut wie nirgends, dass bestimmte Fehler erkannt wurden, und dass man diese Fehler nicht mehr machen möchte“. Schließlich : „Meine Interpretation ist, dass die Politik gleich am Anfang einen großen Fehler gemacht hat, indem sie der Bevölkerung signalisierte, ein respiratorisches Virus könne durch politische Mittel aus der Welt geschafft werden.“

Sprechen wir über Fehler oder geht es nicht vielmehr um eine geplante Disruption? Ich lese von der „Gefahr, dass man in Grausamkeit abrutscht.“ War denn das Abrutschen in Grausamkeit nicht erkennbar vorgeplant und gewollt? Wurde nicht bei der WHO die Definition davon, was als eine Pandemie zu bewerten ist, im Vorfeld passend zur Strategie geändert? Wurde nicht auch die Definition der „Impfung“ so umdefiniert, dass man die experimentellen Stoffe als „Impfung“ anpreisen konnte? Haben wir nicht international ein bis in die verwandten Begrifflichkeiten (framing) der Politiker und Exekutivbehörden gleichgeschaltetes Vorgehen gesehen? Ich sehe in dem Interview einen Standpunkt umrissen, mit dem man jetzt, wo sich das Blatt zu wenden beginnt, wird rechnen müssen. Befriedigende Ansätze für die angemessene Aufarbeitung dagegen lese ich da nicht heraus.

DIMENSIONALONTOLOGE, 12. November 2022, 11:25 UHR

Danke an Multipolar für diesen Artikel und Frau Kostner für diese wichtige Auseinandersetzung mit den Folgen des Missbrauchs und der Manipulation der Gesellschaft seit Anfang 2020.

Wie die anderen Kommentatoren gehe ich davon aus, dass die gigantischen Schäden durch die politischen Entscheidungen nicht zufällig, sondern vorsätzlich herbeigeführt wurden. Zugleich kann man wohl nicht erwarten, dass eine seriöse kriminalistische Aufarbeitung des Geschehenen in ein Essayformat zu bringen ist.

Wird Frau Kostner in ihrem kommenden Buchprojekt im Kapitel "Missbrauch des Solidaritätsbegriffs" auch auf Organisationen wie das "Zentrum für Solidaritätsforschung" (Co-Direktorin Alena Buyx) und das "Innovation in Politics Institute" (CEO der Ehemann von Buyx, Josef Lentsch) eingehen?

HELENE BELLIS, 14. November 2022, 14:45 UHR

Es gab zum Beispiel aus der Wissenschaft so viele unrichtige Aussagen zu dem, was als „Impfung“ deklariert wurde. Also etwa, dass die Impfung sicher und wirksam sei.

Und das wurde nicht gerügt. Bei anderen Medikamenten ist man da doch gleich viel kritischer. Ein Urteil(*) vom 23.09.2022:

»Das Landgericht Dortmund hat dem Hersteller des homöopathischen Erkältungsmittels Meditonsin eine Werbung mit falschen Gesundheitsversprechen untersagt. Wie die klagende Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen meldet, hat das Gericht für die beanstandeten Werbeaussagen keine ausreichende Evidenz gesehen. Insbesondere dürfe kein sicherer Behandlungserfolg suggeriert werden.«

(*) https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/lg-dortmund-werbung-fuer-erkaeltungsmittel-meditonsin-unzulaessig

GÜNTHER OBERBECK, 14. November 2022, 17:40 UHR

In diesem Interview geht es um das wahrscheinlich wichtigste Schlüssel-Thema bei der Corona-Krise. Ich möchte noch einige Aspekte ergänzen, die m. E. in dem ansonsten sehr guten Artikel zu kurz kamen.

Die Diffamierung der Menschen, die vom Mainstream abweichenden Meinungen vertreten, wird ja vom großen Teil der Bevölkerung akzeptiert. Als Kavaliersdelikt sozusagen. Für Viele war dieser Umgangsstil angemessen, normal, berechtigt, erforderlich oder auch „nur“ hinnehmbar. Manche haben wohl gar nicht gemerkt, was hier passierte, was das bewirkte. Sie wollten auch nicht hinschauen, hinhören.

Natürlich müssen die Verursacher, die Täter benannt werden. Das wird auch versucht, wie in dem Buch von Marcus Klöckner und Jens Wernicke. Aber genauso wichtig ist es, auch die „Dulder“ dieses aus meiner Sicht untragbaren gesellschaftlichen „Miteinander“ – besser „Gegeneinander“ – zur Rede stellen. Auch im privaten Bereich. Sonst ist nichts mit Aufarbeitung. Wer sich das Recht herausnimmt, so zu diffamieren bzw. dieses Gebaren zu akzeptieren, wie in den letzten 2-3 Jahren geschehen, darf sich ruhig die Frage gefallen lassen, ob er das so in Ordnung fand bzw. findet. Da brauche ich gar nicht die Grundsätze der Demokratie bemühen, die natürlich ebenfalls missachtet werden. Wir müssten es schaffen, möglichst viele Menschen mit dieser Frage zu konfrontieren.

Und dann die Frage danach: Woher nehmen denn die „Diffamierer“ und „die Dulder“ dieser Praktiken die Gewissheit, dass die Maßnahmengegner bzw. Menschen, die sich nicht „impfen“ lassen wollen, die anderen gefährden? Und deshalb möchte ich hier zwei Themen betonen, die meiner Meinung nach in unserer Debatte viel zu kurz kommen:

(1) Die Verantwortlichen der Politik, die Damen und Herren mit der öffentlichen Reichweite sowie die anderen „Größen“, die diese Diffamierung betrieben und unterstützten, arbeiteten mit Behauptungen. Keiner der Offiziellen bemühte sich um korrekte Überprüfungen dieser Aussagen. Es ist für mich eine totale Ernüchterung, dass unser hochgelobter Staat diese Verzerrung der Realität betreiben konnte und niemand in der Lage war (oder sein wollte), beispielsweise die Auswirkungen der „Impfung“ bzw. „Nicht-Impfung“ annähernd korrekt und vollständig zu ermitteln.

Wir müssen uns das mal vor Augen führen: Ein Totalversagen unserer Institutionen und unseres Rechtstaates. Wenn wir nicht klären können, wie das geschehen konnte, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die nächste Welle über uns hereinbricht, wiederum mit Behauptungen. Und Ähnlichkeiten gibt es ja jetzt schon genügend im Konflikt Ukraine/Russland. Ist der Bevölkerung eigentlich bewusst, was das heißt, was das bedeutet für unser Land, für uns erwachsenen Bürger und für die Kinder?

(2) Ein gänzlich anderer Betrachtungswinkel: Wir Maßnahmengegner sollten realisieren, dass es eher normal ist, wenn zumindest die westdeutschen Bürger ihren „Oberen“ vertrauen, im Großen und Ganzen wenigstens; der ehemaligen Bundeskanzlerin und dem jetzigen Bundeskanzler, den Ministern, den Ministerpräsidenten der Länder, den Moderatoren von Tagesschau und Tagesthemen, ihrer Tageszeitung und ihren Ärzten...

So sehen das die meisten Bürger, und das ist verständlich. Denn – sind wir doch mal ehrlich – sonst bricht ja eine Welt zusammen. Alles gerät aus den Fugen. Wie kann ich als Bürger dann noch klarkommen? Wir „Alternativen“ kennen die Misere zu genüge, was es mit einem macht, in solch ein Loch zu fallen. Und nicht mehr zu wissen, wie man sich gegenüber seinem Umfeld verhalten soll:

a) Mache ich gute Miene zu dem Spiel, signalisiere ich Einverständnis. Ich tue dann so, als wäre alles in Ordnung wie bisher. Ich bin dann auch einverstanden, wie mein Umfeld mit dem Thema umgeht.

b) Ziehe ich mich aus der Gesellschaft zurück - was sowieso nicht komplett funktioniert - werde ich zum Einsiedler oder bewege mich in einer Parallelgesellschaft.

c) Versuche ich einen Mittelweg, wie immer er auch aussehen mag, ist die Spannung auf Dauer kaum zu ertragen. Ich bin mit der ganzen Situation massiv unzufrieden, kann sie aber nicht ändern.

Das ist auch von mir schnell so dahingesagt und -geschrieben. Die Auswirkungen dahinter sind jedoch immens. Und sie gehören auf den Tisch.

Ich möchte noch einen weiteren Punkt anschneiden, der letztlich auch eine Auswirkung der Diskriminierungs-Kampagne ist. Die Einschätzung der Dramatik – oder Nichtdramatik – der gesamten Situation ist in der Bevölkerung völlig unterschiedlich. Dies ist mit ein Grund, warum keine offene Debatte stattfindet. Man geht dem Thema aus dem Weg, ignoriert es so weit wie möglich. Ist ja alles nicht so schlimm, sagt sich die Mehrheit.

Und umgekehrt: Da keine offene Debatte stattfindet, sehen viele Menschen die Gefahren nicht. Oder sie sehen Gefahren, wo gar keine sind. Und so vergeht Tag um Tag. Und wir müssen machtlos zusehen.

Sind wir wirklich machtlos? Diese Frage bedarf einer viel größeren Aufmerksamkeit, sofern wir etwas verändern wollen.

Wenn ich von Maßnahmengegnern beispielsweise höre: „Ich habe es aufgegeben, andere überzeugen zu wollen“ oder „wir sollten nicht missionieren“ oder „das Kartenhaus wird sowieso bald zusammenbrechen“, dann bleibe ich ratlos zurück. Ist das alles? Oder gib es sonst noch Vorschläge? Auf Demos gehen, natürlich. Reicht das so, wie der Zuspruch derzeit ist? Muss es noch schlimmer kommen? Und garantiert das dann ein Umdenken?

Optimistisch betrachtet wünsche ich mir einen intensiveren Austausch innerhalb der alternativen Medien und Gruppierungen zu Wegen, das Ganze bald gerade zu rücken und aufzuarbeiten. Es wird meiner Meinung nach auch innerhalb der „Alternativen“ zu wenig über die Veränderungsmöglichkeiten nachgedacht und diskutiert. Vielleicht ist dieser Leserbrief ein kleiner Beitrag zu der überfälligen Debatte.

Realistisch betrachtet rechne ich aber nicht mit einer Aufarbeitung, schon gar nicht mit einer gründlichen. Die Verantwortlichen werden sich rausreden und vor allem wird darüber kaum gesprochen oder geschrieben werden. Und die Masse der „Dulder“ hat auch kein Interesse an einer Aufarbeitung. Selbst viele Maßnahmengegner gehen diesen Konflikten aus dem Weg, heute schon.

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