Pandemieabkommen vorerst gescheitert

Positionen von Industrieländern und Globalem Süden gehen auseinander / Einigung laut WHO „in den kommenden Jahren“ möglich

27. Mai 2024
Genf.
(multipolar)

Am Freitag (24. Mai) gab die WHO bekannt, dass kein abstimmungsfähiger Text zum seit mehr als zwei Jahren vorbereiteten Pandemieabkommen vorgelegt werden könne. Auf der diesjährigen Weltgesundheitsversammlung der WHO vom 27. Mai bis 1. Juni in Genf sollten eigentlich verbindliche Beschlüsse dazu gefasst werden. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach erklärte in einer ersten Stellungnahme, das Pandemieabkommen sei „nicht endgültig gescheitert“ und brauche „mehr Zeit“. „Die Vernunft wird siegen. Genau wie beim Klimaschutz, aber es dauert“, so der Minister. Der Co-Vorsitzende des Verhandlungsgremiums, der Niederländer Roland Driece, mutmaßte, eine Einigung sei „in den kommenden Jahren“ noch möglich.

Im Vorfeld der Versammlung hatten sich kritische Stimmen gegen das geplante Abkommen gemehrt. 24 republikanische Gouverneure von US-Bundesstaaten hatten die US-Regierung aufgefordert, den WHO-Verträgen nicht zuzustimmen, da sie die „nationale Souveränität untergraben“ würden und die vorgesehene Ausweitung der Befugnisse eines „unkontrollierbaren“ WHO-Generaldirektors problematisch sei. In den Niederlanden hatte eine Parlamentsmehrheit die Regierung aufgefordert, gegen die Verträge zu stimmen. Da die neu gewählte WHO-kritische Regierung dort noch nicht im Amt ist, bleibt offen, wie die noch amtierende Regierung sich bei den Abstimmungen verhalten wird. In der Slowakei hatten sich Ministerpräsident Robert Fico sowie Minister seiner Regierung ablehnend zu den Pandemie-Verträgen geäußert. Fico erklärte, hinter dem Abkommen steckten „gierige Pharmaunternehmen, die den Widerstand einiger Regierungen gegen die Impfpflicht zu spüren bekamen.“ Peter Kotlar, zuständig für die Corona-Aufarbeitung und Vertreter der slowakischen Regierung an den WHO-Verhandlungen, betonte, dass die Entwürfe für die Slowakei „inakzeptabel“ seien „wegen ihrer Unbestimmtheit und des unzulässigen Eingriffs in die Souveränität der Mitgliedsstaaten sowie der unangemessenen Beschneidung der Menschenrechte und Grundfreiheiten“.

In einem Brief an die Afrikanische Union vom 20. Mai hatte der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa das sogenannte One-Health-Konzept kritisiert, sowie das geplante System, allen Ländern Zugang zu Krankheitserregern zu verschaffen. Berichten zufolge machten sich mehrere Entwicklungsländer Sorgen, Virusproben für die Entwicklung von Impfstoffen bereitstellen zu sollen, sich diese Impfstoffe dann aber nicht leisten zu können. Laut New York Times hätten sie „darum gebeten, dass Pharmahersteller Informationen weitergeben, die es lokalen Unternehmen ermöglichen, die Produkte zu geringen Kosten herzustellen“. „Wir wollen nicht, dass westliche Länder Krankheitserreger sammeln, damit arbeiten und Impfstoffe herstellen, ohne uns diese Vorteile zurückzugeben“, so ein afrikanischer Vertreter. Sollten diese Kritikpunkte nicht ausgeräumt werden, forderte Ramaphosa eine Verlängerung der Verhandlungen. Alternativ sollte die Gruppe der afrikanischen Staaten einen Austritt aus dem WHO-Verhandlungsgremium zum Abkommen in Erwägung ziehen.

Andere Experten hatten kritisiert, dass die Änderungsvorschläge zu den Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) – dem zweiten verhandelten Abkommen – nicht, wie vorgeschrieben, mindestens 4 Monate vor der Abstimmung vorlagen. Ein Verstoß gegen das Legalitätsprinzip, so Kritiker, und ihrer Ansicht nach von Bedeutung, da die IGV mit nur einfacher Mehrheit beschlossen werden können und dann für alle WHO-Mitglieder bindend sind – es sei denn ein Land macht von seinem Opt-Out-Recht innerhalb einer Frist von 10 Monaten Gebrauch.

Auf Multipolar-Nachfrage erklärte das Bundesgesundheitsministerium, ein Verstoß gegen das Legalitätsprinzip liege nicht vor. Da das WHO-Sekretariat alle vorgeschlagenen Änderungen zu den IGV nach jeder Überarbeitung „den 196 Vertragsstaaten mitteilt“, erfülle es „laufend die Anforderungen aus Artikel 55 Absatz 2 IGV.“ Für ausreichend Transparenz über die Vertragsinhalte gegenüber den Abgeordneten und der Öffentlichkeit habe die Bundesregierung ebenfalls gesorgt, da sie „seit Beginn der Verhandlungen kontinuierlich“ den Unterausschuss für Globale Gesundheit des Bundestages informiert habe.

Laut Pressemeldung der WHO soll der seit Montag (27. Mai) tagenden Weltgesundheitsversammlung der erreichte Verhandlungsstand zur Prüfung vorgelegt werden. Als Optionen für das weitere Vorgehen seien weitere Verhandlungen, Änderungen oder die Fertigstellung der Abkommen in Betracht zu ziehen. Laut Telegraph könnte ein Kompromissvorschlag dem Globalen Süden preiswerte Impfstoffe zusichern im Gegenzug zum Zugang zu Pathogenen und genetischen Daten, damit Pharmaunternehmen entsprechende Impfstoffe entwickeln könnten.

Im Vorgriff auf eine mögliche Einigung auf WHO-Ebene hat die US-Regierung schon im Oktober 2022 mit 50 Entwicklungs- und Schwellenländern eine globale Gesundheitssicherheitspartnerschaft abgeschlossen, um „biologische Bedrohungen“ einzudämmen. Unabhängig vom Abstimmungsergebnis auf WHO-Ebene sind in der EU seit Herbst 2021 vergleichbare Vorschriften zur Pandemievorbereitung beschlossen worden.


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