RKI-Protokolle nachträglich geändert

Multipolar-Anwalt spricht von „arglistiger Täuschung“ / Wiedereröffnung der Verhandlung beantragt / Zeitpunkt von Textlöschungen unklar (mit Updates 12.8. und 20.8.)

12. August 2024
Berlin.
(multipolar)

Eine Analyse der Metadaten der RKI-Protokolle zeigt, dass mehr als die Hälfte der Protokolle des Zeitraums Januar 2020 bis April 2021 – die Multipolar freiklagte –, nachträglich vom Robert Koch-Institut (RKI) geändert wurden. Multipolar-Mitherausgeber Paul Schreyer hatte am 5. Mai 2021 beim RKI einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) auf Herausgabe der Protokolle gestellt. Die Mehrzahl der angefragten Protokolle wurden laut der nun untersuchten Metadaten jedoch unmittelbar darauf, am 6. und 10. Mai 2021, vom RKI geändert. Eine Nachfrage dazu blieb vom RKI zunächst unbeantwortet. (Ergänzung 12.8.: Unmittelbar nach Veröffentlichung dieses Textes bat das RKI um eine Zusendung der Analyse, äußerte sich aber noch nicht weitergehend.)

Rechtsanwalt Christoph Partsch, der Multipolar juristisch vertritt, hat beim Verwaltungsgericht Berlin am Montag (12. August) nun die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragt und spricht von „arglistiger Täuschung“. Die freigegebenen Protokolle seien „nicht die streitgegenständlichen, sondern größtenteils nach Antragstellung, teils nach Klageerhebung abgeänderte Dateien“, so Partsch in einem Schriftsatz an das Gericht. Nach dem öffentlichen Verhandlungstermin am 8. Juli, bei dem über eine weitere Entschwärzung der Protokolle beraten wurde, hatte das Gericht eine Verkündung des Urteils innerhalb von 14 Tagen angekündigt – ist dem bislang aber nicht nachgekommen. Das Urteil steht weiter aus. Befragt nach den Gründen für die Verzögerung verweigerte die Pressestelle des Gerichtes zuletzt eine Antwort. Zwischenzeitlich hatte am 23. Juli ein RKI-Whistleblower die vollständig entschwärzten Protokolle über ein Journalistenteam um Aya Velazquez an die Öffentlichkeit durchsickern lassen.

Wie Multipolar am vergangenen Freitag (9. August) bereits berichtet hatte, war in diesem Leak auch ein Entwurf des Protokolls vom 25. März 2020 aufgefunden worden, der eine Passage enthält, die in der vom RKI freigegebenen Version fehlt. Wie die Metadaten zeigen, wurde diese freigegebene Version erst im Januar 2023, kurz vor Übermittlung an Multipolar, vom RKI geändert. In der fraglichen Passage dieses Protokolls aus der ersten Lockdownwoche hieß es ursprünglich: „Bevölkerungsbezogene Maßnahmen zeigen Effekt (…) Ute [Rexroth]: aber gewagt, Causalität herzustellen – Wir sind ja generell am Ende der Grippesaison – vorsichtig formulieren“. Im Protokoll, dass das RKI später im Rahmen des Gerichtsverfahrens freigab, ist hingegen lediglich vermerkt: „Strategien [gehen] in die richtige Richtung. Aber vorsichtig formulieren!“ Die erwähnte Ute Rexroth war Fachgruppenleiterin für infektionsepidemiologisches Krisenmanagement beim RKI. Rechtsanwalt Friedemann Däblitz hat im Zusammenhang mit dieser Protokolländerung bereits Strafanzeige gestellt.

Ob Textpassagen erst nach IFG-Antragsstellung gelöscht wurden, oder ob solche Löschungen unmittelbar nach einer Sitzung im Rahmen der regulären Straffung von Protokollrohversionen erfolgten, ist unklar, da Zwischenversionen der Dateien bislang nicht öffentlich vorliegen. (Anmerkung 20.8.: Das RKI erklärte dazu inzwischen: „Richtig ist, dass für das Protokoll vom 25.03.2020 eine Entwurfsfassung vorliegt, die jedoch bereits am 25.03.2020 - nicht erst am 03.01.2023 - zu der später herausgegebenen Fassung finalisiert wurde.“) Die Analyse der Metadaten wurde vom Programmierer Tom Lausen im Auftrag von Multipolar erstellt.

Paul Schreyer kommentiert, dass „die Notwendigkeit einer parlamentarischen Aufarbeitung immer deutlicher“ werde. Der „Wust an Unregelmäßigkeiten und mutmaßlichen Täuschungsversuchen“ könne nicht allein von Gerichten „im Rahmen teurer Klageverfahren von Privatpersonen“ aufgeklärt werden. Es brauche nun den „politischen Willen der Abgeordneten zu einem Untersuchungsausschuss, der sauber aufklärt“, so Schreyer.


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