Vorbild Schweden: Mediziner fordert Stärkung der kommunalen Pflege
17. April 2025Der Mediziner und ehemalige Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wodarg (SPD) fordert ein Umdenken in der Gesundheits- und Pflegepolitik. Bei einer Veranstaltung der Reihe „Koblenz: Im Dialog“ vergangenen Monat führte er Schweden als vorbildliches Beispiel an. Das Land sei nicht nur viel besser durch die Coronazeit gekommen, sondern habe grundsätzlich ein besseres Gesundheits- und Pflegesystem etabliert. Im Zentrum stehe die konkrete und dezentrale Verantwortungsübernahme vor Ort, in den Kommunen. Gesundheit und Pflege würden mit öffentlichen Regionalbudgets finanziert und nicht privatwirtschaftlich und profitorientiert organisiert.
Wodarg erläuterte das schwedische System: Regionale Gesundheitsgremien – bestehend aus Ärzten, Patientenvertretern, Pflegekräften und Politikern – würden über den Einsatz der Mittel entscheiden. Es gebe keine zentral verordneten Maßnahmenpakete. Stattdessen entscheide man auf Augenhöhe gemeinsam über die Verteilung und Priorisierung der Ressourcen. Die schwedische Gesundheits- und Pflegepolitik beruhe auf transparenten, überprüfbaren Strukturen und schaffe dadurch Vertrauen in der Bevölkerung. Wodarg zitierte eine Studie aus dem Jahr 2007, die die Europäische Kommission in Auftrag gegeben hatte. Nur 29 Prozent der Schweden hätten Angst, eines Tages auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Das war der geringste Wert. In Deutschland und Österreich waren es 55 Prozent, in Italien, Tschechien und Bulgarien sogar 68 Prozent.
Wodarg forderte daher eine politische Umgestaltung nach dem Vorbild Schwedens: Pflege, Bildung, Gesundheit, Versorgung, Sicherheit und kulturelles Leben sollten aus seiner Sicht nicht von anonymen zentralisierten Institutionen bestimmt werden – sondern vor Ort von den Menschen selbst. Das ermögliche Transparenz, Überschaubarkeit und Korrekturfähigkeit. Diese vertrauensbildende Vor-Ort-Politik entstehe „nicht auf der Ebene der WHO, nicht im Bundeskanzleramt – sondern von unten, im Dorf, im Stadtteil, in der Kommune.“
Im Kontrast dazu stehe die Entwicklung hin zur „vollständigen digitalen Erfassung medizinischer Daten“ – etwa durch die elektronische Patientenakte. „Was angeblich der besseren Versorgung dienen soll, wird zur Grundlage umfassender Kontrolle und Steuerung“, kritisierte Wodarg. So könnten nicht nur Menschen, sondern auch Ärzte überwacht werden. Digitalkonzerne wie Google, Amazon und Microsoft würden auf profitable Infrastruktur und Monopole setzen. Die Grenze zwischen öffentlicher Verantwortung und privaten Interessen sei längst verschwommen. „Wir liefern unser Gesundheitswesen den Gesetzen privatwirtschaftlicher Interessen aus. Und die Hauptprofiteure sitzen nicht im Wartezimmer – sondern an den Börsen“, sagte Wodarg.
Zugleich führte er mehrere Beispiele für eine bessere, kommunale Gesundheits- und Pflegepolitik an, die teilweise bereits heute möglich seien. In Itzehoe (Schleswig-Holstein) sei etwa ein „Regionales Psychiatrie-Budget“ entwickelt worden. Im Rahmen dieses Modellprojektes werde die psychiatrische Versorgung in kommunaler Verantwortung organisiert. Die Menschen würden zuhause betreut. Die Krankenhauseinweisungen seien dadurch radikal reduziert worden. In Bezug auf das Management von Grippewellen verwies er auf seine Erfahrung als Amtsarzt in Flensburg, wo er bereits in den 1980er Jahren ein Frühwarnsystem für Atemwegserkrankungen entwickelt habe. „Meine Laborantin Frau Thomsen rief jeden Montag dieselben Praxen an: Mehr Grippe als letzte Woche? Weniger? Oder gleich? Damit wussten wir, was los war – ein Monitoring nicht durch sinnlose teure Tests, sondern durch Menschenverstand“, erzählte er. In der sich anschließenden Diskussion berichtete auch die Pflegeethikerin und ausgebildete Krankenpflegerin Adelheid von Stösser von lokalen Alternativen zum Heimbetrieb, wie der „Pflegeethik-Initiative“ oder dem „Helfernetz Daheim“.
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