„Die wussten nichts, hatten keine Zahl parat“
PAUL SCHREYER, 17. März 2022, 3 Kommentare, PDFMultipolar: Die rechtliche Grundlage für die Corona-Maßnahmen sind Regelungen im Infektionsschutzgesetz, die zum Ende dieser Woche regulär auslaufen. Deshalb wird jetzt in großer Eile eine Nachfolgeregelung vom Bundestag beraten. Es soll vermieden werden, alle Maßnahmen am Wochenende aufheben zu müssen, wie es in vielen europäischen Ländern schon geschehen ist. Erst am Mittwoch fand dazu die erste Beratung im Parlament statt, sehr kurz, nur eine Stunde. Am Freitagmorgen wird erneut beraten, von 9:00 Uhr bis 10:20 Uhr, und direkt danach abgestimmt. Vorbereitend tagte am Montag der Gesundheitsausschuss, wo Experten zu dieser beabsichtigten Änderung des Infektionsschutzgesetzes angehört wurden. Bei dieser Ausschusssitzung waren Sie, Herr Lausen, als Einzelsachverständiger geladen. Ihre Stellungnahme ist auf der Webseite des Bundestages veröffentlicht. In Ihrem mündlichen Statement dort sagten Sie, dass Sie in der Diskussion Zahlen vermissen. Können Sie das erläutern?
Lausen: Ja, zunächst einmal musste ich mich mit der Frage beschäftigen, warum keiner meiner Vorredner und derjenigen, die nach mir geredet haben, irgendeine Zahl genannt hat oder meines Erachtens auch gewusst hat. Das hat mich sehr betroffen gemacht und mich auch ein wenig erschreckt. Denn es werden da Szenarien diskutiert, die überhaupt nicht zahlenbasiert sind. Das heißt, ich war der Erste und vermutlich auch der Einzige, der zu Zahlen etwas sagen konnte. Insbesondere geht es hier um die Fragestellung der Überlastung des Gesundheitssystems, also der deutschen Krankenhäuser, und ich hatte den Eindruck, dass die meisten noch nie gehört hatten, dass in den letzten zwei Jahren fünf Millionen Patienten, die man eigentlich hätte erwarten dürfen in deutschen Krankenhäusern, gar nicht in die Krankenhäuser gekommen sind. Die Gründe dafür sind jetzt erst einmal zweitrangig. Mag sein, dass die Leute Angst hatten, in die Krankenhäuser zu gehen. Was auch immer der Grund ist, fünf Millionen Patienten sind nicht dort gewesen. Und ich glaube, viele von denen, die dort im Ausschuss gesessen haben, haben das zum ersten Mal gehört.
Dass eine Überlastung bei einer solchen Zahl von fehlenden Patienten unmöglich ist, das ist diesen Leuten offensichtlich noch nicht in den Sinn gekommen bis zu dem Tag. Jetzt kann es sein, dass sie ein wenig darüber nachdenken. Wenn also die Grundlage, die Begründung, die Überlastung des Gesundheitssystems sein soll, dann sind die Zahlen natürlich die Grundlage dafür. Kann eine Überlastung des Gesundheitssystems bei dieser Minderfallzahl an Patienten überhaupt stattfinden? Diese Diskussion ist nicht weiter geführt worden. Ich habe das jetzt als Zahlenbasis erst einmal in den Raum gestellt, vielleicht diskutieren das die Abgeordneten im Gesundheitsausschuss untereinander. Aber die Zahlen sind jetzt da.
Das Zweite ist, ob eine tatsächliche Nachhaltigkeit mit diesen Maßnahmen überhaupt angestrebt wird. Ob man also handelt, wie es die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung fordert, und wie es der Entwurf zum neuen Infektionsschutzgesetz aus dieser Strategie auch wörtlich zitiert, "um ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters zu gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern" und um "unvertretbare Risiken für die menschliche Gesundheit zu vermeiden". Es geht also um das Vermeiden unvertretbarer Risiken für die menschliche Gesundheit. Das möchte man mit diesem Gesetzesentwurf erreichen. Und die Maßnahmen sollen das gewährleisten. Ich kann aber eben sowohl zur Überlastung des Gesundheitssystems, als auch zur Vermeidung der Gesundheitsrisiken sagen, dass ich glaube, dass diese Maßnahmen gar nichts von dem erreichen werden.
Multipolar: Von dieser Sitzung am Montag im Gesundheitsausschuss gibt es einen Videomitschnitt, die Beratung wurde im Internet gestreamt. Nach dem Anschauen habe ich den Eindruck, dass dort alles sehr formalisiert abläuft und nicht im entferntesten eine Debatte stattfindet. Viele Menschen haben vielleicht noch die Erwartung, dass bei der Arbeit in den Ausschüssen offener oder vielfältiger debattiert wird als in einer Plenardebatte im Bundestag, wo man ja schon gewohnt ist, dass dort nur ein Schlagabtausch stattfindet, sodass viele Menschen hoffen, dass in den Ausschüssen dann aber die Sacharbeit gemacht wird. Wenn ich mir jetzt diese Übertragung vom Ausschuss anschaue, dann habe ich den Eindruck, das ist ähnlich formalisiert. Besonders hat mich irritiert, dass außer eines einzelnen Abgeordneten der AfD niemand Sie im Ausschuss befragt hat. Kein anderer Abgeordneter hat eine Frage an Sie gerichtet oder auch nur versucht Ihre Argumentation zu kritisieren. Mein Eindruck war, dass Ihre Aussagen vollkommen ignoriert wurden. Haben Sie einen anderen Eindruck? Hat Sie vielleicht außerhalb der Ausschusssitzung noch ein Abgeordneter darauf angesprochen?
Lausen: Nein, es hat mich niemand angesprochen. Es gab mit einem CDU-Abgeordneten ein Vorgespräch, tatsächlich über diese Zahlen, der diese Zahlen jetzt, nachdem ich sie ihm gesagt habe, auch kennt und diese Sache genauso unterstützt. Aber das war im Vorfeld.
Dieses Format, das wir gesehen haben, ist eine Anhörung. Und bei einer Anhörung geht es nicht um die Diskussion, sondern nur um ein Einholen von Argumentationen von Verbänden, Organisationen oder Einzelsachverständigen. Das heißt also, das, was wir da in der Anhörung gehört und gesehen haben, war eine Sachkundigmachung der Abgeordneten, damit sie in einer weiteren Diskussion eine Grundlage haben. Das ist eigentlich alles. Es war also nicht zu erwarten, dass Leute untereinander diskutieren.
Und ja, natürlich hätte ich auch gerne Nachfragen gehabt zu meinen Zahlen. Ich war sehr verwundert, dass, nachdem ich die Zahlen genannt habe, kein einziger mehr irgendeine Frage zu meinen Zahlen stellte. Allerdings gab es eine feste Reihenfolge, es hätte quasi nur noch die Links-Fraktion, die danach kam, Fragen stellen können, weil die eine Redezeit hatten, die danach angesetzt war. Die Redezeit der anderen wurde für andere Sachverständige genutzt. Nur der AfD-Vertreter hat mich befragt.
Multipolar: Hatte die AfD Sie in den Ausschuss eingeladen?
Lausen: Ob ich von der AfD eingeladen wurde, ist mir unbekannt. Man wird immer vom Leiter des Gesundheitsausschusses eingeladen und bekommt keine Information darüber, wer einen eingeladen hat – um zu vermeiden, dass man als Sachverständiger, wenn einem eine Partei unlieb ist, möglicherweise gar nicht erscheint. Deswegen erfährt man das nicht bei dieser Einladung, sondern es lädt der Vorsitzende ein. So ist es auch bei mir geschehen. Und natürlich kann man jetzt annehmen, dass die AfD mich eingeladen hat, weil die AfD die Frage an mich gestellt hat und niemand anderes sonst.
Multipolar: Das heißt, eine Diskussion ist in so einem Format gar nicht vorgesehen. Die Diskussion findet dann tatsächlich im Bundestag statt. Das heißt, am Freitagmorgen soll dann in den 80 Minuten zwischen 9:00 Uhr und 10:20 Uhr all das diskutiert werden, was in der Ausschusssitzung am Montag vorgebracht worden ist. Wir werden sehen, was dann tatsächlich am Freitag im Bundestag passiert.
Lausen: Genau.
Multipolar: Noch zu einem anderen Themenkomplex: Sie sind in den letzten Wochen vor allem durch Ihre Auswertung der BKK-Daten in den Medien gewesen. Bei dieser Auswertung von Abrechnungsdaten der BKK-Krankenkassen ist herausgekommen, durch die Initiative des Chefs der Krankenkasse BKK ProVita, Andreas Schöfbeck – der inzwischen vom Verwaltungsrat fristlos entlassen worden ist –, dass es offenbar eine erhebliche Untererfassung der Impfnebenwirkungen gibt, um den Faktor 10 und höher. In Reaktion auf die Veröffentlichung ist bislang jedoch nichts passiert. Der Chef der BKK ProVita musste gehen und die Daten sind offenbar noch nicht an das PEI, also an das Paul-Ehrlich-Institut, übertragen worden. Sie, Herr Lausen, haben jetzt verschiedene Schriftsätze aufgesetzt, auch über einen Anwalt, sowohl ans PEI, wo Sie nachgefragt haben, ob die BKK-Daten angekommen sind, beziehungsweise was unternommen wird, um die Daten zu erhalten, als auch an den neuen Vorstand der BKK ProVita, was von seiner Seite aus unternommen wird, um diese Daten ans PEI zu übertragen. Wie ist in dieser Sache der aktuelle Stand?
Lausen: Also, alles, was Sie gesagt haben, ist soweit erstmal korrekt. Ich habe sowohl ans PEI mit Fristsetzung Dienstag 12 Uhr, die nicht eingehalten wurde, angefragt, ob sie diese Daten entgegengenommen haben, und darüber hinaus zusätzlich, ob die Daten der Kassenärztlichen Vereinigungen, die laut Infektionsschutzgesetz verpflichtet sind, bestimmte Daten zur Pharmakovigilanz – also zur Erfassung und Bewertung von unerwünschten Arzneiwirkungen – regelmäßig ans PEI zu schicken, auch gemeldet werden. Ich habe angefragt beim PEI, ob das auch geschieht. Und ich habe keine Antwort bekommen.
Ich vermute, das geschieht gar nicht, also dass da nichts kommt. Die werden jetzt wahrscheinlich erst bemerkt haben, welchen gesetzlichen Auftrag im Hintergrund die Pharmakovigilanz zusätzlich noch hat. Wir sehen ja, dass im Grunde auch bei vielen Organisationen wie dem, ich glaube, es war der GKV-Spitzenverband, der auf Nachfrage im Gesundheitsausschuss gar keine Zahlen zu Arbeitsunfähigkeiten der Versicherten in Deutschland abliefern konnte. Denn die wussten ja gar nichts. Die wussten nichts. Die hatten keine Zahl parat. Ich weiß gar nicht, was die da rechnen. Ob das einfach für die so business as usual ist und Corona läuft nebenbei, ich weiß es nicht. Und das Zweite, was ich am Montag noch gemacht habe, ist, ich habe über meinen Anwalt jetzt einen Strafantrag gestellt an hundert Staatsanwaltschaften in Deutschland gegen den neuen Vorstand der BKK ProVita, weil er seiner Garantenpflicht eben nicht nachkommt und möglicherweise Straftatbestände erfüllt. Und das müssen die Staatsanwaltschaften jetzt überprüfen.
Multipolar: Sie haben an hundert Staatsanwaltschaften einen Strafantrag gestellt?
Lausen: Ja, genau. Die Versicherten sitzen ja überall in Deutschland, das heißt, alle Staatsanwaltschaften sind betroffen von dieser Unterlassung des neuen Vorstandes der BKK ProVita. Denn dadurch werden möglicherweise Körperverletzungen ausgelöst, die in ihrem Ausmaß den Impflingen möglicherweise gar nicht im Voraus bekannt sind, und die deshalb einwilligen zu etwas, zu dem sie nicht einwilligen würden, wenn sie das volle Ausmaß kennen würden. Das sind ja mögliche Straftatbestände, die überall in Deutschland dann stattfinden werden. In diesem Fall betrifft es jede Staatsanwaltschaft.
Multipolar: Bevor Sie den Strafantrag gestellt haben, wiesen sie den neuen Vorstand der BKK ProVita, Walter Redl, bereits in der vergangenen Woche in einem Schreiben auf die Strafbarkeit des Unterlassens einer raschen Übergabe der Abrechnungsdaten zu den Nebenwirkungen ans PEI hin. In diesem Schreiben führen Sie unter anderem auch den Paragraf 5 des Arzneimittelgesetzes an. In diesem Gesetz heißt es unter der Überschrift „Verbot bedenklicher Arzneimittel“:
„Es ist verboten, bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen oder bei einem anderen Menschen anzuwenden. Bedenklich sind Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen.“
Da denkt man an die neuartigen mRNA-Präparate, wo ein negatives Schaden-Nutzen-Verhältnis in einzelnen Altersgruppen bereits belegt ist. Hat Ihres Wissens schon irgendjemand auf diese Klausel im Arzneimittelgesetz in diesem Zusammenhang hingewiesen?
Lausen: Nein. Es wird Zeit, dass das geschieht. Im Grunde genommen ist das der Ursprung für alle. Der Arzt muss entscheiden, ob er tatsächlich vertreten kann, ein bestimmtes Arzneimittel zu geben. Und das Paul-Ehrlich-Institut muss entscheiden, ob dieses Arzneimittel den wissenschaftlichen Standards so entspricht. Und viele andere drumherum haben bestimmte Pflichten, die immer in Paragraf 5 am Ende wiederzufinden sind.
Multipolar: Das heißt dann auch, dass alle, die jetzt mit der Impfung aktiv befasst sind, angefangen bei den Ärzten, in den Bereich der Strafbarkeit kommen, wenn sie diesem Verdacht nicht nachgehen?
Lausen: Zumindest ist es so, dass, wenn am Ende der ganzen Sache, nachdem bekannt geworden ist, wie viele Nebenwirkungen da noch schlummern, die noch nicht untersucht worden sind in ihrer Schwere, wenn diese Nebenwirkungen in ganz Deutschland aufgetreten sind, und das Paul-Ehrlich-Institut kommt – wenn es das wirklich untersucht – zu dem Schluss und sagt, „das ist aber ein gefährliches Arzneimittel“, dann muss man sich ja überlegen, ob der Arzt nicht schon jetzt entscheiden muss und sagen muss: Bis das nicht geklärt ist, kann ich leider nicht impfen mit diesen Impfstoffen. Jeder Arzt kann überlegen, ob er trotzdem weiterimpft, obwohl er dieses Wissen darüber hat.
Zum Interviewpartner: Tom Lausen, Jahrgang 1967, wurde in Hamburg geboren und arbeitet seit 1987 als Programmierer und Datenanalyst. Er betreibt die Webseite intensivstationen.net, auf der die Zahl der deutschen Intensivbetten und ihre Belegung regelmäßig aktualisiert dargestellt werden. Ende 2021 veröffentlichte er zusammen mit dem langjährigen WDR-Journalisten Walter van Rossum das Buch „Die Intensiv-Mafia. Von den Hirten der Pandemie und ihren Profiten“. Im Rahmen der Corona-Krise war er mehrfach als Sachverständiger im Deutschen Bundestag geladen.
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