Luftaufnahme eines Feldes im Landkreis Ebersberg | Bild: picture alliance / SZ Photo | Christian Endt

Dorfgemeinschaften machen sich unabhängig

Über 160 Kommunen in Deutschland decken bereits einen großen Teil ihres Strom- und Wärmebedarfs durch überwiegend regional erzeugte Biomasse. Sie sind damit auf dem Weg, unabhängig von großen Energieunternehmen zu werden – und sparen Kosten. Viele der Pilotprojekte setzen auf Genossenschaften und eine breite Bürgerbeteiligung. Multipolar veröffentlicht einen Auszug aus Ulrich Gausmanns Buch „Wirtschaft und Finanzen neu gedacht“, in dem das Konzept vorgestellt wird.

ULRICH GAUSMANN, 24. Januar 2024, 2 Kommentare, PDF

Das Geheimnis nachhaltiger Veränderungen heißt: endlich anfangen! Das könnte das Motto von Peter Schmuck sein, der Ende der 1950er Jahre in Leipzig geboren wurde. Schon mit 17 Jahren fühlte er sich in den beiden Weltsystemen Sozialismus und Kapitalismus nicht wohl: beide hielt er nicht für zielführend, unfair und ungerecht. Seitdem bewegt ihn die Frage: Gibt es einen „dritten Weg“? Aktiv-konstruktiv geht er an die Welt heran, schafft sich aus der Realität seine eigene Wirklichkeit. „Ich bin Konstruktivist“, so Peter Schmuck über sich selbst. Sein Studium der Psychologie an der Humboldt-Universität in Berlin gibt ihm die theoretische Grundlage, 1995 Habilitation in Göttingen, ab 1997 beginnt seine praktische Arbeit. Seit 25 Jahren beschäftigen ihn die Themen „Nachhaltige Entwicklung, Bioenergie und Energiewende“. In Potsdam wird er Leiter des Instituts für Nachhaltigkeit und Umweltpolitik und dort auch Professor für Umweltpsychologie und Nachhaltigkeitsmanagement.

Wer mit ihm zu tun hat, spürt die Tatkraft, pragmatisches, kluges Vorgehen und die Lebenserfahrung, die den positiven Drive gibt, mit dem er durch das Leben geht. Offener Blick hinter einer unauffälligen Nickelbrille, immer präsent, unaufdringlich und ein guter Beobachter. An verschiedene Hochschulen hat ihn seine wissenschaftliche Arbeit geführt – Greifswald, TU Berlin, Potsdam, Kassel, Magdeburg, Eberswalde. Über seine Entwicklungsprojekte hat er auf mehreren Kontinenten Vorträge und Vorlesungen gehalten, in Amerika und Australien, wobei das Interesse in asiatischen Ländern wie Japan, Indonesien und China besonders stark war.

Die von ihm und seinem Team konzipierten „Energiewendedörfer“ stellen ihre Energieversorgung auf regional langfristig verfügbare, nachwachsende Rohstoffe wie Holz, Stroh und Pflanzensilage (Biomasse) um. Die Nutzung dieser Rohstoffe kann klimaneutral gestaltet werden und sie müssen nicht mit aufwändigen Transporten um die Welt herbeigeschafft werden. Man fördert nicht zuletzt die eigene Region. In Jühnde bei Göttingen entstand 2005 das erste Bioenergiedorf. Das war der Startschuss für die Bewegung, Dörfer auf neue Energieträger umzustellen.

Über 160 Kommunen und Gemeinden in Deutschland sind inzwischen zu einem Bioenergiedorf geworden und auf einer interaktiven Karte zusammengefasst. Es lohnt sich, die Landkarte einmal anzuschauen. Oft ist das nächste Bioenergiedorf oder die Zukunftskommune näher, als man denkt.

Dort findet man Dörfer, deren Namen man noch nie gehört habt, die aber ihrer (unserer) Zeit schon weit voraus zu sein scheinen. Von Ahrenswohlde mit etwa 600 Einwohnern bis Zepkow mit über 200 Einwohnern reicht die Auflistung der Energiedörfer mit genauen Angaben zur Menge des erzeugten Stroms und zu den verwendeten Biomasse-Materialien. Die Beteiligungsquoten sind dort ebenfalls zu sehen. Die Dörfer produzieren ihren elektrischen Strom zu 100 Prozent selbst, die Wärmeenergie zu 50 Prozent und beginnen nun damit, eigenen Treibstoff zu produzieren. Die Entwicklung der Energiedörfer ging von 2005 bis 2014 steil bergauf, von Null bis auf 150 Dörfer wuchs die Bewegung in 9 Jahren. Im Moment stagniert die Entwicklung.

Wer die Verbindung von den gravierenden politischen Veränderungen seit Frühjahr 2020 bis hin zum selbst produzierten Supergau im Energiesektor zieht, der wird nun neidvoll zu diesen Energiewendedörfern schauen, die sich von den horrenden Strom- und Gaskostenabrechnungen abgekoppelt und ihre Energieversorgung lokal und regional in die Eigenregie übernommen haben. Inzwischen ist die Formel „lokal ist die Zukunft“ eine Binsenweisheit.

„Starten Sie die Energiewende in Ihrer Kommune!“ lautet die Aufforderung an Interessierte auf der Internet-Seite der Energiewendedörfer. Dort findet man Handlungsempfehlungen für den Fall, dass Einzelne oder eine Dorfgemeinschaft als Initiatoren ihr Dorf zu einem Energiewendedorf umbauen und starten möchten. Der erste Schritt ist die Geburt einer Idee. Initiatoren kommen zusammen und checken die örtlichen und fachlichen Kompetenzen. Gibt es Fachleute für Planung, Bau, Finanzierung, Vermarktung? Wie ist die soziale Akzeptanz? Was kann man für ihre Förderung tun?

Es folgt eine technische Machbarkeitsstudie durch ein (in der Regel) externes Beratungsbüro, das den Energiebedarf der Kommune ermittelt, aktuelle Reduktionsmöglichkeiten des Verbrauchs prüft und die vorhandenen Ressourcen vor Ort sichtet. Ist alles positiv abgeschlossen, kommt die Vorplanung und Entwurfsplanung, in der die notwendigen Verträge geschlossen und Gesellschaften gegründet werden. Häufig werden Genossenschaften als Rechtsform gewählt. Nun folgen der Bauantrag und der Bau der beschlossenen Gebäude und Anlagen. Schließlich geht es um die regionale Verteilung und Vermarktung der erzeugten Energie, auch die Vermarktung von Überschüssen, die selbst nicht benötigt werden.

Während ganz Deutschland unter den Folgen der Sanktionen gegen Russland leidet, können sich die Menschen entspannt zurücklehnen, die eine dezentrale Energiewende bereits eingeleitet haben oder praktizieren. Ihnen sind viele Nachahmer zu wünschen. Dazu folgende Beispiele:

Am 19. Juli 2022 titelte die BZ - Die Stimme Berlins: „Dieses Brandenburger Dorf pfeift auf hohe Gas- und Energiepreise. Ganz Deutschland ächzt unter steigenden Strom-, Gas- und Wärmepreisen, fürchtet den Gas-Lieferstopp. Die 130 Einwohner von Feldheim nicht. Ihr Dorf versorgt sich selbst mit Energie – seit zwölf Jahren!“ 2002 wurde das Dorf in der Nähe von Treuenbrietzen das erste energie-autarke Dorf Deutschlands.

„Ich habe seit 2010 nicht mehr auf die Strom- und Gaspreise geschaut“, lacht Joachim Schmidt und lehnt sich entspannt zurück. Ganze 12 Cent zahlt er für die Kilowattstunde Strom – knapp ein Drittel vom gesamtdeutschen Durchschnittspreis. Gekostet hat ihn das damals 3000 Euro für die Beteiligung an der Feldheim Energie GmbH & Co KG. Schmidt fasst den damaligen Schritt folgendermaßen zusammen: „Das zahlt sich jetzt aus.“

Aus dem ersten Windrad in den 1990er Jahren wurde mehr, Einnahmen flossen in den kommunalen Haushalt, damit konnte die Infrastruktur (Straßen, Laternen, Fußwege) erneuert werden. Es klingelte in der Kasse: Bis zu 200.000 Euro Gewerbesteuereinnahmen konnte man verbuchen. 2009 kam die Fernwärme dazu. Dafür baute die Agrar-Genossenschaft eine Biogasanlage. Chef Sebastian Herbst erklärt die Abläufe: „Das Gas entsteht aus der Gülle unserer Schweine und dem Mais vom Feld. Eine Gasturbine macht daraus Strom und Wärme.“ Ein Megawatt kostet auf diese Weise 7,5 Cent.
Ein Hackschnitzel-Kraftwerk für Holz aus Wäldern der Region liefert im Winter Fernwärme, wenn die Biogasanlage zu wenig Energie produziert. Inzwischen gibt es eigene Strom- und Fernwärmeleitungen zu jedem Haushalt. Überschüssiger Strom wird ins Netz eingespeist. Trotz aller Preissteigerungen – Strom und Wärme bleiben preiswert.

Seit 2017 stößt Peter Schmuck die Zukunftskommunen an. In allen Flächen-Bundesländern gibt es sie inzwischen. Dazu gehören auch „(…) zwei Klöster, sieben Ökogemeinschaften, ein Hochschulcampus und auch zwei Gemeinwohl-zertifizierte Gemeinden sind im Kreis. Und 48 weitere Orte, an denen engagierte Menschen unbeirrt vom politischen Hin und Her das tun, was das Gebot dieser Jahre ist: Unsere Kommunen, in denen wir leben, zukunftsfähig zu machen. Viel Freude beim Vernetzen, beim neugierig Sein, wo andere Kommunen schon weiter sind.“

Gemeint sind die heute genau 67 Kommunen, die auf vier Transformationsfeldern (Ökonomie, Ökologie, Soziales und Bildung/Kultur) wenigstens einen kommunalen Erfolg vorweisen können, zum Beispiel ihren Gemeinde-Haushaltsplan an der Gemeinwohlökonomie ausgerichtet zu haben. Peter Schmuck porträtiert sie und vernetzt sie untereinander. In seinem regelmäßigen Newsletter informiert er über neue Entwicklungen.

Die dezentrale Energiewende fand auch im bayerischen Landkreis Ebersberg statt. Dort ist ein kommunales Energieversorgungsunternehmen entstanden, das als lokaler Stromanbieter die Energiewende vorantreibt. Die erneuerbare Energie wird ausschließlich in der eigenen Region erzeugt und versorgt inzwischen tausende Kunden mit Ökostrom. Die wachsende Nachfrage wird mit zusätzlichen Photovoltaikanlagen gedeckt. 19 Städte, Märkte und Gemeinden werden inzwischen beliefert. Bis 2030 wird man sich von endlichen Energieträgern abgekoppelt haben. Eigentümer des örtlichen Stromnetzes sind die Gemeinden und damit über eine gemeinsame Gesellschaft die Bürger, nicht ein privates Energieunternehmen.

Ulrich Gausmann, „Wirtschaft und Finanzen neu gedacht“, Massel Verlag, 344 Seiten, 25 Euro

Über den Autor: Ulrich Gausmann, Jahrgang 1960, Ausbildung zum Buchhändler, Studium der Geschichte, Soziologie, Politologie und Wirtschaft in Paderborn, Promotion in Soziologie bei Prof. Arno Klönne; nach Jahren der Selbständigkeit zuletzt neun Jahre als Lehrer an Berufskollegs und Förderschulen für lernbehinderte Kinder tätig; Schwerpunkte sind Kapitalismusanalyse und -kritik, Soziologie der sozialen Bewegungen und politische Gegenwartsfragen. Kontakt zum Autor: revolutiondermenschlichkeit@posteo.de

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JÖRG G, 24. Januar 2024, 14:25 UHR

Danke für diesen anregenden Artikel. Eine Frage an den Autor oder an versierte Leser:

Ist der als Beispiel genannte Strompreis von 12Ct/kWh tatsächlich mit den üblichen Strompreisen vergleichbar? Oder haben die Kommunen bzw. deren Bürger erhöhte Ausgaben (beispielsweise Kosten für Ackerbau der Energiepflanzen), die den günstigen Strompreis relativieren?

SIGRID PETERSEN, 24. Januar 2024, 17:10 UHR

Ich bin begeistert. 160 Kommunen sind weitgehend unabhängig von großen Energieunternehmen. Stimmt das denn? Ich habe in die Liste geschaut und konnte feststellen, dass es für die eine oder andere kleine Gemeinde auch stimmt. Aber schauen wir uns doch beispielsweise einmal die Gemeinde Breuberg an. 900 Einwohner, 100% Anschlussquote mit 150 Haushalten. KWK und Nahwärme mit Holzhackschnitzeln. Wenn wir jetzt aber einmal rechnen, bedeutet dieses Beispiel, dass für jeden Haushalt ca. 4.750 m², also ca. ein halber Hektar Land bereitgehalten werden muss, um dort z.B. Kurzumtriebhölzer für die Hackschnitzelproduktion anzubauen. Hmm! Hinzu kommt, und das verstehe ich nicht, dass das Bioenergiedorf Breuberg Rai-Breitenbach, welches ich hier betrachte, seine Bevölkerung im Dezember 2022 auf die Kostenentlastung nach dem Erdgas-Wärme Soforthilfe-Gesetz aufmerksam macht? Sollte diese Gemeinde davon nicht eigentlich ganz unberührt gewesen sein? (https://bioenergiedorf-odenwald.de/)

Anders ist es natürlich, wenn eine größere Stadt wie Neustrelitz Holzhackschnitzel für 8.100 Haushalte aus „Abfällen“ der Land- und Forstwirtschaft verwendet. Nur, dass man überschlagsmäßig 4-5 kW installierte Leistung pro Haushalt schon annehmen sollte. Das hieße im Umkehrschluss, dass für Neutrelitz eigentlich ca. 40 MW installierte Leistung vorhanden sein müsste, wenn es sich nicht nur um eine „Zusatzversorgung“ handeln sollte. Ja, wenn man nun auf die Seite der Stadtwerke Neustrelitz geht, wird es deutlich. Keine 8.000 kWh/HH im Jahr stehen für die ans Nahwärmenetz angeschlossenen Haushalte aus diesem Biomasse-Heizkraftwerk zur Verfügung, bei einem Jahresverbrauch von ca. 22.000 kWh also ca. 1/3 des Bedarfs. Mecklenburg-Vorpommern weist ca. 100 ha Kurzumtiebsflächen und 45.000 ha Waldfläche aus. Würde MeckPomm diese 45.000 ha Waldflächen zur Hackschnitzelbereitung (also nur die Reste des Baumschlags) verwenden, dann wäre es theoretisch möglich, diese 8.100 Haushalte (von über 20.000) mit ausreichend Wärme zu versorgen.

Ich möchte hier betonen, dass ich solch kleinen Projekten im ländlichen Raum durchaus meinen Respekt zolle. Zumal diese mithilfe der Biogasanlagen auch nicht auf volatile Energiequellen angewiesen sind. (Wie ist es im Winter? Reichen dann die Stallabfälle aus?) Allerdings, und das ist hier mein Anliegen, sind solche Projekte alles andere als Richtungspfeile für eine allgemeine Energiewende. Solange für Energieträger keine Ackerflächen „verschwendet“ werden, alles okay. Aber wenn nun wertvolle Ackerflächen zu Strom-, Wärme- und Treibstoffquellen werden, wie schon allzu weit betrieben, möchte ich an diesen Stellen doch einmal auf die Relationen aufmerksam machen. Bei Kurzumtriebsflächen für Hackschnitzel ca. ein halber Hektar pro Haushalt, bei der Resteverwertung der Forst und Landwirtschaft, würden 45.000 ha Gesamtwaldfläche gerade einmal reichen, ca. 8. 000 Haushalte mit Wärme versorgen zu können. Wie viel Hektar Maisfelder etc. pro Haushalt nötig wären, möchte ich gar nicht erst ermitteln.

Also, bitte nicht zu großzügig mit der Lobpreisung. Alle Energieträger mit geringer Energiedichte sind nicht geeignet, großräumige, geschweige denn, energieintensive Gebiete zu versorgen. Wie es auch für Wind- und Solarkraft der Fall ist.

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