„Noch nie so einseitige Medien erlebt“
JANA KERAC, 12. April 2024, 3 Kommentare, PDFMultipolar: Der damalige schwedische Verteidigungsminister Peter Hultqvist erklärte im Herbst 2021, er könne „garantieren“, dass er sich niemals an einem NATO-Beitrittsverfahren beteiligen werde. Wenig später änderte er seine Meinung. Wer oder was stimmte ihn um?
Drake: Peter Hultqvist hat sich lächerlich gemacht. Er war zwar schon lange Zeit für die NATO, aber gegen eine Mitgliedschaft. In einer Rede 2017 an der Johns-Hopkins-Universität in den USA erklärte er seine Loyalität zu den USA, indem er die Konflikte in der Welt äußerst einseitig beschrieb und Kritik an den schweren Verbrechen der USA gegen das Völkerrecht vermied. Das war weit jenseits diplomatischer Höflichkeit.
Multipolar: Peter Hultqvist gehört der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Schwedens an, die lange gegen einen NATO-Beitritt war. Wie kam es zum Meinungsumschwung?
Drake: Das stimmt, eine Mehrheit der Mitglieder und der Wähler war gegen den Beitritt. Ein wichtiger Grund für den raschen Politikwechsel war dann, dass der Vorsitzende der größten Oppositionspartei den NATO-Beitritt zu einem Thema bei den anstehenden Wahlen machen wollte. Ein weiterer Grund war, dass die Schwedendemokraten, die eine Art AfD, aber offensichtlich nicht so klug wie die AfD in Bezug auf den Ukraine-Krieg sind, ihre Meinung änderten. Auch sie waren erst gegen den Beitritt. So wurde eine Mehrheit für den Beitritt geschaffen. Meiner Meinung nach ist es offensichtlich, dass die Aktionen Teil des politischen Machtspiels waren. Das offizielle Argument war der Krieg in der Ukraine und die unbegründete Vorstellung, dass Russland weiter nach Westen vordringen und Schweden und andere Länder bedrohen würde.
Multipolar: Wie liefen denn die politischen Debatten über diese Vorgänge in Schweden ab?
Drake: Welche Debatten? Die Mainstream-Medien hatten kaum eine andere Meinung als die, dass sie den NATO-Beitritt befürworten. In den fast 60 Jahren, in denen ich mich für die Geschehnisse in der Welt interessiere, habe ich noch nie so einseitige Medien erlebt wie in den letzten paar Jahren. Schweden hat sich über 200 Jahre lang neutral verhalten, und dieser Politikwechsel ist wirklich grundlegend. Das Thema ist derart wichtig, dass es eine ernsthafte Debatte und ein Referendum zu diesem Thema hätte geben müssen.
Multipolar: War Schweden nicht bereits vor dem Beitritt so etwas wie ein inoffizielles Mitglied der NATO?
Drake: Ja, die Beziehungen zwischen Schweden und der NATO waren sehr eng und hatten sich über Jahrzehnte entwickelt. Selbst während des Vietnamkriegs, als Ministerpräsident Olof Palme für seine Kritik an der US-Politik bekannt war, unterhielt die militärische Führung enge Beziehungen zu den US-Militärs – was von Palme auch akzeptiert wurde. Schweden hat einen NATO-Standard in der Kommunikation und in technischen Fragen übernommen. Wir haben mit der NATO in Afghanistan und Libyen zusammengearbeitet. Der frühere Ministerpräsident und Außenminister Carl Bildt reiste vor dem Irak-Krieg 2003 zwischen den osteuropäischen Ländern hin und her, um diese Länder davon zu überzeugen, den von den USA geführten Krieg zu unterstützen.
Multipolar: Planten die USA nicht auch bereits im Kalten Krieg die Nutzung schwedischer Militärinfrastruktur durch die NATO?
Drake: Ja, aber darüber weiß ich nicht sehr viel.
Multipolar: Im Rückblick auf das NATO-Manöver „Trident Juncture“ 2018 sagte der schwedische Generalmajor Bengt Andersson, dass Schweden auf mehreren Ebenen an vielen NATO-Manövern teilgenommen hätte. Wirklich neutral war Schweden demnach nicht.
Drake: Ja, es ist richtig, dass Schweden in Wirklichkeit weder neutral noch bündnisfrei war. Und das geht, wie Bengt Andersson sagte, schon seit einer ganzen Weile so. Das aktuelle NATO-Manöver, „Steadfast Defender“, ist noch größer und möglicherweise noch aggressiver gegenüber Russland als die vorherigen. Es wurde auch mit der Idee in Verbindung gebracht, dass NATO-Länder Truppen in der Ukraine stationieren. Eine äußerst gefährliche Idee!
Multipolar: Die schwedische Regierung verteilte 2018 an sämtliche Haushalte eine 20-seitige Infobroschüre, die von einer Behörde, die zum Verteidigungsministerium gehört, erstellt wurde. Darin stand, wie man sich im Falle von Krisen und Krieg zu verhalten habe. Haben Sie diese Broschüre auch bekommen? Wenn ja, was ging Ihnen damals durch den Kopf?
Drake: Ja, auch ich erhielt die Broschüre. Ich hatte zuvor davon gehört, war also vorbereitet gewesen. Aus meiner Sicht war das keine große Sache. Ich wurde in den 1990er Jahren für den schwedischen Zivilschutz ausgebildet. Der wichtigste Punkt ist hier das Timing: Es wurde ein frühes Signal an die Bevölkerung gegeben, dass sie sich auf einen Krieg vorbereiten und vor allem höhere Militärausgaben in Kauf nehmen sollte. Ein weiterer Punkt ist, dass dadurch die Verantwortung auf alle Bürger und nicht nur auf den Staat und die Gemeinden übertragen wird. Inhaltlich gibt es durchaus gute Vorschläge, zum Beispiel, immer etwas frisches Wasser und zusätzliche Lebensmittel zu Hause zu haben. Das ist natürlich bei jeder Art von Unruhen in der Gesellschaft nützlich.
Multipolar: Zurück zum NATO-Beitritt: Was ändert sich durch den offiziellen Beitritt jetzt ganz konkret? Was bedeutet vor allem das „Defence Cooperation Agreement“, kurz DCA, genannte Verteidigungsabkommen zwischen Schweden und den USA?
Drake: Das schwedische Militär kann seine Zusammenarbeit mit dem Militär anderer Länder nun offener gestalten. Wir werden täglich Militärpersonal und Schiffe, Flugzeuge und Lastwagen sehen. Die schwedische Rüstungsindustrie kann mehr Waffen und Munition verkaufen. Das DCA ist viel schlimmer als eine „passive“ NATO-Mitgliedschaft. Die USA erhalten Zugang zu 17 Militärgebieten und haben das Recht, Soldaten und Waffen ohne Einschränkungen einzubringen. Sie erhalten auch das Recht, sich frei in unserem Land zu bewegen. Ihre Einheiten können von den schwedischen Behörden nicht angehalten oder kontrolliert werden. Sobald die USA in Schweden und Finnland, das ein ähnliches Abkommen geschlossen hat, über Waffen verfügen, vor allem über Offensivwaffen, wird Russland auf die eine oder andere Weise reagieren, und das könnte zu einer unschönen Eskalation führen. Die offizielle Begründung lautet, dass dies zur Sicherheit Schwedens beiträgt, was aber falsch ist, da Schweden nicht um seiner selbst willen von einem anderen Land bedroht wird. Die mögliche Bedrohung entsteht, wenn wir Teil eines Bündnisses werden, das mit einem anderen Staat verfeindet ist – oder das Angriffswaffen auf seinem Territorium hat.
Multipolar: Welche Absicht verfolgen die USA Ihrer Ansicht nach?
Drake: Das Interesse der USA besteht darin, ihre militärischen Kapazitäten in Nordeuropa für eine mögliche militärische Konfrontation mit Russland zu stärken. Was das südliche Baltikum betrifft, verfügen Deutschland und Polen über einige Kapazitäten, aber für das nördliche Baltikum wollen die USA Stützpunkte in Schweden und Finnland. Es besteht im Übrigen auch ein Interesse daran, die US-Kapazitäten in der Arktis auszubauen.
Multipolar: Wie wurde und wie wird in Schweden nun über den vollzogenen NATO-Beitritt berichtet? Wurde im Vorfeld auf Gefahren eines Beitritts aufmerksam gemacht? Als wie frei in der Berichterstattung schätzen Sie schwedische Journalisten überhaupt ein?
Drake: In den meisten unserer Medien war die Meinung sehr positiv für den Beitritt. In einigen sogar euphorisch mit Aussagen wie: „Jetzt sind wir nach Hause gekommen“. In einigen wenigen Publikationen gab es auch kritische Stimmen. Nur die Linken und die Grünen waren gegen den Beitritt. Die Bevölkerung in Schweden wird seit langem mit Pro-NATO-Propaganda gefüttert. Nachdem es ja vor dem Beitritt kaum eine ernsthafte Debatte gab, so haben die meisten Bürger nicht viel von möglichen Gefahren gehört. Die Journalisten waren meiner Meinung nach freier als bei der Berichterstattung und den Kommentaren über den Krieg in der Ukraine. Das allerdings war auch das Schlimmste gewesen war, was ich jemals erlebt habe.
Multipolar: Wie wird in schwedischen Medien der jüngste Vorstoß aus Frankreich kommentiert? Präsident Macron sprach ja die Möglichkeit einer Entsendung von Truppen in die Ukraine an.
Drake: Die Meinung der Medien und der führenden Politiker hierzu ist in Schweden insgesamt negativ. Im Moment ist das bei uns aber gar kein Thema.
Multipolar: Welches Bild hat die schwedische Bevölkerung von den USA? Kritiker werfen den USA vor, sie würden brutal imperialistisch vorgehen. Sind solche Ansichten in Schweden verbreitet?
Drake: Das Bild der USA als Gesellschaft ist in Schweden insgesamt positiv. Allerdings steht ein Teil der Schweden der US-Außenpolitik kritisch gegenüber. Was das „imperialistische Verhalten“ der USA anbelangt, so ist diese Ansicht bei einer gut informierten Minderheit fest verankert. Wenn es um den Krieg in der Ukraine geht, hören Kritiker der US-Kriege oft, dass es „Whataboutism“ sei, die Aktivitäten der USA zu erwähnen, obwohl dieses Land mehr Länder angegriffen und mehr Menschen getötet hat als jedes andere Land nach 1945, und obwohl dieses Land tief in den Krieg in der Ukraine verwickelt und überhaupt der Grund dafür ist, dass es dort einen Krieg gibt.
Multipolar: Ist der Ukraine-Krieg in den schwedischen Medien in einen historischen und geopolitischen Kontext eingebettet?
Drake: Die Medienberichterstattung zu diesen Aspekten ist auch in Schweden unzureichend oder extrem einseitig. Auch für unsere Medien begann der Krieg am 24. Februar 2022 wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die einzige alternative Sichtweise ist, dass es sich um eine Fortsetzung der Annexion der Krim handelt. Wenn man über den Putsch in Kiew 2014 spricht, wird man als „Putinist“ beschuldigt. Wer die NATO-Erweiterung als Bedrohung für die russische Sicherheit sieht, ist ebenfalls ein „Putinist“. Dasselbe gilt, wenn man die Einheiten von Neonazis und rechtsextremen Soldaten erwähnt. Ich denke, das Niveau der schwedischen Debatte ähnelt in etwa dem Niveau in Deutschland.
Multipolar: Gibt es Skepsis gegenüber Medien und Politik in Schweden?
Drake: Ja, auch bei uns wächst die Skepsis, aber sie wächst nicht so schnell wie zum Beispiel in den USA. Aber das ist auch nicht weiter verwunderlich. Es ist häufig so, dass wir eher der Schwanz als die Nase des Hundes sind.
Multipolar: Welches Bild hat man von Russlands wiedergewähltem Präsidenten Putin? Im finnischem Hufvudstadsblatet erschien vor kurzem ein Leitartikel mit folgender Frage: „Tut Europa alles in seiner Macht Stehende, um Kiew zu stützen und die Fähigkeit der freien Welt zu stärken, sich gegen ein bösartiges Russland zu behaupten?“ Sieht die Mehrheit der Bevölkerung in Schweden Russland ebenfalls als prinzipiell „bösartig“ an?
Drake: Ähnliche Aussagen sind auch in Schweden unter Politikern und in den Medien üblich. Die Mehrheit der Schweden hat die prowestliche und antirussische Propaganda unzerkaut geschluckt. Und sie haben keinen Zugang zu einer alternativen Sichtweise. Infolgedessen haben die Schweden ein negatives Bild von Russland, und der russische Präsident wird allgemein als böse angesehen. Der schwedische Premierminister und der Oppositionsführer sind der Meinung, dass „wir“ Russland nicht gewinnen lassen dürfen, das heißt, sie erkennen nicht, dass die Ukraine bereits verloren hat.
Multipolar: Gibt es Alternativen zum Mainstream in Schweden?
Drake: Alternative Medien gibt es auch bei uns. Wir haben zum Beispiel ein paar kleine Zeitungen und internetbasierte Nachrichten sowie mehrere Blogs sowohl auf der linken als auch mehr auf der rechten Seite. In Bezug auf den NATO-Beitritt und das Abkommen über die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich sind sich die linken und rechten alternativen Medien tendenziell einig. Die Zahl der alternativen Medien nimmt meines Erachtens nur langsam zu. Ihr Einfluss breitet sich im Gegensatz hierzu aber etwas schneller aus.
Multipolar: Während der Corona-Krise hatte es die schwedische Regierung geschafft, einen eigenen Kurs zu fahren, trotz politischen Drucks aus dem Westen. Warum gelang das nicht in Bezug auf die NATO?
Drake: Die Pandemiepolitik wurde von Anders Tegnell von der schwedischen Gesundheitsbehörde auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelt. Anders Tegnell ist Mediziner. Er wurde von vielen heftig kritisiert, aber die schwedische Politik erwies sich schließlich als erfolgreich. Die Sicherheitspolitik hingegen wurde von Politikern auf der Grundlage von Analysen von Behörden im Verteidigungssektor, der von Pro-NATO-„Experten” dominiert wird, sowie von Waffenherstellern entwickelt.
Multipolar: Lassen Sie uns über die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines sprechen. Welchen Blick hat man in Schweden hierauf?
Drake: Der schwedische Standpunkt ist, sich so wenig wie möglich dazu zu äußern. Die Experten und führenden Politiker wissen höchstwahrscheinlich, dass es die USA waren. Ja, drei von vier Röhren wurden gesprengt, aber Deutschland hat beschlossen, die verbleibende vierte Röhre nicht zu benutzen. Außerdem gibt es noch ein paar weitere Rohre, die durch Polen, die Ukraine und die Türkei führen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Sanktionen der Hauptgrund für den massiven Schaden für die deutsche Wirtschaft sind. Am 6. März 2022 habe ich einen kurzen Artikel geschrieben und am 18. März einen weiteren, in dem ich argumentiere, dass die Sanktionspolitik ihre Ziele nicht erreichen werde. Viele Einzelpersonen und Unternehmen in mehreren Ländern werden darunter leiden, aber Russland könne Energie an andere Länder wie China verkaufen. Die Sanktionen werden Russland nicht von seinen militärischen Aktivitäten in der Ukraine abhalten. Der Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise könnte dazu führen, dass in den ärmsten Ländern mehr Menschen verhungern.
Multipolar: Könnte das Schweigen zur Schädigung Deutschlands durch die Sprengung der Pipelines von unterschwelligen Ressentiments gegenüber Deutschland zeugen?
Drake: Nein, das denke ich nicht. Dahinter steckt eher das Interesse, Washington gefallen zu wollen. Ich jedenfalls wüsste nichts von ernsthaften Konflikten oder negativen Gefühlen zwischen Schweden und Deutschland. Weder auf der Ebene von Spitzenpolitikern, Wirtschaft und Militär noch auf der Ebene der Bevölkerung im Allgemeinen.
Multipolar: Laut Seymour Hersh soll Ihr Nachbarland Norwegen an den Sprengungen beteiligt gewesen sein.
Drake: Ja, es gibt einige Hinweise darauf. Wobei dies möglicherweise nicht auf höchster politischer Ebene beschlossen wurde. Ein Aspekt, der zu bedenken ist, steckt in der Frage: Wer profitiert? Möglicherweise diejenigen, die eine alternative Versorgung anzubieten haben: Neben den USA ist das Norwegen.
Multipolar: Gibt es einflussreiche Akteure in Schweden, die sich für eine Untersuchung der Sprengung einsetzen?
Drake: Es gab Forderungen nach unabhängigen Ermittlungen sowie nach einer Veröffentlichung der Ergebnisse der schwedischen Ermittlungen. Allerdings sind die nicht von der Kategorie „einflussreiche Akteure”.
Multipolar: Ich würde Sie an dieser Stelle gerne fragen, was eigentlich Ihr Beweggrund gewesen war, in die Friedens- und Anti-NATO-Arbeit einzusteigen. Gab es dazu ein konkretes Ereignis in Ihrem Leben?
Drake: Während der Indochina-Kriege in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern war ich schon an Antikriegsaktivitäten beteiligt. Ich war dann aktiv gegen die Bombardierung des Gazastreifens durch Israel in den Jahren 2008 und 2009 sowie ein Kritiker des israelischen Apartheidsystems. 2007 kam es bei mir zu einer stärkeren Konzentration auf die Beziehungen Schwedens zur NATO, als unsere Lokalzeitung einen sehr kritischen Leitartikel mit einigen der üblichen Verleumdungen gegen Noam Chomsky schrieb. Noam Chomsky hatte gerade die Ehrendoktorwürde der Universität Uppsala erhalten. Ich übersetzte den Artikel und schickte ihn mit der Bitte um eine Antwort an ihn. Dann übersetzte ich für ihn im Zuge der Veröffentlichung. Ich lernte in diesem Zusammenhang einige Schweden kennen, die Schwedens langsame Annäherung an die NATO kritisierten, darunter auch pensionierte Armeeoffiziere.
Multipolar: Darf man in Schweden heiße Eisen anrühren und dazu Positionen abseits des Mainstream öffentlich äußern? Zeigen Medien und Politiker Toleranz gegenüber Andersdenkenden?
Drake: Die Bedingungen für Menschen, die ihren eigenen Verstand benutzen, Informationen abseits der Mainstream-Medien suchen und ihre Meinung öffentlich kundtun, sind in Schweden ähnlich wie in Deutschland. Die von der Wirtschaft finanzierte Organisation “Frivärld” war einer der Hauptakteure bei der Verleumdung in unserem Land. Die Verleumdungskampagnen wurden genutzt, um der Organisation „Frauen für den Frieden“ die staatliche Finanzierung zu entziehen.
Multipolar: Wie ist aktuell die Stimmung in der schwedischen Bevölkerung: Wächst der Wunsch nach Friedensverhandlungen? Wie reagiert man auf die jüngsten diesbezüglichen Äußerungen des Papstes?
Drake: Ja, die Einsicht, dass Friedensverhandlungen notwendig sind, wächst. In unserer Presse wurde die Erklärung des Papstes erwähnt und auch Selenskys Antwort, dass die Farbe der ukrainischen Flagge blau und gelb ist, nicht weiß. Es mag in der Presse einige ernsthafte Diskussionen über die Initiative des Papstes gegeben haben. Ich selbst habe davon allerdings nichts mitbekommen.
Multipolar: Gibt es in Schweden Friedensforschung mit konkreten Ideen, wie man die am Konflikt Beteiligten an einen Tisch bringen könnte?
Drake: Die Transnationale Stiftung für den Frieden hat einige interessante Anstrengungen unternommen, aber sie gehört nicht zu den Organisationen, die vom Establishment unterstützt werden. Die staatlichen Organisationen, die diese Art von Arbeit leisten sollten, sind eher mit Propaganda zur Verteidigung der westlichen Ansichten beschäftigt. Einige der Akademiker, die in der Friedensforschung tätig sind, sind auf einem ähnlichen Weg.
Multipolar: Manche haben das Gefühl, dass der Countdown für den dritten Weltkrieg begonnen hätte. Teilen Sie diesen Eindruck?
Drake: Bis zu einem gewissen Grad, ja. Das Risiko eines dritten Weltkriegs hat sich in den letzten zwei Jahren und insbesondere in den letzten Monaten erhöht. Der unbegründete Optimismus, dass die Ukraine gewinnen wird, schwindet, und der Westen ist verzweifelt und in Panik versetzt. Die Gefahr einer Eskalation steht unmittelbar bevor. Auch der Konflikt im Nahen Osten könnte eskalieren und zu einem größeren Krieg führen. Das ist sehr gefährlich. Man kann nur hoffen, dass die Machthaber in jenen Ländern, die in dieses „Spiel“ involviert sind, nicht selbstmörderisch sind.
Über den Interviewpartner: Lars Drake, Jahrgang 1949, war außerordentlicher Professor an der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften. Er war Vorstandsmitglied in verschiedenen Friedens- und Umweltorganisationen, so im Netzwerk „People and Peace“. 2021 stand er der schwedischen Initiative „No to NATO“ vor, bei der er nach wie vor aktiv ist.
Über die Interviewerin: Jana Kerac ist ein Pseudonym. Die Autorin ist seit 30 Jahren publizistisch tätig. Sie lebt und arbeitet zum Teil in Deutschland und zum Teil in Finnland.
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