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Klare Fronten

Doch kein grünes Licht für Pressesubventionen: Die Ampel setzt nach dem Schuldenbremse-Urteil des Bundesverfassungsgerichts beim Haushalt 2024 andere Prioritäten, wie am Freitag bekannt wurde. Dass die Zustellung von Zeitungen im ländlichen Raum bald mit Steuergeldern unterstützt wird, steht trotzdem außer Zweifel. Alles andere würde gegen den Koalitionsvertrag verstoßen. Wenn das Subventions-Tabu gefallen ist, dürfte es dem Journalismus der Leitmedien noch schwerer fallen, von Unabhängigkeit zu sprechen und sich als vierte Gewalt zu inszenieren.

MICHAEL MEYEN, 17. November 2023, 0 Kommentare, PDF

Schuld ist eigentlich dieses Virus. Oder die große Koalition. Spätestens seit dem Sommer 2020 wissen die Verleger und ihre Lobbyisten, dass der Staat seine Schatullen öffnen wird, wenn sie nur laut genug um Hilfe rufen. 220 Millionen Euro für „digitale Transformation“: Ohne große Debatte stand dieser Posten plötzlich in einem Nachtragshaushalt des Bundes. Die Summe entsprach ziemlich genau den Verlusten, die die Tageszeitungen im ersten Corona-Jahr einfuhren: 380 Millionen Euro Minus bei den Anzeigen versus 110 Millionen Euro Plus beim Vertrieb. Krisenzeiten sind Medienzeiten. Wenn mein Alltag davon abhängt, was die Regierung heute beschließt und morgen wieder ändern könnte, dann muss ich die Nachrichten verfolgen. Der Werbemarkt bricht trotzdem ein, wenn so eine Regierung das öffentliche Leben herunterfährt.

Das Trostpflaster aus dem Steuertopf sollte größtenteils noch 2021 ausgezahlt werden, gekoppelt an die Auflage. Je größer die Zeitung, desto mehr Geld. Dieser Plan ist zwar im April 2021 „wegen verfassungsrechtlicher Bedenken“ gestorben, das wichtigste Gegenargument war aber nicht Staatsferne, sondern Wettbewerbsverzerrung. Die Online-Plattform Krautreporter hatte mit einer Klage gedroht, wenn nur Printverlage gefördert werden, und sich auch nicht damit abfinden wollen, die 220 Millionen Euro zu „Corona-Soforthilfen“ umzuwidmen. Die Verlegerverbände reagierten „geschockt“, sprachen von einer „mittleren Katastrophe“ (1) – und schafften es so ein halbes Jahr später in den Ampel-Koalitionsvertrag. SPD, Grüne und FDP sagten dort Ende 2021 zu, die „flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen“ zu unterstützen. Die Zauberformel im gelb-rot-grünen Papier: Wir „prüfen, welche Fördermöglichkeiten dazu geeignet sind“ (S. 99).

Ich könnte jetzt schreiben: Seitdem beschäftigt das Thema die Branche. Ich könnte von den Gutachten berichten, die erst die Bundestagsfraktion der Grünen und wenig später dann von dieser Partei geführte Häuser (Bundeswirtschaftsministerium, Staatsministerium für Kultur und Medien) bezahlt haben, ohne dass sich die Chefs dazu durchringen konnten, das umzusetzen, was dort befürwortet wurde. Ich könnte auch über die Drohkulisse berichten, die die Verlage über Modellprojekte aufgebaut haben, indem sie in ostdeutschen Landkreisen (Greiz, Prignitz) einfach die Printausgaben eingestellt und die Abonnenten so ins Digitale gezwungen haben, oder über die Anläufe für eine Zustellförderung, die es schon kurz vor Corona gab.

Das alles würde aber zu kurz greifen. Wie viel Staat darf es sein im Journalismus: Diese Frage beschäftigt Westdeutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Zu den Antworten gehören öffentlich-rechtliche Konstruktionen (Rundfunkanstalten, Landesmedienanstalten), die das Zusammenspiel von Politik und Leitmedien genauso verschleiern wie eine Berufsideologie, die dem Journalismus Objektivität, Neutralität sowie Unabhängigkeit attestiert und ihn manchmal sogar in den Rang einer vierten Gewalt erhebt. Unter diesem Deckmantel fließt schon lange Steuergeld – in die Ausbildung, in Kinoproduktionen, in Anzeigen. Dazu kommen indirekte Zuwendungen über den Mehrwertsteuersatz (sieben Prozent), günstige Posttarife und Behördenabos.

Dass das nun ganz offen und mit direkten Subventionen weitergehen sollte, kündet vom Ende einer großen Erzählung. Migration, Corona, Ukraine, Nahost: Wenn der Journalismus weiter behauptet, er sei autonom und so etwas wie ein Kritiker oder Kontrolleur politischer Macht, gibt er sich der Lächerlichkeit preis. Folglich können sich Staat und Medienkonzerne nun auch in aller Öffentlichkeit als Paar zeigen – ganz so, wie es Sheldon Wolin in seinem Buch über den „umgekehrten Totalitarismus“ beschreibt (2).

Definitionsmachtverhältnisse

Vorweg: Jede Regierung möchte kontrollieren, was über sie in der Öffentlichkeit gesagt wird. Dieses Axiom gilt selbstverständlich auch in repräsentativen Demokratien, wo die Bevölkerung alle vier oder fünf Jahre gebeten wird, sich zwischen Kandidaten zu entscheiden, die von Parteien und anderen Interessengruppen nominiert worden sind. Zum einen muss die Bevölkerung immer wieder davon überzeugt werden, dass dieses Ausleseverfahren in ihrem Interesse ist, und zum anderen braucht jede Entscheidung ein Minimum an öffentlicher Zustimmung. Wie das Meinungsklima manipuliert und kontrolliert werden kann, hängt unter anderem von dem Spielraum ab, den die Verfassung setzt, von Wirtschaftskraft, Geografie und Demografie sowie nicht zuletzt von den jeweiligen Erfahrungen mit Medienfreiheit (3).

Um dies nur mit einer Faustregel zu illustrieren: Wo weniger Menschen leben (wie in Österreich oder in den skandinavischen Ländern), wo die Verbreitungswege weit und die Ethnien zahlreich sind (wie in Russland) und wo es kaum Unternehmen gibt, die sich TV-Spots leisten wollen oder können (wie in vielen afrikanischen Ländern), wird der Staat eher dazu neigen, die wichtigsten Kommunikationskanäle selbst zu betreiben oder Medienhäuser zu subventionieren. Begründet werden die Zuwendungen in aller Regel mit Vielfalt und Qualität (4). Schweden fördert zum Beispiel seit den 1960er Jahren die Nummer zwei in jedem Markt. In Norwegen bekommen sogar Monopolzeitungen Steuergeld, wenn ihre Auflage unter 6000 Exemplaren liegt (5). Dass die Kriterien genau wie die Vergabeverfahren in allen Ländern mit Mediensubventionen permanent diskutiert werden, liegt auf der Hand. Wer am Geldhahn drehen kann, sichert sich die Loyalität des Journalismus und damit Macht.

Das gilt auch deshalb, weil „Herrschaftsverhältnisse“ längst „Definitionsverhältnisse“ sind (6). Natürlich braucht es Ressourcen, Logistik, Know-how, um eine Ostsee-Pipeline zu sprengen. Wahre Macht liegt heute aber da, wo darüber entschieden wird, ob und wie wir über eine solche Sprengung öffentlich sprechen. Regierungen und nationale Apparate haben deshalb, sagt Ulrich Beck, ein Interesse an Relativierung und „Unsichtbarkeit“ – auch und gerade mit Blick auf ihre Definitionsmacht. Genau wie bei den globalen Risiken Atom, Umwelt, Terror, Finanzmarkt oder digitale Freiheit steht hier nicht nur die „Selbstbestimmung der Bürger“ auf dem Spiel, sondern auch die „Autorität“ des Nationalstaats (7). Vielleicht ahnt die Bevölkerung, dass sie die „unsichtbaren Gremien“ bezahlt, die „sämtliche Daten filtern, uns nur noch die wesentlichen Themen präsentieren und damit die Wahlmöglichkeiten auf ein verdauliches Maß reduzieren“ (8). Das ist aber leichter zu ertragen, wenn man die Illusion hat, dass wenigstens der Journalismus frei und unabhängig ist.

Aus der Geschichte lernen

In Deutschland ließen die Besatzer 1945 keinen Zweifel: Wir wollen die Bevölkerung umerziehen und brauchen dafür die Leitmedien. Man produzierte selbst Zeitungen (die Briten zum Beispiel Die Welt und die Sowjets die Tägliche Rundschau), vergab Lizenzen an Personen oder Organisationen, die den eigenen Zielen gewogen waren, und installierte Rundfunksysteme, die mehr oder weniger das kopierten, was sich daheim bewährt hatte. Das öffentlich-rechtliche Modell galt nicht wenigen westdeutschen Politikern in der Nachkriegszeit als „Besatzungsdiktat“ (9), und das Wort „Lizenzpresse“ wurde noch in den 1960er Jahren mit einem verächtlichen Unterton ausgesprochen (10).

Das heißt auch: Auch den Westdeutschen war mehr oder weniger klar, wo die Definitionsmacht lag. Es gab zwar keinen Staatsfunk mehr wie im Dritten Reich, und viele der Altverleger (ein Wort von damals) kamen auch dann nicht mehr auf einen grünen Zweig, als die Lizenzpflicht 1949 fiel, weil der Vorsprung der neuen Konkurrenz zu groß war, an der Nähe des Journalismus zur Macht aber hatte sich nichts geändert. Dass der Rundfunk plötzlich allen gehören sollte und nicht einfach nur ein Sprachrohr der Regierungen war, haben die Nachkriegspolitiker genauso wenig akzeptiert wie ihre Nachnachfolger heute. Konrad Adenauer musste seinen Traum vom Staatsfernsehen erst 1961 vor dem Bundesverfassungsgericht begraben (11).

Dieses berühmte Urteil hat auch mit der Kraft der Erzählung zu tun, die die westlichen Besatzer mitbrachten, um ihren Einfluss auf die Medienrealität zu kaschieren. Objektiv, ausgewogen und neutral sollte der neue Journalismus sein – eine Nebelwand, die fortan in der politischen Bildung beschworen und über Sonntagsreden aus interessierten Kreisen im kollektiven Bewusstsein verankert wurde. Die staatlich finanzierte Wissenschaft befreite die Redaktionen mit der Nachrichtenwerttheorie von jedem Verdacht, nach subjektiven Maßstäben auszuwählen und dabei oft genug auch Wünschen und Vorgaben von oben zu folgen (12), und der Verlegerverband schaffte es über Martin Löffler, seinen Hausanwalt, das Konzept der „vierten Gewalt“ so umzudeuten, dass die großen Zeitungen plötzlich wie ein Gegenspieler der Macht aussahen, obwohl sie Fleisch von ihrem Fleische waren und sind. Löffler behauptete einfach, die Presse sei frei und lasse die sprechen, auf die es letztlich ankomme – die Eliten (13).

Die Erfinder dieses Konzepts im England des 19. Jahrhunderts hatten das ganz anders gedacht. In Kurzform: vierter Stand. Wir alle. Die Leitmedien sind da nur ein Mitspieler unter vielen und auch nur dann relevant, wenn sie tatsächlich allen ein Forum bieten. Vierte Gewalt heißt dann: Meinungsbildung jenseits von Parlamenten, Apparaten, Gerichten. Meinungsbildung auf der Straße, an Stammtischen und über die Kanäle, die nicht der „Koalition zwischen den Unternehmen und dem Staat“ (Sheldon Wolin) gehören (14).

Staat und Öffentlichkeit

Subventionen sind Gift für die Erzählung von der „vierten Gewalt“ und für eine Berufsideologie, die dem Journalismus attestiert, über den Parteien zu stehen und Objektivität auch dann noch wenigstens anzustreben, wenn die Erkenntnistheorie längst sicher ist, dass in jeder Aussage über die Wirklichkeit ein Mensch steckt und damit der Teufel Subjektivität. Wer zahlt, schafft an: Der Volksmund weiß, was Geldspritzen anrichten. In der DDR war deshalb jedem klar, was er in den Leitmedien findet. Radio und Fernsehen gehörten dem Staat und die Zeitungen entweder der SED oder Organisationen, die von der führenden Partei gelenkt werden konnten. Die Nachrichten sagten folglich, wie die Wirklichkeit an der Spitze des Landes gesehen wurde (15). Da sich das ändern konnte und auch von der weltpolitischen Großwetterlage abhing oder von Grabenkämpfen in der Führung, haben gar nicht so wenige die Nachrichten geschaut und fast alle ein Parteiblatt im Haus gehabt. Um zu überleben und nicht Gefahr zu laufen, isoliert zu werden, muss man die Definitionsverhältnisse kennen (16). Der Journalismus wurde dafür beim Wort genommen. Kollektiver Propagandist, kollektiver Agitator, kollektiver Organisator: Lenins Formel für die Presse war bis zum Ende Teil der politischen Folklore.

Die alte Bundesrepublik hat es den Menschen nicht ganz so leicht gemacht. Sie erzählte lange, dass der Rundfunk allen gehört, und hat das Prinzip „öffentlich-rechtlich“ dann auch auf die Landesmedienanstalten übertragen, die seit Mitte der 1980er Jahre über die kommerziellen Anstalten wachen. Draußen auf der Straße kann kaum jemand beschreiben, was das genau bedeutet – öffentlich-rechtlich. Selbstverwaltung und Staatsferne, antworten Experten, obwohl sie eigentlich wissen müssten, dass das so nicht stimmt. Die Politik sagt, wie hoch der Rundfunkbeitrag ist. Über Rundfunk- und Fernsehräte bestimmt die Politik auch das Spitzenpersonal und kontrolliert so die, die eigentlich ihr Gegenspieler sein sollten, wenn man die Erzählung von der „vierten Gewalt“ denn glauben möchte. Bei den Landesmedienanstalten ist das noch klarer, weil die Aufsicht hier direkt bei den Regierungen liegt und die Leitung gar nicht so selten bei Ex-Politikern.

Der deutsche Staat leistet sich außerdem einen eigenen Sender. Kostenpunkt: über 400 Millionen Euro im Jahr. Caitlin Johnstone sagt, es sei die „inoffizielle Aufgabe“ von Programmen wie der Deutschen Welle, „den Menschen den Eindruck zu vermitteln, dass sie die einzigen Institutionen sind“, die Staatspropaganda verbreiten. Johnstone sagt auch: „Wenn Unternehmen Teil der Regierung sind, sind Unternehmensmedien Staatsmedien“ (17).

Beim Kino läuft das alles ganz offen. In Deutschland kommt so gut wie kein Film ohne Steuergelder auf die Leinwand. Kostenpunkt im Moment: eine halbe Milliarde Euro im Jahr (18). Was wir hier und dann später in der politischen Bildung, im TV oder auf DVD sehen dürfen, wird von politisch dominierten Gremien entschieden.

In der Ausbildung sind die Summen nicht ganz so groß, aber auch hier sorgt der Staat via Geldfluss für Konformität. In München habe ich erlebt, wie das geht, ohne am Lack Staatsferne zu kratzen. Die Deutsche Journalistenschule, ein Verein in der Hand von Medienunternehmen, bekommt den Zuschuss nicht direkt, sondern über den Umweg Universität, deklariert als Beitrag für die Kooperation in einem Masterstudiengang. Als ich in den frühen 2010er Jahren dafür zuständig war, wurde so gut ein Viertel des Schuletats von knapp einer Million Euro gefüllt.

Das neue Journalismus-Narrativ

Dass jetzt auch direkt gezahlt werden darf, hat viele Ursachen. An erster Stelle steht sicher der Sturm, der die Nebelwand der Erzählungen von einem objektiven, neutralen, unabhängigen Journalismus und von der „vierten Gewalt“ zerlöchert hat. Immer mehr Menschen sehen, dass Wirklichkeit und Medienrealität nicht zusammenpassen. In der Schweiz lag die „Nachrichten-Abstinenz“ im Herbst 2022 bei 38 Prozent. Übersetzt: Jeder dritte Erwachsene meidet die Leitmedien, wo immer es geht. Das dürfte in Deutschland nicht viel anders sein. Dazu kommt eine Ideologie, die auf Spaltung setzt und deshalb fordert, im öffentlichen Raum Haltung zu zeigen. „Die größte Bedrohung für unsere Demokratie ist der Rechtsextremismus“, hat Olaf Scholz in seiner ersten Regierungserklärung im Dezember 2021 gesagt und damit auch den Journalismus von dem Auftrag befreit, alle Positionen so wiederzugeben, dass sich die Bürger selbst ihren Reim darauf machen können. Wer denen da oben widerspricht, ist einfach „rechts“. Migration, Klima, Corona, Krieg und Frieden. Wenn die Redaktionen wissen, was „gut“ und „richtig“ ist, und wenn ihnen außerdem klar wird, dass sie einen beträchtlichen Teil des Publikums ohnehin bereits verloren haben, können sie den Schulterschluss mit den Regierungen auch ganz offen zelebrieren.

Die neue Erzählung dreht sich um den Feind, den der Bundeskanzler ausgemacht hat, und produziert Ideen, die noch vor kurzem allenfalls für Kabarett-Bühnen getaugt hätten. Nur ein Beispiel: Gutscheine für jeden Haushalt, genannt „Demokratiepass“. Der Kulturpass von Claudia Roth lässt grüßen. Beworben wird das mit Sätzen, die von Olaf Scholz und seinen Bauchrednern sein könnten. „Unser gesamtes Mediensystem ist bedroht“ und nicht nur die Presse. Wir brauchen „mehr Dialog und Debatte“. Lasst uns also in „demokratiefördernde Medien“ investieren. Dann kann sich auch der Arbeitslose endlich das Morning-Briefing vom Handelsblatt leisten oder sogar die FAZ. „Meinungsbildung und Information“ für alle. Demokratie pur, da die Nutzer selbst entscheiden, welche Angebote profitieren und welche nicht.

Soweit die Werbung. Der Haken kommt wie immer ziemlich weit hinten: „Wir brauchen eine Art Gütesiegel für demokratiefördernde Angebote“, schreibt Björn Staschen, der sich das Ganze ausgedacht hat. „Eine Demokratieampel, die ich mir analog zur Lebensmittelampel auf Verpackungen oder dem Tierwohllabel vorstelle: rot für monolithische Angebote wie Instagram oder demokratiefeindliche Plattformen, gelb für Angebote, die viele Standards erfüllen, aber (noch) nicht alle, grün für vorbildliche Plattformen wie Angebote im Fediverse, die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender oder den Bezahlnewsletter meiner Regionalzeitung.“ Staatsmedien statt Demokratie, unverhohlen ausformuliert: „Die Gesellschaft, also Bund, Länder, aber auch Stiftungen und andere Akteure müssen Millionen in diese Ampel und in die Förderung ‚grüner‘ Angebote stecken“. Björn Staschen sagt zwar, dass sein Gütesiegel den Einfluss der Digitalkonzerne brechen und auf keinen Fall direkt vom Staat vergeben werden soll, aber jeder kann sich ausmalen, wer in seinen „Digitalboards“ sitzen wird und welche Angebote am Ende Geld bekommen. Multipolar sicher nicht.

Das gilt analog auch für den Vorschlag einer gewerkschaftsnahen Stiftung, einen Teil des Journalismus kurzerhand für „gemeinnützig“ zu erklären und so das Tor zu den staatlichen Schatzkammern zu öffnen. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), die wichtigste Standesorganisation des Berufs, hat diese Debatte genutzt, um sich selbst in die Nachrichten zu bringen. Journalismusförderung ja, sagte der Verbandstag Anfang November, aber bitte staatsfern und „an die Einhaltung von Vorgaben geknüpft“. Personalausstattung, Tarifbindung, Honorare. Auf der DJV-Webseite gibt es eine lange Liste zum Thema Tarifflucht. Die Gegenseite blendet das genauso aus wie die Politik. „Es geht uns darum, Demokratie zu stärken“, sagte SPD-Chef Lars Klingbeil bei der Jahrestagung des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) Ende September. Es brauche schließlich guten Lokaljournalismus, um eine gesellschaftliche Polarisierung zu verhindern. Ricarda Lang von den Grünen am gleichen Ort: „Wir müssen die Feinde der Demokratie argumentativ stellen.“ Und Friedrich Merz (CDU): „Wir müssen die physische Zustellung von Zeitungen auch in ländlichen Regionen sicherstellen.“

Subventionen: Steuergelder für Ultrareiche

Die Verleger und ihre Lobbyisten haben früh erkannt, dass dieser neue Wind ihren Reichtum mehren kann und sie die Treiber eines Haltungsjournalismus dafür nutzen können. Man muss dazu wissen, dass die Medienhäuser in der Geschichte der Bundesrepublik zwar immer wieder „Krisen“ ausgerufen haben, damit aber stets nur begründen wollten, warum sie die Preise anheben und ihr Personal schlechter bezahlen oder gar entlassen müssen. Die Rendite liegt auch heute im hohen einstelligen oder niedrigen zweistelligen Bereich. Mohn, Bauer, Burda, Springer, Holtzbrinck, Schaub, Ströer, Grotkamp, Ippen, Diekmann: Die deutsche Öffentlichkeit gehört Familien, die schon Milliardäre sind oder auf dem Weg dorthin. Das Manager Magazin hat im Oktober gemeldet, dass die Bertelsmann-Besitzer (Mohn) ihr Vermögen um 700 Millionen Euro steigern konnten und jetzt über sieben Milliarden liegen.

Die Bundesregierung hat dabei kräftig mitgeholfen. Damit meine ich gar nicht nur die Corona-Kampagne, die den Steuerzahler 2021 allein im Bereich Printanzeigen gut 64 Millionen Euro gekostet hat, wobei hier all die Sonderbeilagen noch gar nicht mitgerechnet sind, in denen regionale und lokale Unternehmen mit großen Bannern zusammen mit den jeweiligen Behörden für Gehorsam getrommelt haben, manchmal aus Überzeugung, manchmal aber sicher auch einfach, um den Zugriff auf all die Fördertöpfe nicht zu verlieren, die den Parteienstaat für viele längst zum wichtigsten Kunden machen. Jenseits der Werbung, die jeder sehen konnte, gab es „Corona-Hilfen“ für alles Mögliche – für Kurzarbeitergeld oder Sozialversicherungsbeiträge zum Beispiel. Madsack, ein „kerngesundes Unternehmen“, sackte 2020 und 2021 auf diesem Weg 14,4 Millionen Euro aus dem Staatshaushalt ein.

Bei der Zustellförderung geht es um viel größere Summen. Tichys Einblick beruft sich auf ein Papier aus dem Hause Habeck und schreibt, dass 2025 insgesamt 630 Millionen Euro fließen sollten. Bei der Einführung des Mindestlohns hatten die Medienkonzerne eine Ausnahme für ihre Zusteller durchgesetzt. Diese Sonderregel ist Anfang 2018 ausgelaufen. Man könnte den Wunsch nach Subventionen also als Ruf nach Belohnung deuten. Ihr, liebe Verleger, habt unsere Politik nicht torpediert, und bekommt jetzt etwas dafür. Man könnte auch abwinken und sagen, dass es darauf nun auch nicht mehr ankommt, frei nach dem Motto: Da heiratet, was ohnehin schon lange im gleichen Bett liegt.

Herman Conen hat den Kölner Stadt-Anzeiger durchleuchtet und gezeigt, dass Medienkonzerne wie DuMont nicht mehr nur Zeitungen produzieren, sondern längst „Machtkomplexe“ sind, „die realitätsbestimmend werden“, weil sie in jeden Bereich der Wirklichkeit hineinragen – von der Lokalpolitik und Expertenpools über Kulturveranstaltungen bis hin zum Ticketverkauf. Wer nicht mit dieser Zeitung geht, findet in Köln nicht statt (19).

Man könnte aber auch einfach von einer Zeitenwende sprechen. Die alte Journalismus-Erzählung ist tot. Die neue sorgt wenigstens für klare Fronten, auch wenn die Umsetzung nur ein Jahr aufgeschoben wurde.

Über den Autor: Prof. Dr. Michael Meyen, Jahrgang 1967, studierte an der Sektion Journalistik und hat dann in Leipzig alle akademischen Stationen durchlaufen: Diplom (1992), Promotion (1995), Habilitation (2001). Parallel arbeitete er als Journalist (MDR info, Leipziger Volkszeitung, Freie Presse). Seit 2002 ist Meyen Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU München. Seine Forschungsschwerpunkte sind Medienrealitäten, Kommunikations- und Fachgeschichte sowie Journalismus. Er betreibt außerdem die „Freie Akademie für Medien und Journalismus“. Sein Buch Die Propaganda-Matrix (Rubikon 2021) war ein Spiegel-Bestseller. Zuletzt erschienen: „Wie ich meine Uni verlor“ (Edition Ost 2023).


Weitere Artikel zum Thema:

Anmerkungen

(1) Michael Meyen, Die Propaganda-Matrix, München: Rubikon 2021, S. 167

(2) Sheldon Wolin, Umgekehrter Totalitarismus. Faktische Machtverhältnisse und ihre zerstörerischen Auswirkungen auf unsere Demokratie, Frankfurt am Main: Westend 2022

(3) Michael Meyen, Journalists’ Autonomy around the Globe: A Typology of 46 Mass Media Systems, in: Global Media Journal, German Edition, 8. Jg. (2018), Nr. 1

(4) Paul Clemens Murschetz, Staatliche Medienförderung, in: Jan Krone, Tassilo Pellegrini (Hrsg.), Handbuch Medienökonomie, Wiesbaden: Springer VS 2021, S. 1465-1492

(5) Manuel Puppis, Etienne Bürdel: Ländervergleich Onlinemedienförderung. Freiburg: Universität Freiburg 2019

(6) Ulrich Beck, Die Metamorphose der Welt, Berlin: Suhrkamp 2017, S. 129

(7) Ebenda, S. 133

(8) Edward Bernays, Propaganda (zuerst: New York: H. Liveright 1928), Berlin: orange-press 2018, S. 20

(9) Ansgar Diller, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, in: Jürgen Wilke (Hrsg.), Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 1999, S. 146-166, hier 148

(10) Alfred Grosser, Deutschlandbilanz, München: Hanser 1980, S. 91

(11) Rüdiger Steinmetz, Freies Fernsehen. Das erste privat-kommerzielle Fernsehprogramm in Deutschland, Konstanz: UVK 1996

(12) Michael Meyen, Wie die Nachrichtenwerttheorie Realitäten verschleiert, in: Medienrealität 2018

(13) Martin Löffler, Der Verfassungsauftrag der Presse, in: Publizistik 1960, S. 197-201

(14) Hans Wagner, Vom Gespenst, das als „Vierte Gewalt“ erscheint. Bemerkungen zu einer Demokratiegefährdung, die sich als ihr Gegenteil ausgibt, in: Zeitschrift für Politik 2007, S. 324-351

(15) Anke Fiedler, Medienlenkung in der DDR, Köln: Böhlau 2014

(16) Michael Meyen, Öffentlichkeit in der DDR, in: SCM 2011, S. 3-69

(17) Caitlin Johnstone, Kleines Erste-Hilfe-Büchlein gegen Propaganda, Frankfurt am Main: Westend 2023, S. 66, 83

(18) Thomas Wiedemann, Deutscher Kinospielfilm. Akteurskonstellationen und Wirklichkeitskonstruktion im Zeichen des Filmfördersystems, München: LMU 2023

(19) Hermann Conen, Ausverkauf. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ im DuMont-Supermarkt, Norderstedt: Books on Demand 2019, Zitat S. 93

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