RKI-Protokolle: ZDF und SPIEGEL verfälschen nachträglich ihre Berichte
PAUL SCHREYER, 25. März 2024, 9 Kommentare, PDFDie Affäre um die die freigeklagten Protokolle des Krisenstabes des Robert Koch-Institutes (RKI) wird zunehmend zu einer Medienaffäre. Nachdem Multipolar am Montag vergangener Woche (18. März) erste Details bekannt gegeben und am Mittwoch dann die mehr als 2.500 Seiten umfassenden Dokumente vollständig veröffentlicht hatte, berichteten zunächst verschiedene Medien mit kleiner bis mittlerer Reichweite – darunter Tichys Einblick, das Magazin Cicero, die Epoch Times, Telepolis und der Nordkurier. Die Leitmedien schwiegen.
Das änderte sich am Samstagabend (23. März) mit einem für breites Aufsehen sorgenden Bericht im ZDF, verfasst von der Hauptstadtkorrespondentin Britta Spiekermann, seit vielen Jahren Autorin von Fernsehbeiträgen für das ZDF-Politmagazin Berlin direkt. Ihr sachlich formulierter Artikel trug auf der Basis eigener Recherche in den Dokumenten mehrere Enthüllungen zusammen. Georg Restle, Redaktionsleiter von ARD Monitor, verbreitete den Text und kommentierte:
“Wer die Corona-Protokolle des RKI ignoriert, macht seinen Job nicht richtig. Es gilt noch jede Menge selbstkritisch aufzuarbeiten. Auch und gerade für Medien.“
Kurz darauf, am Sonntagnachmittag wurde der vielgelesene ZDF-Bericht allerdings von der Redaktion umgeschrieben. Man entfernte dabei folgenden Schlüsselsatz:
„Auf welcher wissenschaftlichen Grundlage die Hochstufung erfolgt, bleibt unklar.“
Dafür ergänzte der unbekannte Schreiber einige vorher nicht enthaltene Sätze:
„Die Passage in den Protokollen legt allerdings nahe, dass das RKI die Risikobewertung selbst gemacht und nach dieser das Risiko als 'hoch' einstuft hat. Einzig die Veröffentlichung der Risikobewertung hing demnach von der Freigabe der nicht namentlich genannten Person ab.“
Beide Änderungen werden in der entsprechenden redaktionellen Anmerkung unter dem Artikel verschwiegen.
Interpretation ist unbelegt und unplausibel
Die nachträglich ergänzte Interpretation, die Protokolle legten „nahe“, das RKI habe „die Risikobewertung selbst gemacht“ ist unbelegt und unplausibel. Multipolar hatte im Bericht, auf den das ZDF sich bezog, bereits klar ausgeführt:
„Wenn, wie das Protokoll vermerkt, am Wochenende vom 14. zum 15. März 'eine neue Risikobewertung vorbereitet' worden ist – und dies innerhalb des RKI geschehen sein soll –, dann müsste es beim RKI selbstverständlich auch Dokumente dazu geben: die Risikobewertung selbst sowie sämtliche Kommunikation und Beratung dazu. Dem ist aber nicht so. Die Kanzlei Raue, die das RKI im von Multipolar angestrengten Verfahren vertritt, streitet es in einem Schreiben vom September 2023 an das Verwaltungsgericht Berlin im Namen ihres Mandanten sogar rundheraus ab:
'Nach Abschluss dieser Prüfung bleibt es dabei, dass keine weiteren Dokumente vorhanden sind, die sich mit der Änderung der Risikobewertung am 17. März 2020 von 'mäßig' auf 'hoch' befassen. (…) Informationen, die nicht vorhanden sind, kann die Beklagte nicht herausgeben.'
Das Fazit aus all dem: Die Behauptung, das RKI habe die Hochstufung – und damit die Grundlage für Lockdown und Ausnahmezustand – auf Basis wissenschaftlicher Beratungen getroffen, ist nicht länger haltbar. Die Hochstufung erfolgte abrupt, ohne dokumentierten Diskussions- und Beratungsprozess, auf Anweisung eines ungenannten Akteurs.“
Die verfälschenden Änderungen im ZDF-Bericht datieren vom Sonntagnachmittag um 14:37 Uhr. Auffällig: Erst der so umgeschriebene Artikel wurde – dann allerdings sehr schnell – von zwei der reichweitenstärksten deutschen Medien aufgegriffen: dem Spiegel um 17:30 Uhr und t-online um 18:26 Uhr.
Der Spiegel wörtlich:
„Laut 'ZDF Heute' legt die Passage allerdings nahe, dass das 'RKI die Risikobewertung selbst gemacht und nach dieser das Risiko als ›hoch‹ eingestuft hat'. Einzig die Veröffentlichung der Risikobewertung habe demnach von der Freigabe der nicht namentlich genannten Person abgehangen.“
T-Online wörtlich:
„Das Protokoll vom 16. März legt allerdings nahe, dass das RKI die Risikobewertung selbst gemacht hat – nur die Veröffentlichung der Risikobewertung hing von der Freigabe der nicht namentlich genannten Person ab.“
Beides stand nicht im ursprünglich erschienenen Artikel von Britta Spiekermann und ist, wie oben schon erläutert, unbelegt und unplausibel. Durch die große Reichweite der beiden Medien hat diese Verfälschung allerdings Einfluss auf die weitere mediale Berichterstattung.
SPIEGEL-Artikel auch frisiert
Der am Sonntagnachmittag erschienene SPIEGEL-Artikel, ursprünglich verfasst von Henning Jauernig, wurde ebenfalls nachträglich frisiert. Stand dort zunächst neutral:
„Das Online-Magazin 'Multipolar', das auf diesen Schritt geklagt hatte, veröffentlichte die Unterlagen.“
So hieß es nach einer heimlichen Überarbeitung später:
„Das rechte Onlinemagazin 'Multipolar', das auf diesen Schritt geklagt hatte, veröffentlichte die Unterlagen.“
Wer aus der SPIEGEL-Redaktion die Ergänzung des Attributs „rechts“ anordnete, ist unbekannt. Die Ergänzung wurde auch nicht kenntlich gemacht. Die Bewertung selbst ist sachlich falsch an der Grenze zur Lächerlichkeit. Nachträglich von unbekannter Hand ergänzt wurde außerdem diese Passage:
„'Multipolar' wird unter anderem vom Autor Paul Schreyer herausgegeben, der Bücher mit Verschwörungserzählungen zu den Anschlägen vom 11. September veröffentlicht hat und mehr Verständnis für die Politik Russlands eingefordert hat.“
Beide Ergänzungen finden sich im Einleitungsabsatz des Artikels. Beim t-online-Bericht fand sich eine ähnliche Bewertung („der dem Coronaleugner-Milieu nahestehende Blog“) bereits von vornherein im Einleitungsabsatz, musste also nicht erst ungeschickt nachträglich ergänzt werden. Viele Medien haben derlei Einordnungen bei ihren Artikeln zu den Protokollen inwischen von Spiegel & Co. abgeschrieben.
Andere Medien hingegen kommen ohne solche Wertungen aus und beschränken sich auf die Wiedergabe der Fakten und Fragen zu den Protokollen – so etwa die Neue Zürcher Zeitung, oder auch die BILD-Zeitung, die das Thema am Montag auf Seite 1 setzte:
Auszug aus der BILD-Zeitung, Ausgabe vom 25. März 2024
Was aber ist am Sonntagnachmittag im ZDF passiert? Wer gab die Anweisung, den Artikel verfälschend umzuschreiben – mit den beschriebenen Auswirkungen auf die Berichterstattung anderer Medien? Spiekermann will sich auf Multipolar-Nachfrage nicht zu den Hintergründen äußern.
An Transparenz mangelt es – soviel scheint festzustehen – nicht nur dem RKI, sondern auch zahlreichen berichtenden Medien – deren Chefredaktionen nun Farbe bekennen müssen: Unterstützen Sie eine Aufklärung und Aufarbeitung – oder sabotieren sie diese mit verdeckten Tricksereien und Manipulationen?
Weitere Artikel zum Thema:
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