Windräder im Windpark Rohrenkopf im Südschwarzwald | Foto: picture alliance / Zoonar | Erich Meyer

Vom Kampf gegen Windmühlen

Viele im grünen „Musterländle“ Baden-Württemberg halten die Kritiker eines forcierten Ausbaus der Windenergie für Ewiggestrige. Zu Recht? Um welche Argumente geht es im Einzelnen? Eine Reportage aus dem Schwarzwald.

JAN SCHULZ-WEILING, 19. April 2024, 3 Kommentare, PDF

In Au hat die Windkraft scheinbar schon gewonnen. Gut zwei Dutzend Pro-Plakate säumen die Hauptstraße. Die kleine Gemeinde in der Nähe von Freiburg soll über neue Standorte abstimmen. Das Klimaschutznetzwerk Hexental spricht sich dafür aus und wirbt für die Vorteile: „Windenergie ist Klimaschutz, Versorgungssicherheit und Verantwortung.“ Die Gegner nutzen zwar teilweise dieselbe Laterne, sind aber deutlich in der Unterzahl: „Für Landschafts- und Naturschutz, attraktive Naherholung, naturnahen Tourismus und gute Nachbarschaft“. Dazwischen Plakate des Bundesverbands der Windenergiebranche: „Du kannst auch Kohlestrom nehmen. Ist dann aber halt dreckig“. Oder: „Ökospinner? Realisten! Der Klimawandel ist real. Erneuerbare Energien sind Klimaschutz.“ Auch in Wittnau, ein Dorf weiter, wird abgestimmt. Es sei klar, „dass über ein solch polarisierendes Thema die Bürgerinnen und Bürger unserer Gemeinde in die Grundsatzentscheidung einbezogen werden müssen“, schreibt Bürgermeister Kindel in der Informationsbroschüre, die den Anwohnern mit dem Wahlzettel zugestellt wurde.

Plakate an der Auer Hauptstraße | Foto: Jan Schulz-Weiling

Auf dem Weg zur „100-Prozent-Erneuerbaren-Energien-Region”

Das Thema Windkraft beherrscht die Agenda im Südschwarzwald. Die „Allianz für werteorientierte Demokratie“ lädt mit der Gemeinde Merzhausen zum „Klimagespräch“ ein. Merzhausen grenzt im Süden an Au und im Norden an den Freiburger Stadtteil Vauban, das international für sein Nachhaltigkeitskonzept bekannte Modellquartier. Die Resonanz ist groß, die Webseite meldet die Veranstaltung als ausgebucht. Nur noch Restplätze vor Ort. Wer es in den großen Saal schafft, kann sich mit veganen Schnittchen und Bio-Saftschorle stärken. 16 große Infotische verteilen sich im Saal. Regionale Ökostromanbieter, Neues zu Balkonkraftwerken, also Mini-Photovoltaik-Anlagen, die man nur noch an die Steckdose anschließen muss. Oder Tipps für PV-Anlagen auf Mehrfamilienhäusern.

In der Mitte sitzt ein Vertreter des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Auch junge Leute von Fridays For Future und der Letzten Generation suchen das Gespräch. In einer Ecke neben der Bühne hat das Klimaschutznetzwerk Hexental einen Tisch. Daneben steht die Ökostromgruppe, die ein mannshohes Windradmodell mitgebracht hat. Auf den Tischen liegen Zettelchen mit Beispielfragen: „Wie kann ich mich bei einer Windkraftanlage finanziell beteiligen?” Für den Taubenkopf gibt es drei verschiedene Investitionsmodelle von 1.000 bis 25.000 Euro. Laufzeiten: 6, 12 oder 18 Jahre.

Die Bühne bleibt an diesem Abend leer. Moderatorin Marina Leibfried steht lieber davor, auf einer Ebene mit den Gästen. Professionelle Technik, guter Ton, wohlwollende Stimmung. Vor der Tür stehen noch fünfzehn Menschen. Es gibt ein paar freie Plätze, die Leute dürfen rein. Los geht’s! Das Klimagespräch sei „eine direkte Konsequenz aus den Empfehlungen des Bürgergutachtens“. 2022 hatte es einen interkommunalen Bürgerrat in der Region gegeben. Nach fünf Sitzungen sprach er 48 Empfehlungen auf dem Weg zu einer „100 Prozent Erneuerbaren Energien Region“ aus. Leibfried nennt drei Beispiele. Beim ersten geht es direkt um Windkraft. Knapp 90 Prozent empfehlen, „dass alle ausgewiesenen Flächen im Windatlas sofort genutzt werden“. Kommunen müssten darauf hinwirken, „dass Planungs- und Genehmigungsverfahren vereinfacht und beschleunigt werden“.

„Die Wissenschaft hat mit einer Stimme gesprochen“

Auch zwei Vertreter des Bürgerrats berichten über ihre Eindrücke aus dem Empfehlungsprozess. „Die Wissenschaft hat mit einer Stimme gesprochen“, sagt Carola Sauerland. Der Klimawandel sei in vollem Gange. Sie beschäftige sich seither mehr mit ihrem persönlichen CO2-Fußabdruck, da sie ihren Kindern eine bessere Welt hinterlassen wolle. Den geplanten Bau von zwei Windkraftanlagen in ihrer Heimatgemeinde Stegen betrachtet sie als „ein tolles Geschenk, ich habe mich sehr gefreut“. Wolfgang Eberhardt sagt, man könne den Klimawandel in den Griff bekommen, „wenn alle mitmachen“. Die Presse sei jedoch schwierig geworden, „oft gibt es Fake News“. Man müsse Wege finden, die Gegner zu überzeugen. Moderatorin Leibfried hat mit Blick auf den Zeitplan etwas Mühe, ihn zu bremsen. Einige im Saal kichern.

Von der Gastgebergemeinde spricht Hannah Kegel, stellvertretende Bürgermeisterin (Bündnis 90/Die Grünen). Auf der Leinwand steht: „Was hat der Klimabürger:innenrat verändert?“ Antwort Kegel: „Zunächst einmal hat er zu einem Grundsatzbeschluss des Gemeinderats Merzhausen zum Ausbau der Windkraft geführt. Wir werden alle Windkraftstandorte im Hexental unterstützen.“ Applaus brandet auf. Eine weitere Folge sei die „erneute Diskussion aller potentiellen Windkraftstandorte“. Das eher niedrig gelegene Merzhausen habe zwar keine, wolle aber auf andere Weise beitragen. Dies gehe einher mit der vom Freiburger Gemeinderat auf den Weg gebrachten Windkraft- und Solaroffensive. „Bis 2030 soll demnach die Windkraftproduktion verzehnfacht und die Solarenergie verfünffacht werden.“

Das Publikum ist an diesem Abend gemischt. Hauptsächlich Baby-Boomer, aber auch die nachfolgenden Jahrgänge sowie vereinzelt junge Familien und ein paar Studenten. Eingeladen wurde im ganzen Hexental. Entweder mit per Los verschickten persönlichen Anschreiben oder mit Postkarten in den Briefkästen. Merzhauser und Besucher aus Nachbargemeinden halten sich ungefähr die Waage, dem kurzen Vortrag hören sie interessiert zu. Danach schlendern sie an die Infotische. Der Vertreter der Ökostrom Erzeugung Freiburg GmbH wirbt: „Sprechen Sie mich gerne an, dann erfahren Sie von mir den Termin der nächsten Sprengung.“ Das weckt Neugier.

„Keine neuen Windräder am Schauinsland“

Wo das Kappeler Tal beginnt, steht ein großes Schild: „UNESCO Biosphärengebiet Schwarzwald“. Freiburg hat mehrere solcher Seitentäler. Mit dem Auto sind es knapp zwanzig Minuten vom Stadtzentrum. Auch hier soll ein Windpark entstehen. An der Hauptstraße über dem Bach ruft ein großes Transparent: „Keine neuen Windräder am Schauinsland!“ Dort steht ein Treffen an mit Daniela und Thorsten Werle. Das Ehepaar engagiert sich schon länger für den Naturschutz in der Region. Hinter ihrer Haustür stehen Gemüsekisten einer solidarischen Landwirtschaft.

„Ich war immer davon ausgegangen, dass alles von den Behörden geprüft wird“, sagt Daniela Werle. „Man beschäftigt sich eben oft erst dann damit, wenn man selbst betroffen ist.“ Das böse Erwachen komme meist erst, „wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.“ Sie spricht bedacht, es schwingt persönliche Betroffenheit mit. Die Finanzwirtin engagiert sich mit ihrem Mann beim Verein Unser Schauinsland, gegründet 2018 unter anderem als Reaktion auf zwei geplante Windkraftanlagen am nahen Taubenkopf, gut 400 Höhenmeter unter Freiburgs Hausberggipfel.

Beide sind nicht grundsätzlich gegen Windkraft. Photovoltaik und Wind könnten eigentlich eine gute Kombilösung sein, sagen sie. Aber dafür müsse genügend Wind wehen. „Ohne Subventionen würde kein Unternehmen hier Windräder bauen.“ Da sei ein neuer Markt entstanden, „der Wind gibt’s nicht her.“ „Erneuerbar“ – Thorsten Werle macht Anführungszeichen mit den Fingern – „sind daher vor allem die Anlagen, wenn nach Ablauf der Förderungen durch das sogenannte Repowering neue Anlagen gebaut werden.“

Windradbaustelle im Schwarzwald | Foto: picture alliance / euroluftbild.de / Martin Bildstein

Erst im September 2023 wurde das erste von zwei Windrädern auf der Holzschlägermatte, einen Bergkamm weiter, gesprengt, um Platz für ein größeres Windrad zu machen. Im Frühjahr soll das zweite folgen. Es war die erste Sprengung dieser Art in Baden-Württemberg. Die Anlage sorgte bereits beim Bau 2003 für einen monatelangen Schlagabtausch zwischen dem damaligen Freiburger Oberbürgermeister Salomon (Grüne) und Ministerpräsident Teufel. Der Christdemokrat wollte die Baugenehmigung wieder entziehen und sprach von einer Verspargelung der Landschaft. In den Nullerjahren gebaute Windräder erhielten in der Regel 20 Jahre lang Förderung, bei neueren Windrädern liegt diese je nach Typ bei 20 bis 25 Jahren.

„Windräder haben im Schutzgebiet nichts verloren“

Thorsten Werle erzählt, dass die Erschütterung der Sprengung bis ins Kappeler Tal zu spüren war. „Die zum Teil mit Farbe behandelte Anlage war alt. Risse wurden mit Epoxidharz ausgebessert. Die Trümmerteile, einschließlich des Betons, sind also schadstoffhaltig.“ Werle ist Diplom-Mineraloge, eine Kombination aus Geologe und Chemiker. Es ärgert ihn, dass der Schutt über den Winter der Witterung ausgesetzt war. Zumal der Standort oberhalb eines Wasserschutzgebietes liegt. „Bei Regen kann das alles ins Grundwasser einspülen.“

„Windräder haben im Schutzgebiet nichts verloren“, sagt seine Frau. „Neben der Autobahn, in Industriegebieten, okay.“ Was rechtfertige solch einen Eingriff? „Der geringe Energiegewinn jedenfalls nicht. Und was ist mit der Gesundheitsschädigung für Mensch und Tier? Lärmbelästigung? Überall Kahlschläge, es wird im großen Stil gerodet.“ Sie spricht von „Zerstörungswut“ und einer „Biodiversitätskrise“. Die Konsequenzen habe keiner mehr unter Kontrolle. Die Ökosystemleistung der Wälder werde gemindert. „Der Wald verliert Kühl- und Wasserspeichereffekte.“ Das Ganze sei „ein Fass ohne Boden.“

Neu geschaffene Zufahrtsstraße zum geplanten Windkraftstandort Taubenkopf | Foto: Unser Schauinsland e.V.

Wenn man Kritik äußert, „heißt es jedoch schnell, man sei unreflektiert oder uninformiert“, sagt Thorsten Werle. „Über Vieles wird zu wenig berichtet.“ Die Wegeverdichtung, die Auswirkungen auf den Grundwasserabfluss. „Was ist mit Erholung und Tourismus?“ Die Ämter schauen weg, „ich schreibe für den Papierkorb.“ Stattdessen überall Werbung für Windkraft, angefangen bei den Kleinsten. Er holt sein Smartphone aus der Tasche und zeigt kopfschüttelnd ein Kinderbuch des Energieversorgers Badenova: „Die kleine Windböe Bo“. „Seit fünf Jahren bestimmen diese Themen meine Freizeit“, sagt Werle. Er schaut seine Frau an. Sie wollen trotzdem weitermachen, „für unsere Kinder.“ Es gehe ihnen um Generationengerechtigkeit und Biodiversitätsschutz. Um das, was man hinterlasse. Das Gespräch geht nun schon knapp vier Stunden. Man hat nicht den Eindruck, dass alles gesagt ist. „Das Thema ist komplex. Aufklärung ist wichtig und dass sich jemand engagiert. Denn die Natur kann nicht sprechen. Wenn sie könnte, würde sie schreien.“

Fremdboden im Wald

Ortswechsel: das Wiesental im Südschwarzwald. Auch hier trifft man bei der Anfahrt auf große Plakatwände zum Thema: „Energiewende mitgestalten“. Der Ortsverein für erneuerbare Energien. Auf dem Weg fährt man durch grüne Täler, häufig fließt ein Wildbach längs zur Straße. Schwarzwaldflair wie aus dem Fernsehen. Einmal sogar Alpenblick auf Eiger, Mönch, Jungfrau. Auch aus dem Wohnzimmer von Andreas Lang und Christine Alewell kann man bis in die Schweiz schauen. Der Rhein und mit ihm die Landesgrenze sind nur zwanzig Kilometer entfernt. Zwei große Menschen. Die Stube im renovierten Schwarzwaldhof ist gemütlich und warm, es gibt Kaffee. Lang, promovierter Biologe, betreibt freiberuflich ein Gutachterbüro und hat einen Lehrauftrag an der Uni Basel. Als Vorstandsmitglied der Kreisgruppe Lörrach im Naturschutzbund (NABU) hatte er Widerspruch gegen die Genehmigung der Windkraftanlagen am Taubenkopf eingelegt. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen. Mit „fachlich nicht haltbaren Begründungen“, sagt er etwas irritiert. Lang sei es gewohnt, dass seine Expertise von Behörden angezweifelt wird. „Es wird von einem bestimmten Bild ausgegangen: Die sind vom NABU und machen das nur, um Windkraft zu verhindern.“ Auch den Vorwurf „Atomstromlobbyist“ musste er sich schon anhören. „Dabei bin ich absolut für erneuerbare Energien. Aber nicht um jeden Preis.“

Christine Alewell, seine Frau, Professorin in Basel, hat mit ihren Studenten nachgewiesen, dass beim Bau einer Windkraftanlage am nahen Glaserkopf mit Schwermetall belasteter Fremdboden eingetragen wurde. „Laut Bundesbodenschutzgesetz ist das verboten, weil es für eine erhebliche Anreicherung von Schadstoffen im Waldboden sorgt, hier besonders durch Arsen.“ Die Schweiz sei da in der Umsetzung der Bodenschutzgesetze auf Baustellen sehr viel weiter. „Ich habe dann die zuständige Stelle im Umweltreferat des Landratsamts Lörrach per Email informiert. Die Antwort war abwiegelnd und frech, als könnte ich Unter- und Oberboden nicht unterscheiden. Seit 30 Jahren forsche und lehre ich als Bodenkundlerin! Unternommen wurde nichts.“ Sie verlässt immer mal wieder den Raum, Videotelefonate.

Lang betreut Beobachtungsprojekte für geschützte Vogelarten. Beim Rotmilan-Monitoring werden Nistplätze gesucht, um den Bestand zu überwachen und die Horste zu schützen. Wird eine bestimmte Anzahl an Horsten in der Nähe eines geplanten Windkraftstandorts gefunden, muss ein ausführlicheres Prüf- und Genehmigungsverfahren durchgeführt werden. „Der Standort steht dann eventuell auf der Kippe.“ Unter Langs Leitung wird auch ein Citizen Science Projekt zum Rotmilan im Biosphärengebiet Schwarzwald durchgeführt. Dabei wurden mehrere Rotmilan-Horste im Umkreis des Taubenkopfes gefunden und dokumentiert. Die finanzielle Förderung vom Regierungspräsidium Freiburg wurde 2020 gestrichen. Der zeitliche Zusammenhang mit dem geplanten Windkraftausbau sei „schon auffällig“ gewesen, sagt Lang und stellt einen Teller mit Keksen auf den Tisch.

Seitdem finanziert der NABU-Kreisverband Lörrach unter Beteiligung von etwa 15 Ehrenamtlichen das Rotmilan-Monitoring. Normalerweise beauftragt der Windkraftprojektierer selbst ein Gutachterbüro für die Umweltverträglichkeitsprüfung. Nicht so hier. „Wir finden normalerweise mehr als die Gutachter.“ Lang hebt die Hände: „Das sind nicht notwendigerweise Gefälligkeitsgutachten. Die müssen auch wirtschaftlich arbeiten.“ Die im Gelände investierte Zeit sei eben ein entscheidender Faktor. Er seufzt. „Manchmal wollen die aber auch nicht mehr finden.“ Schließlich gehe es ja auch immer um Folgegutachten. „Unmoralische Angebote habe ich auch selber schon bekommen.“ Besser wäre es, die Auftraggeber würden in einen unabhängigen Fonds einzahlen, aus dem die Gutachten dann finanziert würden. Dadurch würde die Verbindung zwischen Auftraggeber und Gutachter gekappt. „Aber dieser Vorschlag der Naturschützer verhallt seit Jahren ungehört und ohne Konsequenzen.“ Lang erzählt auch von Verbandelungen zwischen Unternehmern und Umweltbehörden. Einen Tag, nachdem ein Rotmilanhorst am Taubenkopf gemeldet wurde, stand der Geschäftsführer der Freiburger Ökostrom GmbH unterm Nistbaum. Es gibt Fotos. „Das hat schon ein Gschmäckle.“

„Tunnelblick auf CO2-Emissionen“

„Durch das Osterpaket von Habeck sind Naturschutzbestimmungen geändert worden – mit dem Federstrich eines grünen Ministers“, sagt Andreas Lang. Gemeint sind Energiegesetze, die Ostern 2022 geändert worden waren um den Ausbau erneuerbarer Energien zu beschleunigen. „Der Blickwinkel auf Umweltfragen hat sich unvorteilhaft verengt.“ Lang spricht von einem „Tunnelblick auf CO2-Emissionen“. Er weiß um die Brisanz des Themas und wählt seine Worte mit Bedacht: „Viel größer als die Klimakrise ist die Biodiversitätskrise.“ Es gebe einen dramatischen Rückgang der Artenvielfalt, so hoch wie seit über 60 Millionen Jahren nicht mehr. „Jedes Jahr verschwinden weltweit schätzungsweise Tausend Tierarten für immer, Tendenz steigend. Wir graben uns die Lebensgrundlage ab.“

Der Klimawandel wirke dabei durchaus als Brandbeschleuniger, gravierender sei jedoch der Lebensraumverlust für viele Arten. Er und seine Frau stellen in Frage, dass Windräder in Waldgebieten einen übergeordneten Wert für den Natur- und Umweltschutz haben, zumal in einem Schwachwindgebiet. Man müsse stattdessen „alles vermeiden, was zur Verschärfung der Biodioversitätskrise beiträgt.“ Der Schwarzwald ist „eine der letzten relativ naturnahen großflächigen Regionen Deutschlands.“ Ein Refugium für geschützte Arten. Viele Tiere seien auf solche großen Flächen angewiesen. „Durch Windkraftanlagen werden diese Flächen fragmentiert.“

Und dann ist da noch der Rotmilan, natürlich. „Windkraft ist gefährlich für Greifvögel, das ist zigfach bewiesen.“ Fledermäuse müssten nicht einmal mit den Rotoren kollidieren. Druckunterschiede in der Luft und der Windsog könnten ein Barotrauma erzeugen. „Dabei zerreißt es die inneren Organe wie Lunge und Leber. Die Tiere sind nicht immer sofort tot, sondern verenden langsam.“ Durch Bau und Betrieb der Anlagen würden Flächen gerodet und es gingen Habitate verloren, breite Zufahrtsstraßen würden verdichtet. Christine Alewell: „Der Wald wird zur Industrielandschaft.“

Das Verständnis von Umweltschutz habe sich gewandelt. „Die Windkraftindustrie hat es geschafft, sich als Weltenretter darzustellen.“ Die Windkraft als moralisches Argument um Natur zu zerstören. „Es gibt eine richtige und eine falsche Seite, dabei wird verschwiegen, dass damit auch viel Geld verdient wird.“ Es sei zwar legitim, Kritik zu üben, auch ohne Alternativvorschläge zu machen, Lang tut dies dennoch. Er spricht über Photovoltaik auf – wichtig – „bereits versiegelten“ Flächen. Hier gebe es viel Potential. „Es ist außerdem unerlässlich, Energie- und Ressourcennutzung zu reduzieren, denn grünes Wachstum gibt es nicht.“

„Themen anfassen, die dem ein oder anderen nicht gefallen“

Ein paar Wochen später, im Herzen der Green City Freiburg. Eine Hotellobby, nur ein paar Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt. Alles wirkt etwas steril. Auf großen Bildschirmen flimmert CNN ohne Ton. Eine Mischung aus Pop und Fahrstuhlmusik quäkt aus den Lautsprechern. An einem ruhigen Tisch etwas abseits sitzt Werner Wojtaschek von der Landschafts- und Naturschutzinitiative Schwarzwald, kurz: LANA. Der Verein besteht seit 22 Jahren. Die Finanzierung erfolgt über Spenden und die Beiträge einiger Hundert Mitglieder. Die Unabhängigkeit von der öffentlichen Hand wolle man sich „unbedingt erhalten”. So könne man auch Themen anfassen, „die dem einen oder anderen nicht gefallen.“ Seit 2019 ist der Verein vom Umweltministerium Baden-Württemberg als Umweltvereinigung anerkannt. Das sei nötig, um ein Klagerecht zu erhalten. In den 1970er Jahren hatte man als Umweltschützer keine wirkliche Handhabe, um sich gegen unerwünschte Entwicklungen zu wehren. „Dafür braucht es einen Rechteinhaber“, sagt der Wirtschaftsjurist im Ruhestand. „Tiere beispielsweise können dies nicht selbst für sich beanspruchen.“ Das Verbandsklagerecht wurde damals eingeführt, „um der Natur eine Stimme zu geben.“ Seit Jahren sei man jedoch dabei, „diese Rechte einzuschränken.“

Warum? „Wirtschaftliche Interessen“, sagt Wojtaschek. „Außerdem sagt der Gesetzgeber mittlerweile, der Ausbau der erneuerbaren Energien sei im überragenden öffentlichen Interesse und diene der öffentlichen Sicherheit.“ Das sorgfältige „Abwägen und Austarieren unterschiedlicher Belange in Genehmigungsverfahren wird dadurch immer mehr zurückgedrängt. Diese Konsequenz begegnet uns in Genehmigungs- und Gerichtsverfahren.“ Über Notverordnungen der EU zur Förderung erneuerbarer Energien würden Regelungen zum Artenschutz übergangsweise außer Kraft gesetzt und „sind damit erst einmal ausgehebelt.“ Die auch von Deutschland akzeptierte EU-Biodiversitätsstrategie sehe aber auch vor, 30 Prozent der Landesfläche bis 2030 unter Schutz zu stellen. „Bevor ich jetzt Flächen für Windkraft reserviere, und dabei wichtige Habitate zerstöre, muss ich doch zunächst einmal schauen, wo ich diese Flächen herbekomme. Je nach Schutzbedürfnis.“ Wojtaschek wünscht sich, dass wir „achtsam mit dem umgehen, was wir hier vorfinden. Es geht ums große Ganze, wir sind nur ein kleiner Teil der Schöpfung.“ Er strahlt Ruhe aus.

Bezogen auf den Ort Häusern in der Nähe des Schluchsees klagt LANA vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH). Windräder. Das Argument: ein Korridor für Auerhühner wird vollkommen entwertet. „Bei der mündlichen Verhandlung hatten wir den Eindruck, es sei gut gelaufen“. Am nächsten Tag wurde die Klage abgewiesen. Seit November wartet LANA auf die schriftliche Begründung. „Wir halten vieles für unzulässig.“ Möglicherweise liege hier sogar ein „Verstoß gegen die europäischen Verträge“ vor. Früher habe man per Eilverfahren Aufschub erreichen können. „Das geht jetzt – wenn überhaupt – nur noch vor Gericht. Ministerpräsident Kretschmann sagt, der Rechtsweg sei gegeben. Aber was heißt das heute?“ Früher gab es ein Widerspruchsverfahren und anschließend ging es in erster Instanz vor das Verwaltungsgericht. Inzwischen müsse man jedoch gleich zum VGH. „Dort gilt Anwaltszwang. Auch dadurch ist der Kostendruck enorm gestiegen.“ Um seinen Anspruch auf rechtliches Gehör geltend zu machen, müsse man heute „sehr viel Geld in die Hand nehmen.“

„Unsere Politiker haben von elementarer Physik keine Ahnung“

Ein paar Tage später geht es erneut nach Kappel, die Ortschaft am Taubenkopf. Ein Treffen mit Michael Saier, Ingenieur für Elektrotechnik und mittelständischer Unternehmer. Draußen ist es schon dunkel. Saier serviert Saftschorle und Schokolade. Nebenan sitzt der Rest der Familie und isst zu Abend. Früher konnte er es leider nicht einrichten. Viel zu tun. Die Energiewende bereitet ihm Kopfzerbrechen. „Das gefährdet meine Existenz und die Jobs meiner Mitarbeiter.“ Deutschland sei im Begriff, „deindustrialisiert zu werden. Die Unternehmen hierzulande sind unter diesen Bedingungen nicht mehr wettbewerbsfähig. Wie soll man so eine Produktion planen?“ Windkraft sei „wetterabhängig, nicht erneuerbar“. Leider gebe es viele Missverständnisse. „Unsere Politiker haben von elementarer Physik keine Ahnung.“ Kaum einer sei in der Lage, Leistung von Energie zu unterscheiden. „Die Leistung ist wichtig, nicht die Energie!“ Die volatile, also schwankende Stromerzeugung bei Wind und Solar sei nicht in der Lage, bedarfsgerecht Strom bereitzustellen. „Man liest oft, dass ein Windpark soundso viele Haushalte versorgen könne.“ Dies sei aber ein „Trugschluss“, der Nenn-Leistung und reale Leistung verwechsle. „Der dafür nötige Wind weht viel zu selten.“

Kürzlich war Martin Horn, der Freiburger Oberbürgermeister, in Kappel. Er hat Saier versprochen, die Auslastungsdaten der Windräder rund um Freiburg zu schicken. Jetzt heißt es: „Betriebsgeheimnis“. Saier: „Das Problem Rentabilität würde sofort augenscheinlich werden, wenn die Betreiber nur von dem leben müssten, was sie verkaufen – ohne Subventionen.“ Die Energiedichte beim Wind sei einfach zu gering, „bei Wasser ist diese zum Beispiel 826 Mal so hoch wie bei Luft.“ Auch die oft gehörte Aussage, dass irgendwo immer Wind wehe, stimme so nicht. „Die Daten zeigen deutlich: Der Wind in Deutschland weht entweder überall oder nirgends, sowohl onshore als auch offshore.“ Windräder seien zwar „ingenieurstechnische Meisterleistungen“, als Technologie für eine Industrienation jedoch „weitgehend unbrauchbar“.

Physik ist schwierig. Für den Aktionskreis Energie & Naturschutz (AKEN) hat Saier einen Vortrag zum Thema gehalten. Er engagiert sich dort als Schatzmeister. „Das komplexe Thema ist nicht in zwei Sätzen erklärt.“ Aber er ist sich sicher, dass viel weniger Menschen Windkraft befürworten würden, wenn ihnen die Zusammenhänge klar wären. Er habe auch schon einen Leserbrief an die Badische Zeitung geschrieben. „Auf meine telefonische Nachfrage, warum dieser nicht abgedruckt wurde, hat man mir gesagt, er habe dem hausinternen Faktencheck nicht standgehalten. Ich habe mein Abonnement gekündigt.“

Ausblick

Mittlerweile liegen die Abstimmungsergebnisse der Bürgerbefragungen vor. In Au haben sich etwa 70 Prozent für den Bau weiterer Windräder ausgesprochen, in Wittnau sogar 75 Prozent. Dass es auch anders geht, zeigt ein Bürgerentscheid im nahen Schliengen, am Fuße des Berges Blauen. Rund 56 Prozent stimmten gegen den Bau von Windrädern auf Grundstücken der Gemeinde. Die angrenzenden Flächen des Staatsforsts sind nicht betroffen.

Das Thema Windkraft wird die Menschen im Schwarzwald weiter beschäftigen. Baden-Württemberg will bis 2040 Klimaneutral sein, heißt es auf der Seite des Staatsministeriums. „Es ist zwingend notwendig, den Ausbau der erneuerbaren Energien radikal zu beschleunigen.“ Dafür wurde eine Taskforce mit „Vertretern aus der Landesverwaltung, den Verbänden und der Windbranche“ eingerichtet. Mit dem Ziel, den „Ausbau der erneuerbaren Energien und vor allem der Windkraft im Land massiv zu beschleunigen sowie planerische und bürokratische Hürden abzubauen.“

Der Kampf gegen Windmühlen geht weiter.

Über den Autor: Jan Schulz-Weiling, Jahrgang 1989, hat Global Studies an der Universität Leipzig studiert. Für seine Masterarbeit zu Propaganda beschäftigte er sich intensiv mit deutschen Printmedien. Anschließend arbeitete er zeitweise in der Katastrophenhilfe und forschte einige Jahre an einer spanischen Universität. Nach vielen Stationen im Ausland lebt er aktuell in seiner Heimatstadt Freiburg im Breisgau. Der vorliegende Text entstand im Rahmen seiner Teilnahme am Lehrgang der Freien Akademie für Medien und Journalismus.

SE, 20. April 2024, 09:45 UHR

Mich wundert das EWS Schönau nicht erwähnt ist - gibt es dafür einen Grund?

... EWS ist /eigentlich/ eine nette Geschichte, wo es den Bürgern einst gelang, die lokalen Stadtwerke aus dem CDU-Korruptionssumpf herauszutrennen und tatsächlich bürgereigen und bürgerbestimmt zu betreiben, das heißt: ohne Einfluss von Großindustrie und Agenda. Entsprechend wurde viel Wind- und Solarstrom lokaler Art installiert und auch mit Biogas brauchbares erreicht sowie ein deutschlandweiter Stromanbieter (Händler) aufgebaut.

ABER seit paar Jahren ist das politisch wieder eingefangen und zurückgedreht: es wird genauso ideologisch blind geredet und gehandelt, wie der Artikel berichtet und der Geschäftsbericht liest sich entsprechend wie aus dem Parteiprogramm der Grünen abgeschrieben...

SIGRID PETERSEN, 20. April 2024, 18:10 UHR

Ich muss sagen, ich bekomm´ so´nen Hals, wenn ich solche Geschichten höre/lese. Der Artikel ist gut, er lässt alle zu Wort kommen. Aber allein so ein Satz:

„Die Wissenschaft hat mit einer Stimme gesprochen“

Okay, diejenigen, denen so ein Satz noch aus dem Mund fällt, die haben auch keine Zweifel an der „Corona-Wissenschaft“, also das, was uns als das verkauft wurde.

Für dieses Thema kann ich nur den folgenden Film empfehlen: https://www.bitchute.com/video/yL4bPkXjlCdR/. Ein Film, der sich sehr vielschichtig mit dem „menschgemachten“ Klimawandel auseinandersetzt.

Und dieser Glaube an die Möglichkeit einer Energiewende mit „Erneuerbaren Energien“ wie Wind und Sonne, ja, da hat der Herr Michael Saier so recht: „Unsere Politiker haben von elementarer Physik keine Ahnung“, aber nicht nur die Politiker. Ich meine, müssen sie ja auch nicht, aber ohne Ahnung zu haben, dann Behauptungen aufzustellen, irgendetwas nachplappern, was INTERESSENGELEITETE „Agenten“ vorbeten. Das nervt! Und dass – wie bei Corona – die Argumente der Gegenseite gar nicht erst angehört werden, sondern auch gleich unter „Klimaleugner“ verbucht werden. Das nervt auch!

Den Leuten ist einfach nicht klar, dass für jede Megawattstunde installierte Leistung (Nennleistung) Wind-und Sonnenkraftwerk im Hintergrund z.B. ein Gaskraftwerk mit der gleichen Nennleistung installiert sein muss. Also DOPPELTE installierte Leistung! Weil der Blackout sonst vorprogrammiert ist.

Und vergessen wir Wasserstoff als Energiespeicher und als alternative Energiequelle zu Gas, Benzin und Diesel! Wer sich einmal damit beschäftigt hat, weiß, dass das feuchte Träume von Träumern und Ideologen sind oder Geldumverteilungsanlagen von unten nach oben. Verdienen werden daran kurzfristig diejenigen, die damit Profit machen können solange die Fördertöpfe genug hergeben und dann werden die Steuerzahler (die, die dann noch übrig sind) den „Abraum“ finanzieren müssen.

Ich habe zu dem Thema „Wasserstoff-Strategie“ drei Artikel verfasst, die auf „linkeZeitung“ erschienen sind. Mit Verlaub, verweise ich hier auf die links. In diesen Artikeln versuche ich eine Vorstellung davon zu vermitteln, was diese Energiewende eigentlich bedeutet. Nicht im politischen Sinne, sondern die erforderlichen Größenordnungen. Einfach, damit sich der Laie einmal ein „Bild“ machen kann.

https://linkezeitung.de/2024/03/05/die-wasserstoff-strategie-teil-1/
https://linkezeitung.de/2024/03/06/die-wasserstoff-strategie-teil-2/
https://linkezeitung.de/2024/03/07/die-wasserstoff-strategie-teil-3/

MICHAEL SAILER, 20. April 2024, 21:45 UHR

Vielen Dank. Früher (vor mittlerweile Jahrzehnten) habe ich Reportagen wie diese an verregneten Aprilnachmittagen auf dem Sofa auf großformatigem Papier gelesen. Das gibt es leider längst nicht mehr. Schön, daß es die Reportagen noch gibt.

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