Zehntausende Impftote – oder falsche Daten?
PAUL SCHREYER, 14. Dezember 2022, 9 Kommentare, PDFHinweis: Dieser Beitrag ist auch als Podcast verfügbar.
Impftote sind ein heißes Eisen. Das Paul-Ehrlich-Institut berichtet für 2021 von 2.255 „Verdachtsfällen von Nebenwirkungen mit tödlichem Ausgang“ im Zuge der Verabreichung der Präparate von Biontech, Moderna & Co. Die Erfassung der Fälle verläuft allerdings mehr als mangelhaft.
Im Januar 2022 stellte der Forscher Christof Kuhbandner einen „besorgniserregenden Befund“ vor – einen von ihm gemessenen „zeitlichen Zusammenhang zwischen den COVID-Impfungen und den Todesfällen: Steigt die Anzahl der COVID-Impfungen, so steigt auch die Anzahl der Todesfälle, sinkt die Anzahl der COVID-Impfungen, so sinkt auch die Anzahl der Todesfälle“. 55 Wissenschaftler, darunter 43 Professoren, unterstützten Kuhbandner bei seinem Bemühen darum, dass dieses „wichtige Sicherheitssignal“ nicht ignoriert wird. Doch genau das geschah – wenn auch Statistiker, die den Befund zunächst als unsinnig kritisiert hatten, später vorsichtig zurück ruderten.
Im Februar 2022 warnte schließlich der erste deutsche Krankenkassenchef: Es gäbe zehn mal mehr Impfnebenwirkungen als offiziell erklärt. Kurze Zeit darauf wurde er gefeuert. Das Thema versandete wieder.
Vor diesem Hintergrund schickte die AfD am Mittwoch vergangener Woche eine Einladung zu einer Pressekonferenz „zum Thema Impffolgen“ an Medienvertreter, in der erklärt wurde, dass sich „seit Beginn der Corona-Impfung in der Bevölkerung teils drastische Veränderungen bei Krankheitsbildern und Sterbefällen“ ergeben würden, was aus neuen KBV-Daten hervorgehe, die man am Montag, dem 12. Dezember, vorstellen wolle. Die Zahlen waren vom Datenanalysten Tom Lausen ausgewertet worden, einem ausgewiesenen Experten für die Aufbereitung großer Datenmengen im Corona-Kontext, der bereits mehrfach auch als Sachverständiger im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages eingeladen war.
Zur Pressekonferenz (Video), geleitet vom gesundheitspolitischen Sprecher der AfD, Martin Sichert, erschienen nur eine Handvoll Interessierte, darunter keine Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ein Vertreter der Nachrichtenagentur dpa war zugegen. Er titelte später – was einzelne Zeitungen übernahmen – „AfD-Fraktion fordert Aussetzung von Corona-Impfungen“. Die konkreten Zahlen, wie sie in der Pressekonferenz vorgestellt wurden, nannte der dpa-Beitrag nicht. Diese lauteten in Kürze:
„Mit Beginn der Corona-Massenimpfungen stieg die Zahl derjenigen, die ‚plötzlich und unerwartet‘ gestorben sind, sprunghaft im Vergleich zu den Vorjahren auf das mehr als Vierfache an. In jedem Quartal, beginnend mit dem ersten Quartal 2021, wurden von Kassenärzten mehr plötzliche und unerwartete Todesfälle festgestellt, als in jedem Gesamtjahr von 2016 bis 2020.“
Dementi Nr. 1
Die KBV dementierte noch am selben Tag:
„Aufgrund der von der KBV an die AfD übermittelten Abrechnungsdaten (...) lassen sich keine Kausalzusammenhänge zwischen COVID-19-Schutzimpfungen und Todesfällen herstellen. Aus Sicht der KBV handelt es sich bei der dargestellten Zunahme der Todesfälle in den Quartalen I-IV 2021 und Quartal I 2022 größtenteils um eine pandemiebedingte Übersterblichkeit. Dies verdeutlicht nochmals die Bedeutung der COVID-19-Schutzimpfung als wirksame Maßnahme zur Verhinderung von schweren Verlaufsformen bis hin zu Todesfällen. Ohne die Impfung wäre die Übersterblichkeit wahrscheinlich weit höher gewesen.“
Eine „pandemiebedingte Übersterblichkeit“? Wenn das zutreffen sollte, stellte sich die Frage, warum das Jahr 2020 dann in den veröffentlichten Daten zu plötzlichen und ungeklärten Todesfällen unauffällig war. Darauf wusste auch die KBV am Montag keine schlüssige Antwort zu geben.
Dementi Nr. 2
Auf mehrfache Nachfrage von Multipolar verwies der Verband am Dienstag Nachmittag dann auf eine offenbar eigens in Auftrag gegebene Pressemitteilung eines angeschlossenen Forschungsinstitutes. Darin hieß es – in überraschender Umkehrung der Argumentationslinie vom Vortag – plötzlich:
„Die Aufregung um möglicherweise gestiegene Todesfälle 2021 entbehrt jeder Grundlage. Tatsächlich zeigt die Entwicklung der jährlichen rohen Diagnoseprävalenz nach Auswertung der vollständigen vertragsärztlichen Abrechnungsdaten für die Jahre 2012 bis 2022 im gesamten Zeitraum keine Auffälligkeiten für die einzelnen von der AfD hervorgehobenen Diagnoseschlüssel.“
Die WELT titelte daraufhin am Dienstag Abend: „Die falschen Horrorzahlen der AfD“. Der Artikel dazu blieb hinter einer Bezahlschranke verborgen. Im so für Nichtabonnenten unzugänglich gemachten Text war entgegen der Überschrift jedoch zu lesen:
„Was genau bei der Analyse schief gelaufen ist, ist unklar. Hat die KBV falsche Daten übermittelt? Oder ist Lausen beim Filtern der Daten ein Fehler unterlaufen? Aus dem Umfeld der KBV lautet die Vermutung, dass bereits der übermittelte Datensatz fehlerhaft sei.“
Demnach hatte die KBV selbst falsch gefilterte Daten geliefert. Ob Missverständnisse beim Bearbeiten der Anfrage der AfD dafür verantwortlich waren, ist bislang unklar. Welt-Journalist Tim Röhn berichtete am Dienstag Abend via Twitter:
„Wir wissen noch nicht wer, aber irgendwer hat seinen Job komplett verfehlt. Möglich, dass Transfer der Daten durch KBV Wurzel allen Übels ist.“
Auf die Kritik vom Autor dieses Textes an der irreführenden WELT-Überschrift erwiderte Röhn, „es wäre vor Einberufung einer Pressekonferenz Aufgabe der AfD gewesen, die Daten penibel zu untersuchen“. Wie der behauptete Fehler in den Daten aber für Außenstehende erkennbar gewesen wäre, bleibt fraglich. Für seine Aussage erntete der WELT-Reporter am Dienstag Abend auf Twitter mehr als 200 meist kritische Kommentare.
Daten generell nicht nutzbar?
Die KBV ging in ihrem Dementi jedoch noch weiter. In einer sechs Absätze langen „wissenschaftlichen Einordung“ des angeschlossenen Forschungsinstitutes erklärten die Kassenärzte, Auswertungen zu Sterbefällen seien aus den KVB-Daten generell „nicht ohne weiteres möglich“ und „allgemeine Aussagen zu einem Anstieg von Todesfällen anhand von kodierten Behandlungsanlässen daher wissenschaftlich nicht zulässig“. Warum die KVB-Abrechnungsdaten also generell nicht „ohne weiteres“ (was heißt das?) nutzbar sein sollen, bleibt unklar.
Viele weitere Fragen sind ebenfalls weiter offen. So berichtete die Tagesschau am 28. November unter der Überschrift „Warum ist die Übersterblichkeit so hoch?“:
„2022 sind im Verhältnis zu den Vorjahren bisher ungewöhnlich viele Menschen gestorben. Besonders der Oktober war ein Ausreißer. (…) Eine Entwicklung, die auch Experten bislang nicht eindeutig erklären können (...). So stellte unter anderem der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Sichert die Frage nach einem möglichen Zusammenhang mit den 'Corona-Massenimpfungen' (...). Dabei ist es für eindeutige Aussagen noch viel zu früh, wie Experten betonen.“
Der Beitrag schließt im Widerspruch dazu dennoch sehr eindeutig, zumindest in dem, was er ausschließt:
„Würden die Impfstoffe zu einer erhöhten Todesfallzahl führen, wäre dies längst in der medizinischen und epidemiologischen Forschung nachgewiesen worden.“
Dies aber ist ein klassischer Zirkelschluss.
Volle Transparenz auf allen Ebenen nötig
Unabdingbar zur weiteren Aufklärung ist volle Transparenz auf allen Ebenen. Die KBV muss ihre Abrechnungsdaten umgehend in korrekter Form öffentlich machen. Und das Paul-Ehrlich-Institut muss seine bisherige – gesetzwidrige – Arbeitsverweigerung beenden und die Daten unverzüglich analysieren, in einer Form, die eine unabhängige Überprüfung ermöglicht. Das Institut erklärte zuletzt im März 2022 (!), man „bereite die Ansprache der Kassenärztlichen Vereinigungen derzeit vor“. Neun Monate später ist nichts passiert. Fest steht: Das Paul-Ehrlich-Institut befindet sich in einem strukturellen Interessenkonflikt, da es auch für die Zulassung der mRNA-Präparate verantwortlich war – und somit im Nachhinein kaum Interesse an einer Feststellung von deren Gefährlichkeit haben kann.
Schließlich muss die Todesursachenstatistik für das Jahr 2021, deren Publikation sich schon einige Zeit verzögert, und die laut Informationen der WELT nun am Freitag vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht werden soll, kritisch unter die Lupe genommen werden. Denn gerade dort besteht erhebliche Intransparenz und die Möglichkeit zu Vertuschungen, da die Statistikämter bei den Kodierungen zu Sterbefällen einigen Spielraum haben.
Das dem Innenministerium nachgeordnete Statistische Bundesamt fällt in diesem Zusammenhang immer wieder durch willkürlich erscheinende Begründungen für Zeiträume erhöhter Sterblichkeit auf. Gerade deshalb sind unabhängige Untersuchungen weiterer Datensätze, wie etwa der KBV-Abrechnungszahlen so bedeutsam. Politiker, Fachleute und Medien, die solche Untersuchungen weiterhin beschweigen oder diffamieren, spielen mit hohem Einsatz.
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- Sicherheitsdaten zu mRNA-Präparaten bleiben unter Verschluss (Susan Bonath, 20.10.2022)
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- Krankenkassenchef warnt: Zehn mal mehr Impfnebenwirkungen als offiziell erklärt (Paul Schreyer, 24.2.2022)
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