ZeroCovid: Ein Irrweg der Linken
MONA PAULY, 18. Januar 2021, 9 Kommentare„Für einen solidarischen europäischen Shutdown“, lautet die Forderung der Initiative ZeroCovid. Die Strategie von „Flatten the Curve“ sei gescheitert, deshalb müsse die Regierung nun konsequenter vorgehen. Das neue Ziel lautet: Crush the Curve – Zerschlage die Kurve. „Das Ziel darf nicht in 200, 50 oder 25 Neuinfektionen bestehen – es muss Null sein.“
Vorbild „Contain Covid 19“
Damit orientiert sich die Initiative an dem Aufruf "Contain Covid 19" von verschiedenen Wissenschaftlern, der im Dezember 2020 veröffentlicht wurde. Zu den Autoren gehören Viola Priesemann, Melanie Brinkmann und Sandra Ciesek, unterstützt wird der Appell unter anderem von Christian Drosten und Lothar Wieler. Die Wissenschaftler fordern in dem Papier ein gesamteuropäisches Vorgehen, um die Fallzahlen deutlich zu verringern. Offene Grenzen seien nicht länger möglich, stattdessen solle ein radikaler europaweiter Lockdown umgesetzt werden. Erst wenn die Fallzahlen deutlich gesunken sind (maximal „zehn Neuinfektionen pro eine Million Einwohner pro Tag“), seien Lockerungen möglich.
Radikale Linie plus „solidarische Gestaltung“
Die Initiatoren von ZeroCovid greifen diesen Appell nun auf. Nach Aussage ihres Sprechers Sebastian Schuller haben sich die Begründer in verschiedenen sozialen Netzwerken gefunden. Beteiligt seien linke Aktivisten, Journalisten, Ökonomen und Menschen aus dem Pflegebereich. Sie unterstützen die radikale Linie der Wissenschaftler und ergänzen sie um einen politischen Überbau, der an linke Werte appelliert. Die Maßnahmen sollen „solidarisch gestaltet“ werden, das Motto heißt: „Gemeinsam runter auf Null“.
„Wir schränken unsere Kontakte auf ein Minimum ein – und zwar auch am Arbeitsplatz!“ Nur die Freizeitaktivitäten zu verringern, würde nicht ausreichen. Stattdessen sollen alle „gesellschaftlich nicht dringend erforderlichen Bereiche“ stillgelegt werden, und zwar solange, bis das angestrebte Ziel von Null Infektionen erreicht sei. Je strikter und radikaler, desto schneller sei die Pandemie vorbei. Die zwangsweise Stilllegung der Betriebe bezeichnen sie als „solidarische Pause“, die von den Beschäftigten der Betriebe selber gestaltet und durchgesetzt werden soll.
Da nur zu Hause bleiben könne, wer sozial abgesichert ist, fordern die Autoren ein „umfassendes Rettungspaket für alle“. Für die Finanzierung dieser Maßnahmen schlagen sie eine „europaweite Covid-Solidaritätsabgabe auf hohe Vermögen, Unternehmensgewinne, Finanztransaktionen und die höchsten Einkommen“ vor. Diese Vorgehensweise sei gerade kein Widerspruch zu demokratischen Prozessen:
„Demokratie ohne Gesundheitsschutz ist sinnlos und zynisch. Gesundheitsschutz ohne Demokratie führt in den autoritären Staat. Die Einheit von beidem ist der entscheidende Schlüssel zu einer solidarischen ZeroCovid-Strategie.“
Der Appell wurde von vielen Journalisten, Autoren, Gewerkschaftern und Ökonomen aus dem linken Umfeld unterschrieben. Darunter finden sich bekannte Namen wie: Georg Restle, Margarete Stokowski, Raul Krauthausen, Luisa Neubauer, Stefanie Sargnagel, Natascha Strobl, Mario Sixtus, Inge Hannemann, Stefan Anpalagan, Dr. Andrej Holm, Prof. Dr. Thomas Kuczynski, Katharina Schwabedissen, Dr. Winfried Wolf, Frigga Haug, Wolfgang Fritz Haug, Dr. Tadzio Müller, Raul Zelik oder Prof. Rudolf Hickel.
Der Aufruf soll offenbar eine linke Antwort auf die tiefgreifende ökonomische, juristische und gesellschaftliche Krise sein, die die Welt seit Monaten bestimmt. Nachdem sich viele Linke in den letzten Monaten mit Kritik an der Regierungslinie auffallend zurückgehalten hatten, scheint dieser Appell nun für viele eine sinnvolle Strategie zu sein. Nach wenigen Tagen haben bereits über 50.000 Menschen unterschrieben.
Vier Annahmen
Im Zentrum steht ein radikaler Lockdown, der eingebettet sein soll in sozial flankierende Maßnahmen. Dieses Konzept basiert auf vier Annahmen:
- Ein Lockdown ist ein taugliches Mittel, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen.
- Der Nutzen eines Lockdown ist größer als der Schaden.
- Ein demokratischer Lockdown ist möglich.
- Ein Lockdown lässt sich solidarisch gestalten.
Die Wirksamkeit eines Lockdown
Zu der Tauglichkeit eines Lockdown ist in den letzten Monaten viel geschrieben worden. Die Lockdown-Vertreter argumentieren in der Regel mit Modellen, die von bestimmten Annahmen ausgehen (so auch die Physikerin Priesemann). Nach zehn Monaten Erfahrung gibt es inzwischen aber umfangreiche Empirie, um die Effekte nachprüfen zu können.
Christof Kuhbandner, Professor für pädagogische Psychologie, wertete verschiedene, teilweise sehr umfangreiche Studien dazu aus. Das Ergebnis: Obwohl die Regierungen sehr unterschiedliche Maßnahmen (Grenzschließungen, Lockdowns) anwandten, verliefen die Ansteckungs- und Sterblichkeitskurven in den untersuchten Ländern sehr ähnlich. Ein Zusammenhang mit den politischen Vorgehensweisen konnte nicht belegt werden. Andere Faktoren (Demografie, Gesundheit, Entwicklung, Umwelt) waren wichtiger. Dieses Ergebnis wurde jüngst durch eine Studie der Stanford-Forscher John Ioannidis und Jay Battacharya bestätigt. Um eine Virusverbreitung zu stoppen, sind Lockdowns wirkungslos.
Besonders in Pflegeheimen, wo die meisten Covid19-Todesfälle auftreten, nützt diese Maßnahme nichts. Im siebten Thesenpapier der Wissenschaftlergruppe um Matthias Schrappe stellten die Autoren fest, dass „die Lockdown-Politik (...) gerade für die vulnerablen Gruppen wirkungslos“ ist.
Warum die Initiatoren von ZeroCovid dennoch für einen Lockdown plädieren, bleibt unklar. In dem Aufruf heißt es, in „etlichen Ländern“ habe das funktioniert, ohne dass hierfür Belege angeführt werden oder überhaupt erwähnt wird, in welchen Ländern das denn der Fall gewesen sein soll.
Nutzen ist größer als der Schaden: Kollateralschäden
Dass ein Lockdown erhebliche Auswirkungen auf die körperliche, psychische und soziale Gesundheit der Menschen haben würde, wurde bereits im März 2020 diskutiert, unter anderem in der Kosten-Nutzen-Analyse aus dem Innenministerium. Abgesagte oder verschobene Operationen, die Versorgung von Krebs-, Schlaganfall- oder Herzpatienten und die Aussetzung von Früherkennungsmaßnahmen dürften zu vielen zusätzlichen Todesfällen geführt haben.
Die Kollateralschäden umfassen auch den psychischen Stress durch das drastisch zusammengebrochene Sozialleben, der sich auf vielen Ebenen äußern kann. Die Folgen sind so vielfältig, dass sie erst im Laufe der kommenden Jahre sichtbar sein werden. Doch vor dem Hintergrund des fehlenden Nutzens wiegt jede abgesagte Operation, jede ausgefallene Schulstunde und jeder depressiv gewordene Mensch umso schwerer.
Demokratischer Lockdown?
Die Autoren der ZeroCovid Strategie schreiben, ihr Konzept sei demokratisch, führen das aber nicht argumentativ aus. Insofern lässt sich hier nur grundsätzlich festhalten, dass der angestrebte „totale“ Lockdown alle gesellschaftlichen Bereiche erfassen soll. Diverse Grundrechte werden ausgehebelt, ohne dass die für Demokratien unerlässliche Prüfung der Verhältnismäßigkeit stattfindet. Es wird gerade nicht geschaut, ob der Eingriff des Staates in die Grundrechte des Einzelnen geeignet ist. Ist er erforderlich? Gibt es ein milderes Mittel? Ist der Eingriff angemessen? Diese Prüfung ist kein juristischer Feinschliff, den man im Falle einer Pandemie auch mal weglassen kann. Im Gegenteil ist sie ein Bollwerk gegen staatlichen Machtmissbrauch und der wichtigste Schutz der Grundrechte.
Offen ist auch, wie sich die Autoren die Durchsetzung ihres Lockdown vorstellen. Sollen Polizei und Bundeswehr auf der Straße patrouillieren? Ist das der demokratische Staat, den die Autoren vor Augen haben?
Lockdown und Solidarität
Besonders interessant ist die wirtschaftspolitische Perspektive. Auch hier lassen sich die Umbrüche nach zehn Monaten in Zahlen ausdrücken. Ein Lockdown führt viele Betriebe in den Bankrott. Um die Abwärtsbewegung aufzufangen, verabschiedete die Bundesregierung Unterstützungsprogramme. Diese Gelder landeten jedoch weitgehend bei den großen Konzernen, während viele Mittelständler und Selbständige nur einen geringen Anteil aus den Töpfen erhielten.
Auch auf finanzpolitischer Ebene gab es intensive Rettungsmaßnahmen. Als die Aktienmärkte Anfang März ins Trudeln gerieten, pumpten die Zentralbanken ungeheuere Geldmengen ins System, um es vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Diese Unterstützungszahlungen landeten aber nicht bei den Unternehmen, die realwirtschaftlich so unter Druck standen, sondern wurden an vermögende Großanleger geleitet, die damit gleich wieder spekulierten.
Die wirtschaftspolitischen Effekte dieser Maßnahmen: Große Teile des Mittelstandes sind insolvent. Die Arbeitslosigkeit wird massiv steigen. Inflation und Reallohnkürzungen sind absehbar. Vermutlich wird die Regierung nach dem Lockdown massive Einsparungen vornehmen, um die Staatsverschuldung zu verringern. Es droht ein Zurück zur Austeritätspolitik, die auf eine Kürzung sämtlicher Sozialleistungen hinausläuft. Insgesamt müssen sich weite Teile der Bevölkerung auf einen sinkenden Lebensstandard einstellen.
Wie es gelingen soll, hieran die Profiteure der Maßnahmen zu beteiligen, ist offen. Eine solche Forderung, die den Interessen der aktuellen Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft widerspricht, könnte nur mit erheblichem politischen Druck durchgesetzt werden. Die wichtigsten politischen Aktionsformen der Lockdown-Verlierer sind Demonstrationen und Streiks – gerade die sind aber in einem totalen Lockdown, wie ihn ZeroCovid vorschlägt, nicht mehr möglich. Niemand geht mehr vor die Tür – weder zur Arbeit noch zu privaten Treffen. Alle bleiben alleine zu Hause und machen sich unsichtbar – für unbegrenzte Zeit. Damit berauben sich die Verlierer des Lockdown selbst der Möglichkeiten, für ihre Interessen zu kämpfen. Übrig bleibt nur, darauf zu hoffen, dass die Profiteure der Krise ihre Gewinne freiwillig umverteilen. Danach sieht es nicht aus.
Explosion der sozialen Ungleichheit
Das Ergebnis der Lockdown-Politik ist deutlich: Die größte Umverteilung in der Geschichte des Kapitalismus. Für sechs Millionen Beschäftigte in Deutschland bedeutet die Kurzarbeit erhebliche Einkommensverluste. Das trifft vor allem diejenigen, die ohnehin schon wenig haben. Besonders schwierig ist die Lage für Kinder in Armut und prekären Lebensbedingungen.
Auf globaler Ebene steigen Armut und Hunger rasant. Im kommenden Jahr werden 235 Millionen Menschen weltweit humanitäre Hilfe brauchen. Das ist ein Anstieg um 40 Prozent. Es handelt sich um „die trostlosesten und düstersten Aussichten zur humanitären Hilfe“, welche die UN je für ein Folgejahr formuliert habe“, sagte UN-Nothilfkorrdinator Marc Lowcock. Die Nichtregierungs-Organisation Oxfam ermittelte, dass weltweit etwa eine halbe Milliarde Menschen in die Armut rutschen könnten.
Auf der anderen Seite „verdienten 32 der profitabelsten Unternehmen der Welt im Gesamtjahr 2020 trotz der Corona-Krise Schätzungen zufolge insgesamt 109 Milliarden US-Dollar mehr als 2019“, so Oxfam. Das ist eine Explosion der sozialen Ungleichheit.
Ein Lockdown kann nicht solidarisch sein
Angesichts dieser Zahlen und Studien zerfallen alle Annahmen der ZeroCovid Initiative zu Staub. Ein Lockdown ist nicht tauglich als Infektionsschutzmaßnahme und sein Nutzen kann gar nicht größer sein als die ungeheuren Kollateralschäden. Die Idee, das gesellschaftliche Leben „total“ zu stoppen, hebelt diverse Grundrechte aus und ist daher zutiefst undemokratisch. Die soziale Abfederung seiner Auswirkungen funktioniert nicht, denn ein Lockdown besteht seinem Wesen nach aus Umverteilung. Sie ist sein Kern.
Der Begriff „Lockdown“ ist daher irreführend. Konkret müsste es heißen: Gigantische Umverteilung mit verheerenden gesellschaftlichen Konsequenzen. Einen solidarischen Lockdown kann es gar nicht geben. Es ist eben auch eine Frage des Geldes und der Lebensverhältnisse, wer sich den Effekten eines Lockdown entziehen kann oder ihn im eigenen Interesse zu nutzen imstande ist. Es sind die Vermögenden, die ihre Gelder schnell zu bestimmten Konzernaktien umschichten können und die Zugang zu politischen Entscheidungsträgern haben.
Den Ausdruck „Lockdown“ mit dem Adjektiv „solidarisch“ zu verknüpfen, lenkt vom tatsächlichen Inhalt dieser radikalen politischen Maßnahme ab. Stattdessen wird ein Narrativ gestrickt, eine gesellschaftliche Erzählung, die die politische Handlung mit einer Deutung versieht. Ein solches Narrativ muss nichts mit der Wahrheit zu tun haben. Es dient einzig und allein dazu, eine Interpretation der Geschehnisse vorzugeben: In diesem Sinne möchte der „Erfinder“ des Narrativs seine Handlung verstanden wissen.
Ein politisches Narrativ
Im März 2020 begann die Bundeskanzlerin, die Corona-Maßnahmen als einen Akt der Solidarität zu verkaufen. Ihre Begründung des ersten Lockdown lautete:
„Da sind unsere Solidarität, unsere Vernunft, unser Herz füreinander auf eine Probe gestellt.“
Das Narrativ der Bundesregierung war überraschend und ungewohnt. Gerade Angela Merkel hatte seit fünfzehn Jahren eine extrem konzernfreundliche und oft als alternativlos verkaufte Politik vertreten. Nun präsentierte sie sich besonders fürsorglich und appellierte an die Bevölkerung, sich solidarisch zu verhalten.
Diese neue Ansprache hätte kritisch hinterfragt werden müssen. In der politischen Kommunikation ist es üblich, politische Maßnahmen in einen anderen Zusammenhang zu packen, um die eigentlichen Beweggründe zu verschleiern. Gerade in den neoliberalen Jahrzehnten wurde diese Vorgehensweise immer wieder praktiziert und ihre Methoden verfeinert. Die Durchsetzung des Neoliberalismus war ein heftig umkämpfter Prozess, in dem Gemeinwohl- und Profitinteressen gegeneinander antraten – unter sehr ungleichen Voraussetzungen und flankiert von großen öffentlichkeitswirksamen Kampagnen. Diese medialen Botschaften zu dechiffrieren und die Strippenzieher dahinter deutlich zu machen, war eine schwierige Recherche- und Analysearbeit. Sie wurde nicht nur, aber vor allem von links denkenden Akteuren aus Wissenschaft, Medien und Nichtregierungsorganisationen geleistet.
Sie waren es, die die Denkfabriken und ihre Geldgeber ins Licht zerrten. Sie waren es, die die Kampagnen des Deep Lobbying, also der gezielten Manipulation der öffentlichen Wahrnehmung, aufdeckten. Sie kritisierten die Unterwanderung der Universitäten durch Drittmittelfinanzierung. Sie recherchierten die vielfältigen Lobbymethoden, prangerten Drehtüreffekte und verdeckte Parteienfinanzierung an. Sie klopften die Regierungsberater ab und enthüllten ihre Auftraggeber.
Diese Arbeit war getragen von dem Wissen, dass es im Kapitalismus viele Wege gibt, um Profitinteressen zu verschleiern. Manchmal tauchen die in grünem oder in einem sozialen Mantel auf. Nach all den Auseinandersetzungen wissen die Linken doch, wie politische Kommunikation funktioniert.
Die Linken und die Lockdown-Politik
Doch seit dem März 2020 scheinen diese eigenen herrschafts- und kapitalismuskritischen Denktraditionen wie weggeblasen zu sein. Dass die Bundeskanzlerin ihre Umverteilungspolitik als „solidarisch“ kennzeichnete, stellte sich als unfassbar effektive Strategie heraus. Auch wenn die Linken die Methoden sehr genau kennen, hat die Verwendung ihrer eigenen Schlüsselbegriffe offenbar für große Verwirrung gesorgt und den Blick auf die großen, grundlegenden Transformationen, die aktuell vorangetrieben werden, verstellt.
Das führte im Jahr 2020 dazu, dass die Linken in einer Mehrheit den Kurs der Regierung unterstützten. Ausgerechnet in dem Moment, in dem das größte Umverteilungsprogramm der Geschichte begonnen wurde, unterstützten sie die Regierung. Die soziale Frage ist das Kernthema ihrer politischen Arbeit, weshalb sie – üblicherweise – den Kapitalismus analysieren. Sie verfügen über das Wissen und über die Infrastruktur an den Hochschulen, in den Redaktionen, Denkfabriken und Nichtregierungsorganisationen. Dass sie sich an der Dechiffrierung der Lockdown-Politik nicht beteiligten, war und ist ein großer Verlust. Die wichtigsten Themen in den linken Zeitungen und Zeitschriften der letzten Monate waren die Situation der Pflegekräfte und die Frage, inwiefern die Proteste gegen die Lockdown-Politik rechts und verschwörerisch seien.
Die Aufklärungsarbeit übernahmen andere. Unabhängige Journalisten, Ärzte, Anwälte und viele andere Denker aus unterschiedlichen Disziplinen, Ländern und aus allen politischen Lagern trugen Einschätzungen und Daten zusammen. Inzwischen gibt es eine Fülle an Erkenntnissen, die weit über eine Kritik an der Rolle von Bill Gates hinausgehen. Doch die Ergebnisse und Überlegungen der neu entstandenen Demokratie-Bewegung werden von weiten Teilen der etablierten Linken nicht zur Kenntnis genommen. Jede Kritik – und sei sie noch so ausgewogen und gut belegt – landet in der Schublade Verschwörungstheorie.
„Corona-Leugner“ – selbst nach zehn Monaten findet sich dieser diffamierende und falsche Begriff in unzähligen Tweets von SPD, Grünen, Linken und deren Umfeld und im Aufruf der ZeroCovid-Akteure. Die Abwehr von allen alternativen Sichtweisen geht so weit, dass noch nicht einmal erwogen wird, die Regierung könne andere Motive für ihr rabiates Vorgehen haben als ausschließlich den Infektionsschutz.
Kann das links sein?
Die Initiative bestätigte mit ihrem Appell für einem „solidarischen europäischen Shutdown“ genau das irreführende Framing der Bundesregierung, das Regierungskritiker seit Monaten dechiffrieren. Dabei präsentierte sie ihr Konzept als linke Antwort auf die sozialen Verwerfungen. Die desaströsen einkommenspolitischen Folgen werden durchaus genannt. Wer nach Lösungen für die aktuellen humanitären Katastrophen sucht, könnte sich von den Schlagworten „solidarisch, europäisch, möglichst schnell vorbei“ angesprochen fühlen. Gerade die verzweifelten Menschen, die die sozialen Konsequenzen erkannt haben, werden dazu verführt, einen Appell zu unterschreiben, der ihre Situation noch massiv verschlimmern wird.
Ein solidarischer Lockdown ist ein Etikettenschwindel. Dahinter verbirgt sich die Forderung nach einer Verschärfung der Umverteilungspolitik von unten nach oben. Politische Denker aus den Gewerkschaften, linken Parteien und Zeitungen hätten das erkennen müssen. Stattdessen gießen sie mit ihrem Appell Öl ins Feuer einer zutiefst unsozialen Politik, die sich weit von demokratischen Prinzipien entfernt hat.
Über die Autorin: Mona Pauly ist ein Pseudonym. Die Autorin studierte Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften. Sie arbeitete wissenschaftlich zu europäischen Wirtschaftsstrukturen. Derzeit befasst sie sich mit globaler Energiepolitik.
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