Druck auf Weltgesundheitsorganisation wächst
2. April 2024Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gerät wegen geplanter Vertragsinhalte und Transparenzproblemen bei neuen Pandemie- und Gesundheitsvorschriften unter wachsenden öffentlichen Druck. Bei der aktuellen Verhandlungsrunde zum Pandemievertrag, die vergangenen Donnerstag (28. März) am WHO-Sitz in Genf zu Ende ging, erzielten die teilnehmenden Unterhändler verschiedener Staaten keine Einigung. Die Positionen westlicher Länder und vieler Staaten des globalen Südens liegen noch weit auseinander. Ziel ist es, auf der Weltgesundheitsversammlung der 194 Mitgliedsstaaten der WHO Ende Mai sowohl den geplanten neuen Pandemievertrag als auch die Neufassung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) zu verabschieden. Letztgenannte werden Ende April weiter verhandelt.
Kritik gibt es unter anderem an der Intransparenz der Verhandlungen insbesondere zu den IGV. Zwar veröffentlichte die WHO pünktlich zur neuen Verhandlungsrunde in Genf einen aktuellen Entwurf des Pandemievertrags. Allerdings gibt es zum Stand der IGV-Verhandlungen keine offiziellen Dokumente. Gleichwohl wurde ein Schriftstück mit den Vertragsinhalten mit Stand 9. Februar kurzfristig von der Genfer Universität Geneva Graduate Institute online publiziert. Es wurde kurz darauf wieder gelöscht, ist im Internetarchiv jedoch weiterhin abrufbar.
Der US-amerikanische Publizist James Roguski hat in einem Beitrag die seiner Ansicht nach wichtigsten Punkte der Änderungen zusammengefasst. Der Journalist Norbert Häring hat sie auf seinem Blog übersetzt. Demnach bekommt der Generaldirektor der WHO mit den IGV künftig die Möglichkeit, drei verschiedene Stufen von internationalen Gesundheitsnotlagen auszurufen. Die Organisation soll Standards für digitale und analoge Impf- und Testausweise entwickeln und bestimmen, welche Impfstoffe oder Medikamente für den Pandemiefall zugelassen werden. Die WHO soll weiterhin eine „Pathogen-Tauschbörse“ von krank machenden Stoffen etablieren und allgemein verfügbar machen. Schließlich sollen Regierungen „Fehl- und Desinformationen“ bekämpfen und auch nichtstaatliche Akteure verpflichten, sich an die Vorschriften des IGV zu halten.
Andrej Hunko, Gesundheitspolitiker des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), kritisiert gegenüber Multipolar die Intransparenz der Änderungen, von deren Dimension den meisten Abgeordneten keine Vorstellung hätten. „Die Kompetenzerweiterungen der WHO insgesamt, aber auch des Generalsekretärs innerhalb der WHO sind insbesondere vor dem Hintergrund der unaufgearbeiteten Rolle der WHO während der Corona-Zeit nicht zustimmungsfähig“, sagt Hunko. Er werde selbst Ende Mai zu den WHO-Verhandlungen nach Genf fahren.
Auch Christina Baum von der AfD kritisiert die Pläne. „Die Änderungsvorschläge zu den Internationalen Gesundheitsvorschriften lassen gefährliche Demokratieverluste durch die Machtkonzentration in den Händen nicht demokratisch legitimierter Organe erkennen.“ Sie weist darauf hin, dass die IGV nicht mehr nur empfehlenden Charakter haben sollten, sondern künftig unmittelbar bindendes Recht setzen können. Das Bundesgesundheitsministerium verweist derweil als Antwort auf eine Anfrage von Multipolar darauf, dass die Änderungen Ende November 2022 den Mitgliedstaaten öffentlich gemacht worden seien. Die Positionen der Bundesregierung würden eng mit den anderen EU-Mitgliedstaaten abgestimmt.
Dies ist einer der vielen Kritikpunkte der Juristin und ehemaligen WHO-Beraterin Silvia Behrendt. Im Interview mit Multipolar wies sie in der vergangenen Woche darauf hin, dass die Gesundheitspolitik Aufgabe der Mitgliedsstaaten der EU sei. Die Verhandlungen zu den Änderungen der IGV seien intransparent, „weil man noch tief im Verhandlungsprozess steckt. Es würde ja sonst sofort zerpflückt werden.“ Nach den Regularien der IGV müssen die Änderungsvorschläge den Mitgliedsstaaten mindestens vier Monate vor der Abstimmung vorliegen. „Die Öffentlichkeit sollte die Sinnhaftigkeit der neuen Befugnisse der WHO angesichts der Hastigkeit und der falschen Begründungen für die Missachtung der rechtmäßigen Prozesse hinterfragen“, so Behrendt.
Die Internationalen Gesundheitsvorschriften wurden erstmals 1969 unterzeichnet und 2005 neu gefasst. Sie sind völkerrechtlich bindende Vorschriften, der Weltgesundheitsorganisation, die grenzüberschreitende Gesundheitsrisiken eindämmen sollen. Die geplanten Änderungen müssen auf der Weltgesundheitsversammlung mit einfacher Mehrheit beschlossen werden und treten dann nach bestimmten Fristen in Kraft. Einige Punkten müssen nach der Verabschiedung möglicherweise noch in nationales Recht übertragen werden, teilt das Bundesgesundheitsministerium mit. Der Pandemievertrag ist neu, benötigt eine Zweidrittelmehrheit und jeweils eine Ratifizierung in den Mitgliedsstaaten der WHO, um in Kraft zu treten.
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