Wladimir Putin: „Die unipolare Welt existiert nicht mehr“
7. Juni 2024Laut dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gehört die von den USA als einziger Großmacht dominierte Welt der Vergangenheit an. Es sei eine „Verschiebung hinsichtlich der Entwicklungsmuster in Richtung Asien“ zu beobachten, erläuterte er am Mittwoch (6. Juni) bei einer Pressekonferenz auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg. Das Monopol der Vereinigten Staaten nach dem Kollaps der Sowjetunion sei nicht gut für die USA gewesen, erklärte Putin. Um ihre Vormachtstellung zu bewahren, hätten sie immense Verteidigungsausgaben gehabt – beispielsweise zur Aufrechterhaltung eines weltweiten Netzes an Militärbasen. Russland hätte hingegen seine Verteidigungsausgaben auf „Schlüsselgebiete“ konzentriert. Die Frage sei jetzt, „wie schnell die USA vom Thron gestoßen“ werde.
Putin sprach vor den Vertretern großer internationaler Nachrichtenagenturen, darunter die Deutsche Presseagentur (dpa), Reuters und Associated Press (AP). In der dreistündigen Veranstaltung im Hauptsitz von Gazprom ging Putin auch detailliert auf die Fragen der hochrangigen Journalisten zur möglichen Reaktion auf den Einsatz westlicher Waffen auf russischem Territorium bis hin zum Vorwurf der russischen Beeinflussung der Bevölkerung im Westen ein.
Auf die Frage von dpa-Korrespondent Martin Romanczyk, was passieren würde, wenn Deutschland Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefere, antwortete Putin: „Als die ersten deutschen Panzer auf ukrainischem Boden auftauchten, hat dies einen moralischen und ethischen Schock in Russland ausgelöst, weil unsere Beziehung zu Deutschland immer gut waren.“ Wenn es jetzt Gespräche gebe, dass Raketen geliefert werden, die russisches Territorium treffen könnten, dann wird dies die russisch-deutschen Beziehungen „vollkommen untergraben“.
Hinsichtlich der im Ukraine-Krieg bereits erfolgten Einsätze von Marschflugkörpern der USA, Großbritanniens und Frankreichs stellte er fest, dass diese ohne US-amerikanische Satellitenaufklärung und geschultes westliches Personal nicht einsetzbar sind. Das habe unter anderem das abgehörte Gespräch deutscher Offiziere offenbart. Als Reaktion auf den Angriff mit diesen Waffen auf russisches Gebiet, behalte sich Russland vor, ähnliche Waffen in Weltregionen zu liefern, wo diese gegen „empfindliche Ziele“ des Westens eingesetzt werden könnten.
Putin verwies bezüglich der Gefahr eines Atomkriegs auf die Nukleardoktrin Russlands. Diese sehe vor, dass sein Land „alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel“ nutzen kann, wenn seine Souveränität oder territoriale Integrität bedroht sind. Sehr deutlich wurde das russische Staatsoberhaupt auf die Andeutung eines französischen Journalisten, Russland könnte die Nato angreifen: „Sind Sie dumm? Wer hat das erfunden? Das ist Blödsinn, Unsinn und nichts anderes“, antwortete Putin. Russland habe überhaupt nicht die Kapazität für einen derartigen Angriff. Er bezeichnete diese Behauptung als ein westliches „Komplott“, um die eigene Bevölkerung zu täuschen und um mehr Waffen in die Ukraine zu liefern. In Wirklichkeit gehe es dem Westen darum, „die eigene imperiale Position und Größe zu bewahren“.
Deutlich äußerte sich Putin auch zu den westlichen Sanktionen, ihren Auswirkungen sowie zur deutschen Politik. So habe Russland seine wirtschaftlichen Ziele erreicht und liege nun bezüglich des kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsproduktes an vierter Stelle vor Japan und Deutschland. Das „Niveau an Professionalität“ der deutschen Entscheidungsträger ließe hingegen „viel zu wünschen übrig“. Der russische Konzern Gazprom könne auch überleben, ohne Gas an Deutschland zu verkaufen. Die Bundesrepublik kaufe nun jedoch Flüssigerdgas (LNG) zu einem dreimal höheren Preis als vorher, erläuterte Putin. Große Unternehmen würden sich jetzt in den USA und in Asien ansiedeln, da Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig sei.
Auf den Vorwurf der Verbreitung von Fehlinformationen in Europa entgegnete Putin, die russischen Medien seien hinsichtlich Auflage, Publikum und Einfluss keine Konkurrenz für die westlichen Medien. „Wann immer und wo immer unsere Journalisten ihre Arbeit machen wollen, treffen sie auf Hindernisse“, kritisierte er. „Die Angestellten werden bedroht, ihre Bankkonten werden gesperrt, ihre Fahrzeuge werden beschlagnahmt.“ Das einzige, was russische Journalisten täten, sei die „Verbreitung der russischen Sichtweise“ über die Entwicklungen in Russland, in Europa und in der Welt. Die Sichtweisen mögen sich von den westlichen unterscheiden, aber das sei es nun einmal, worum es beim „freien Fluss von Informationen“ gehe.
Deutsche Leitmedien berichteten trotz der hochrangigen Besetzung nur am Rande über die Pressekonferenz. Die Tagesschau erwähnte die Warnung Putins vor dem Einsatz deutscher Waffen in Russland mit zwei Absätzen in ihrem „Liveblog“. Das ZDF berichtete ähnlich knapp, gab jedoch zusätzlich in einem Beitrag die Äußerung Putins wieder, dass aus russischer Sicht der Staatsstreich in Kiew 2014 der Auslöser des Krieges gewesen sei.
Sehr detailliert äußerte sich Putin zu den Verlusten im Krieg in der Ukraine. So befänden sich derzeit 1.348 russische Soldaten in ukrainischer sowie 6.465 ukrainische Soldaten in russischer Gefangenschaft. Er wisse dies so genau, da regelmäßig Verhandlungen zum Gefangenenaustausch stattfinden. Das Verhältnis von eins zu fünf spiegele sich auch bei den „unwiederbringlichen Verlusten“ wider. Derzeit verliere die ukrainische Armee einschließlich der Verwundeten 50.000 Soldaten pro Monat verlieren, ziehe jedoch im Schnitt nur 30.000 neue Soldaten im gleichen Zeitraum ein. Die Voraussetzung für ein Kriegsende sei ein Ende der westlichen Waffenlieferung. Dann wäre der Krieg innerhalb von zwei bis maximal drei Monaten beendet.
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